»Das ist keine Entlastung der Mittelschicht«
Der Forscher Stefan Bach über Steuervorschläge der Parteien und die tatsächlichen Steuerzahlungen der Bürger
Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen sollen steuerlich entlastet werden. Das versprechen SPD, Linkspartei, Grüne und AfD. CDU und FDP beklagen vor allem die Belastung der Mittelschicht. Zahlen diese Menschen eigentlich mehr Steuern als früher?
Wir haben das genauer untersucht. Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen zahlen tatsächlich heute mehr Steuern als 1998. Dagegen gab es beträchtliche Steuerentlastungen im oberen und obersten Einkommensbereich.
Wie kommt das?
Seit 1998 wurde der Spitzensteuersatz kräftig gesenkt, die Unternehmenssteuern reduziert und die Abgeltungssteuer eingeführt. Davon haben Besserverdiener profitiert. Zugleich wurden die indirekten Steuern wie die Mehrwertsteuer und die Energiesteuern einschließlich EEG-Umlage erhöht. Das haben Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen besonders zu spüren bekommen, weil sie den Großteil ihres Geldes ausgeben und wenig sparen.
Geringverdiener zahlen fast nur indirekte Steuern. Das zeigt Ihre Grafik, die wir heute veröffentlichen. Ja, genau. Ärmere Menschen hätten nichts oder nur wenig von einer Senkung der Einkommensteuer, wie sie fast alle Parteien versprechen, weil sie eben keine oder nur wenig Einkommensteuern bezahlen. Die Mittelschicht zahlt aber schon Einkommensteuern – mehr als früher?
Nein. Die meisten Bürger zahlen heute sogar weniger, und zwar über alle Gehaltsgruppen hinweg. Die Regierungen haben ja nicht nur den Spitzensteuersatz gesenkt, sondern auch den Eingangssteuersatz und Familien mit Kindern entlastet. Außerdem kann man heute mehr von der Steuer absetzen, vor allem die Krankenversicherungsbeiträge, wovon vor allem Besserverdiener profitieren.
Aber es heißt doch dauernd, dass die Bürger so stark durch die Einkommensteuer belastet sind! Da ist die Rede von kalter Progression und davon, dass schon Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen müssen! Klar gibt es die kalte und auch die warme Progression, wenn bei Einkommenserhöhungen der Steuertarif nicht zurückgenommen wird. Gegenüber 2005 oder 2010 ist die durchschnittliche Tarifbelastung gestiegen. Aber da war die Belastung auch einmalig niedrig, und es gab auch noch den Abzug der Krankenversicherungsbeiträge, über den keiner redet.
Wer würde profitieren, wenn der Spitzensteuersatz erst später greift, wie es Union, FDP, SPD, Linkspartei, Grüne und AfD fordern?
Nur die obere Mittelschicht und die Hochverdiener. Die Normalverdiener und Niedriglöhner haben nichts davon. Dann werden wir veräppelt, wenn der Eindruck erweckt wird, es gehe vor allem um die Mittelschicht. Man kann ja zu dem Ergebnis kommen, dass der Spitzensteuersatz zu früh greift, weil die Einkommensgrenze in den letzten Jahren nur wenig angepasst wurde. Nur ist das eben keine Entlastung der Mittelschicht. Dazu muss man den Grundfreibetrag erhöhen und die Eingangsteuersätze deutlich entlasten. Das kostet aber schnell hohe Steuerausfälle von 30 Milliarden Euro im Jahr und mehr, die man nur vermeiden kann, wenn man Top-Verdiener höher besteuert.
Genau das versprechen SPD, Linkspartei und Grüne. Sie wollen Menschen mit sehr hohem Gehalt stärker zur Kasse bitten. Würde das viel Geld in die Staatskasse spülen?
Wir haben das mal durchgerechnet für einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent bei geltendem Tarif, der ja noch wirtschaftlich und auch politisch halbwegs verträglich wäre. Das würde gerade mal zehn Milliarden Euro Mehreinnahmen bringen. Das ist nicht viel. Damit kann man die Mittelschichten nur wenig entlasten. Zugleich gibt es viel Gegenwind aus den neoliberalen Medien und Ökonomenkreisen. Daher kommt auch bei Grünen und der SPD keine rechte Freude auf. Und die wirklich Reichen trifft man mit dem Spitzensteuersatz sowieso nicht. Warum nicht?
Superreiche haben zumeist Unternehmens- und Kapitaleinkünfte, darauf fällt keine progressive Einkommensteuer an. Wenn sie ihre Millioneneinkommen im Unternehmen lassen oder in andere Unternehmen investieren, zahlen sie noch nicht mal Abgeltungssteuer. Dann werden nur die niedrigeren Unternehmenssteuern fällig. Der Milliardär Warren Buffet hat ja mal gesagt, dass er weniger Steuern zahlt als seine Sekretärin. Diesen Buffet-Effekt haben wir in Deutschland auch. Wenn sich Superreiche geschickt anstellen, zahlen sie gegebenenfalls nur 20 oder 25 Prozent Steuern auf ihre dreistelligen Millioneneinkünfte. Das zahlt auch der viel zitierte besserverdienende Facharbeiter, wenn er ledig ist und keine Kinder hat, und da sind die Sozialbeiträge noch nicht drin.
Ab einem bestimmten Einkommen sinken die Steuern und Abgaben wieder, das zeigt Ihre Grafik. Liegt das an den steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Reichen? Ab einem bestimmten Gehalt fallen keine höheren Sozialbeiträge mehr an, daher sinken dann die Belastungen. Die Steuergestaltungsmöglichkeiten können wir empirisch nicht sauber erfassen, deshalb sind sie in unseren Berechnungen nicht enthalten. Die gibt es aber sicher, daher sind die Belastungen bei den Spitzenverdienern eher überschätzt. Ihre Grafik firmiert unter dem Namen »Wal in der Badewanne«. Der Wal sind die Sozialbeiträge, die ziemlich üppig erscheinen. Stimmt. Das Geld kommt allerdings auch den Versicherten direkt zu Gute: Daraus werden ihre Renten, ihre Arztrechnungen, ihr Arbeitslosengeld gezahlt.
Nochmal zu den Superreichen: Was kann die Politik tun, damit Multimillionäre mehr Steuern zahlen? Als echte Reichensteuer für hohe Vermögen sollten wir die Erbschaftssteuer stärker nutzen. 10 bis 15 Prozent könnten auch Unternehmen tragen, sie könnten die Steuer zum Beispiel sukzessive aus dem Gewinn abbezahlen. Zurzeit können die Superreichen ihr Unternehmen oder Firmenbeteiligungen selbst im hohen dreistelligen Millionenbereich und mitunter sogar Milliarden weitgehend steuerfrei übertragen. Diese Begünstigung ist völlig überzogen.
Um umgekehrt ärmere Menschen zu entlasten, empfehlen Sie, die Mehrwertsteuer zu senken. Erwarten Sie wirklich, dass dann auch die Preise für Käse und Kleidung sinken?
Die Überwälzung der Mehrwertsteuer ist keine Einbahnstraße. Im Wettbewerb sollten längerfristig die Preise sinken. Am besten wäre es, die Reform für die nächste Rezession vorzubehalten. Dann ist der Druck auf die Unternehmen größer, tatsächlich die Entlastung an die Verbraucher weiterzugeben.