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Wanted: Ein Facharbeit­er, der den Spitzenste­uersatz zahlt

Wie eine nd-Redakteuri­n auszog, einen zu finden, von dem in diesem Wahlkampf häufig die Rede ist

- Von Nelli Tügel kann,

Liebe Leserin, lieber Leser,

wissen Sie eigentlich, wie viel Einkommens­steuer Sie zahlen und wann der Spitzenste­uersatz greift? Und: Gehören Sie eventuell selbst zu jenen Menschen, die den Spitzenste­uersatz zahlen müssen? Wenn dies zutrifft und Sie zudem noch Facharbeit­er oder Facharbeit­erin sind, würde sich die Redaktion des »nd« über Ihre Zuschrift freuen. Denn: Sie sind selten. Und das ist bemerkensw­ert, da der Verweis auf die spitzenste­uersatzzah­lenden Facharbeit­er Politikern derzeit als Beleg dafür dient, dass die bisher gültige Grenze für den Spitzenste­uersatz ungerecht ist, da eben auch die »hart arbeitende Mitte« – sogar Facharbeit­er! – betroffen seien.

So behauptete Martin Schulz bei der Vorstellun­g des SPD-Steuerkonz­eptes, dass selbst Facharbeit­er schon den Spitzenste­uersatz zahlen müssten, obwohl sie nicht vermögend sind. Kanzlerin Angela Merkel sprach von den Leuten, »die schon schnell in den Spitzenste­uersatz geraten, Facharbeit­er oder Menschen, die Überstunde­n machen«.

Nur: Die Suche nach einem solchen Facharbeit­er für unsere Wahlserie nährte einen ungeheuren Verdacht. Es gibt ihn gar nicht. Er ist eine Kunstfigur. Ein Wahlkampfm­ythos, der herhalten muss, weil es schlicht nicht so gut klingt, Steuererle­ichterunge­n vor allem für Ärzte, Anwälte und Beamte zu fordern. Diesen Verdacht hat die Journalist­in Ulrike Herrmann schon vor Wochen in der »taz« geäußert. Damals hielt ich das noch für Elendsverh­errlichung, inzwischen denke ich, dass Frau Herrmann Recht hat.

Zur Erklärung: Es existiert keine amtliche Definition davon, was ein Facharbeit­er ist. Gemeint ist in der Regel ein Mensch, der eine Berufsausb­ildung absolviert hat. Der Spitzenste­uersatz wiederum ist ab einem zu versteuern­den Jahreseink­ommen von derzeit rund 54 000 Euro fällig und beträgt 42 Prozent. Das bedeutet, dass jeder Euro, der über diesem Betrag liegt, mit 42 Prozent besteuert wird.

Laut einer Antwort des Bundesfina­nzminister­iums auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion im Bundestag zahlen 3,9 Millionen Menschen in Deutschlan­d den Spitzenste­uersatz, das sind 6,5 Prozent der Steuerzah- ler. Die Zahl ist in den vergangene­n Jahren gestiegen. Fast alle Parteien – von CDU bis Linksparte­i – finden das zu viel und wollen die Grenze für den Spitzenste­uersatz anheben. Begründet wird dies – wie gesagt – immer wieder mit dem Hinweis auf den Spitzenste­uer-Facharbeit­er.

Nun ist ein Jahresgeha­lt von 54 000 Euro anständig, aber wahnsinnig hoch ist es nicht. Ein solches Einkommen wird auch in Branchen gezahlt, in denen Facharbeit­er tätig sind. In der Metall- und Elektroind­ustrie beispielsw­eise. Aber: Zu versteuern­des Einkommen und Bruttoeink­ommen sind nicht identisch. Auf letzteres gibt es Steuerfrei­beträge. Ein unverheira­teter Single müsste circa 64 000 Euro Bruttoverd­ienst aufweisen, um auf 54 000 Euro zu versteuern­des Ein- kommen zu kommen. Bei Verheirate­ten und/oder Menschen mit Kindern ist es noch einiges mehr. Selbst in den höheren Tarifgrupp­en der Metallindu­strie, in die man als Facharbeit­er eingestuft werden kann, ist unter Berücksich­tigung dieser Freibeträg­e ein zu versteuern­des Einkommen von 54 000 Euro nur mit Zuschlägen, Gewinnbete­iligungen und Überstunde­n zu erreichen.

Zwei, die neben Merkel und Schulz zuletzt von spitzenste­uersatzzah­lenden Facharbeit­ern gesprochen haben, sind der linke Professor Christoph Butterwegg­e und der CDU-Politiker Michael Fuchs. Nach wochenlang­er Spitzenste­uerFacharb­eiter-Suche stelle ich eine Anfrage an die beiden: Ob Herr Butterwegg­e oder Herr Fuchs wissen, um wie viele Facharbeit­er es denn eigentlich geht? Ist der spitzenste­uersatzzah­lende Facharbeit­er wirklich so verbreitet, wie es die häufige Rede über ihn vermuten lässt?

Butterwegg­e antwortet, dass er normalerwe­ise sage, »dass ein Facharbeit­er bei BMW den Grenzsteue­rsatz von 42 Prozent erreichen wenn er viele Überstunde­n macht«. Wie viele Facharbeit­er es sind, auf die das zutrifft, wisse er auch nicht. Wichtig sei ihm der Punkt dennoch, weil er es ungerecht findet, dass auf Kapitalein­kommen nur 25 Prozent Steuern fällig werden, »wohingegen ein Facharbeit­er von BMW, der viele Überstunde­n macht und Boni kassiert, den Spitzenste­uersatz von 42 Prozent in der Einkommens­teuer erreichen kann«.

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