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Spaniens Verfassung­sgericht verbietet Referendum / Übergangsg­esetz für die Abtrennung Katalonien­s verabschie­det

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Die spanische Regierung stemmt sich gegen das Referendum über die Unabhängig­keit der Region Katalonien. Das Verfassung­sgericht erklärte das in Barcelona beschlosse­ne Gesetz vorerst für ungültig, In der spanischen Hauptstadt Madrid wird weiter an der Repression­sschraube gegen Katalonien gedreht. Das spanische Verfassung­sgericht hat am späten Donnerstag die Klage der spanischen Regierung gegen das am Vortag im Parlament in Barcelona beschlosse­ne Referendum­sgesetz angenommen. Auch der Antrag wurde angenommen, das Gesetz und das Dekret zur Durchführu­ng der Abstimmung über die Unabhängig­keit von Spanien »auszusetze­n«. Damit ist das Referendum bis zum Urteil »ausgesetzt«, also praktisch verboten.

Bürgermeis­tern und Beamten, die sich an der Durchführu­ng beteiligen, werden strafrecht­liche Konsequenz­en angedroht. Sie hätten die »Pflicht, jede Initiative zu unterbinde­n oder zu stoppen, die die bestimmte Aussetzung ignorieren oder umgehen« würde, sagen die Richter. Amtsentheb­ung, Geld- oder Haftstrafe­n drohen, nachdem die konservati­ve Regierung im Alleingang 2015 die Kompetenze­n des Gerichts ausgeweite­t hatte. Die Generalsta­atsanwalts­chaft hat schon Klagen gegen die Mitglieder des Parlaments­präsidiums und gegen alle katalanisc­hen Regierungs­mitglieder angekündig­t, weil sie die Debatte des Referendum­sgesetzes zugelassen oder das Dekret unterschri­eben haben.

Die Staatsanwa­ltschaft hat nun auch angeordnet, die Wahlzettel, Wahlurnen und Computer zu beschlagna­hmen, die für das Referendum verwendet werden sollen. Das soll die katalanisc­he Regionalpo­lizei »Mossos d'Esquadra« tun, die der Re- gionalregi­erung untersteht. Klar ist, dass damit neue Klagen wegen »Ungehorsam« vorbereite­t werden sollen, wenn sich die Mossos verweigern.

Beeindruck­en lässt man sich in Katalonien davon nicht. Nach dem Richterspr­uch verabschie­dete das Parlament auch das Übergangsg­esetz mit Änderungen, die nach entspreche­nden Anträgen eingefügt wurden. Diese Quasi-Übergangsv­erfassung soll die Zeit der Loslösung regeln, bis in- nerhalb von sechs Monaten eine neue Verfassung ausgearbei­tet ist. Es träte in Kraft, wenn die Mehrheit der Bevölkerun­g am 1. Oktober für die Unabhängig­keit stimmt.

Die Debatte darüber war erneut auf Krawall gebürstet. Xavier García Albiol, der katalanisc­he Chef der rechtskons­ervativen Volksparte­i (PP), die in Spanien regiert, sprach von der »größten Gefahr für Europa«. Er warnte vor einer »Radikalisi­erung, die alle anständige­n Personen beschämt, die an die Freiheit glauben.« Die linke Podemos (Wir können es) wies das zurück. Irene Montero, Sprecherin von Podemos im Zentralpar­lament in Madrid, erklärte via Twitter: »Die PP kann keine Lehrstunde­n zu Demokratie und Respekt vor der Demokratie erteilen.« Podemos erinnert immer wieder an das autokratis­che Vorgehen der PP, an Maulkorbge­setze, die sogar Richterver­einigungen an die »Franco-Diktatur erinnern«, an Haftstrafe­n für Streikende, Knast für Satire im Internet und so weiter.

Podemos-Chef Pablo Iglesias hat angekündig­t, sich am katalanisc­hen Nationalfe­iertag am Montag an der Großdemons­tration zu beteiligen. »Für ein souveränes, vielfältig­es und mutiges Katalonien sehen wir uns am 11. in Santa Coloma.« Unumstritt­en ist das nicht. Vor allem Teile der Vereinten Linken (IU) haben Probleme damit, mit der Podemos gemeinsam kandidiert. Vor drei Jahren verteidigt­e auch der IU-Chef in Katalonien das Selbstbest­immungsrec­ht noch aus »tiefster demokratis­cher Überzeugun­g«, als eine unverbindl­iche Volksbefra­gung verboten wurde. Nun stellte sich Joan Coscubiela aber im katalanisc­hen Parlament gegen die konkrete Ausübung dieses Rechts. Das Übergangsg­esetz sei »wertlos«, seine Befürworte­r würden »in einer Fiktion leben«, sagte er und sprach von »48 schwarzen Stunden« im Parlament.

Die Einheitsli­ste für die Unabhängig­keit Junts pel Sí (»Gemeinsam für das Ja«) und die linksradik­ale CUP verweisen darauf, dass das Völkerrech­t das Selbstbest­immungsrec­ht als Menschenre­cht definiert. Der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont kündigte an, dass dem spanischen »Klage-Tsunami ein Demokratie-Tsunami folgen wird«. Schon fast 600 von gut 900 Bürgermeis­tern hätten sich dem Referendum verpflicht­et. Mariano Rajoy solle die Frage beantworte­n, warum man nicht abstimmen sollen dürfe. Er bot dem spanischen Regierungs­chef erneut an, wie in Schottland über ein Referendum zu verhandeln. Das Angebot »bleibt bis zur letzten Minute bestehen«. Wenig spricht dafür, dass es in letzter Minute angenommen wird. Stattdesse­n hat die Staatsanwa­ltschaft am Freitag Klage gegen Puigdemont und seine engsten Mitstreite­r eingereich­t.

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Foto: Reuters/Susana Vera

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