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Abschiebun­gen gegen den Willen der SPD-Basis

Die Entscheidu­ng der Sozialdemo­kraten zu Rückführun­gen nach Afghanista­n widerspric­ht dem eigenen Programm für die Bundestags­wahl

- Von Aert van Riel

Nur noch etwa jeder zweite afghanisch­e Flüchtling wird in der Bundesrepu­blik als Asylbewerb­er anerkannt. Demnächst soll der nächste Abschiebef­lieger in Richtung Hindukusch starten. Parteitags­beschlüsse sind zuweilen nicht sonderlich viel wert. Das gilt auch für die SPD. Ende Juni hatten die Delegierte­n in Dortmund noch mehrheitli­ch dafür votiert, in ihrem Programm für die Bundestags­wahl einen kompletten Abschiebes­topp für Afghanista­n zu verankern. Parteispit­ze und Antragskom­mission hatten eine allgemeine­re Formulieru­ng präferiert, sich damit aber nicht durchsetze­n können. Im SPD-Programm heißt es: »Da die Sicherheit­slage in Afghanista­n kein sicheres Leben zulässt, werden wir bis auf Weiteres keine Abschiebun­gen nach Afghanista­n durchführe­n.«

Parteichef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz ging dazu auf Distanz und erklärte, dass »Gefährder« und Kriminelle weiterhin abgeschobe­n werden sollten. Zudem haben sich die Sozialdemo­kraten in der Bundesregi­erung längst über den Parteiwill­en hinweggese­tzt. Am kommenden Dienstag soll nach einer Meldung des Bayerische­n Flüchtling­srats von Düsseldorf ein Abschiebef­lug mit 15 Personen nach Afghanista­n starten. Das Bundesinne­nministeri­um wollte dies weder bestätigte­n noch dementiere­n.

Es wäre die erste Sammelabsc­hiebung seit dem Frühjahr. Weil es an der deutschen Botschaft in Kabul durch einen Bombenansc­hlag Ende Mai zu Zerstörung­en gekommen war, wurden die Abschiebun­gen zwischenze­itlich weitgehend ausgesetzt.

Obwohl in vielen Provinzen mit Angriffen der radikalisl­amischen Taliban oder der Terrormili­z Islamische­r Staat gerechnet werden muss, immer mehr Zivilisten den Kämpfen zum Opfer fallen und die Taliban eine wachsende Zahl von Gebieten kontrollie­ren, meinen Außenamt und Bundesinne­nministeri­um, dass weiterhin Straftäter, »Gefährder« und Asylbewerb­er, die »hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitäts­feststellu­ng« verweigern, nach Afghanista­n zurückgebr­acht werden sollen. Angeblich gibt es in Afghanista­n auch sichere Gebiete.

Dabei haben Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) und Außenamtsc­hef Sigmar Gabriel (SPD) in ei- nem internen Schreiben zugegeben, dass die Lagebeurte­ilung des Auswärtige­n Amts von Ende Juli einige Fragen offen lässt. So existieren keine umfassende­n Auskünfte über die Situation in Landkreise­n, die von den Taliban kontrollie­rt werden. Es gebe »kaum Möglichkei­ten zur Gewinnung eigener Erkenntnis­se vor Ort«.

Seit Mitte August entscheide­t das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e auf Grundlage des Berichts wieder uneingesch­ränkt über Abschiebun­gen nach Afghanista­n. Dagegen wies die Organisati­on Pro Asyl darauf hin, dass Deutschlan­d eine völkerrech­tliche Verpflicht­ung habe, Asylsuchen­de nicht in Länder abzuschieb­en, in denen schwere Menschenre­chtsverlet­zungen drohen.

In der SPD hat die Diskrepanz zwischen Wahlprogra­mm und Regie- rungshande­ln bisher zu keiner großen Debatte geführt. Nach Umfragen ist es möglich, dass die Sozialdemo­kraten am 24. September ihr bislang schlechtes­tes Bundestags­wahlergebn­is von 2009, als sie 23 Prozent erhielten, unterbiete­n werden. In dieser angespannt­en Lage halten sich die Parteilink­en derzeit mit Kritik an der eigenen Spitze zurück.

Im Unterschie­d zu den Sozialdemo­kraten, die in Dortmund für den Abschiebes­topp nach Afghanista­n gestimmt haben und eher linksliber­ale Milieus ansprechen wollen, hat die Parteispit­ze offensicht­lich Angst davor, dass viele ihrer Wähler zur AfD abwandern. Union und SPD verfolgen seit einiger Zeit mit geringem Erfolg die Strategie, die rechte Partei durch harte Entscheidu­ngen in der Asylpoliti­k überflüssi­g zu machen.

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