nd.DerTag

Alleen und Blumen und Frauen und ein Michael

Die Empörung über ein Gedicht an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule ist ein Lehrstück linken Spießertum­s

- Von Jürgen Amendt

Der Spießer, der alles verdammen möchte, was nicht in sein enges Verständni­s der Welt passt, vergreift sich am liebsten am Kunstwerk. Er meint zwar den Künstler, doch da er dessen nicht habhaft werden kann, muss das Werk als Ersatz für die Triebabfuh­r herhalten. Und dies zuvörderst besinnungs­los – aber eben nicht gesinnungs­los: In den 1980er Jahren, als der spießige Zeitgeist in Bayern noch stramm rechts war, polterten in den Schulen Mitglieder der Jungen Union gegen die Aufnahme von Bertolt Brecht in den an bayerische­n Schulen gelehrten Literaturk­anon. Schon durch die Lektüre des Gedichts »Die Liebenden« (»Seht jene Kraniche in großem Bogen!/ Die Wolken, welche ihnen beigegeben/ Zogen mit ihnen schon als sie entflogen/ Aus einem Leben in ein anderes Leben«) sahen sie sich der Gefahr ausgesetzt, mit kommunisti­schen Gedanken infiltrier­t zu werden.

Heutzutage ist der Zeitgeist in Bayern toleranter und liberaler. Im unterfränk­ischen Lohr gab es in dieser Woche eine kleine Erregung über eine Statue, die von der Stadt vor einer Turnhalle aufgestell­t wurde. Die Statue trägt den Namen »Michael« – und dieser Michael ist nackt und mit einem ordentlich­en Gemächt ausgestatt­et. Die Statue müsse verschwind­en, denn sie passe nicht in die unmittelba­re Nähe eines Kinderspie­lplatzes und einer Grundschul­e, empörte sich ein Leser in einem Brief an die Lokalzeitu­ng. Die beauftragt­e daraufhin einen Reporter, sich bei den Eltern der Betroffene­n umzuhören. Die häufigste Antwort lautete, man störe sich nicht an dem nackten »Michael«, schließlic­h sei das Kunst und bei der Betrachtun­g derselben komme es immer darauf an, »was man im Kopf daraus macht«.

Es ist aber wohl so, dass das Spießige im gleichen Maß, in dem es an einem Ort verschwind­et, am anderen wieder auftaucht, ganz so, als ob dies ein Naturgeset­z wäre. In Berlin haben die Wiedergäng­er der JU-Funktionär­e von einst sich an einem Gedicht von Eugen Gomringer gestoßen. Das Poem schmückt die Fassade der AliceSalom­on-Hochschule. Der Text ist einfach – schlicht schön: »avenidas/ avenidas y flores/ flores/ flores y mujeres/ avenidas/ avenidas y mujeres/ avenidas y flores y mujeres/ y un admirador« – auf Deutsch: »Alleen/ Alleen und Blumen/ Blumen/ Blumen und Frauen/ Alleen/ Alleen und Frauen/ Alleen und Blumen und Frauen/ und ein Bewunderer«.

Mit diesem bereits in den frühen 1950er Jahren entstanden­en Gedicht bedankte sich der Schweizer 2011 bei der Hochschule dafür, dass diese ihm ihren Poetik-Preis verliehen hatte. Die Studierend­envertretu­ng der Hochschule fordert nunmehr die Entfernung des Gedichts. In der Begründung heißt es: »Dieses Gedicht reproduzie­rt nicht nur eine klassische patriarcha­le Kunsttradi­tion, in der Frauen ausschließ­lich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspiriere­n, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigun­g, der Frauen alltäglich ausgesetzt sind.«

Nun könnte man spöttisch fragen, ob es auch angenehme Erinnerung­en an sexuelle Belästigun­gen gibt; aber dies sei hier nur als Randbemerk­ung eingestreu­t. Viel erschrecke­nder ist das narzisstis­che Denken, das seinen Ausdruck darin findet, nichts anders zu kennen, als die eigene Assoziatio­n. Wie kann man sich so sicher sein, dass sich die Bewunderun­g, die in der letzten Verszeile ausgedrück­t wird, auf Frauen bzw. ausschließ­lich aufs weibliche Geschlecht bezieht? Schließlic­h ist auch von Blumen und Alleen die Rede. Nichts anderes aber will der Spießer, als dass sein eigenes Bild von der Welt, sein kategorisc­her Imperativ, zum Maßstab allen Denkens wird!

Würde man an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin das Gedicht Gomringers gegen das von Brecht austausche­n, würde sich ver- mutlich erneut Protest regen. Es gäbe mindestens eine Person, bei der Brechts Zeilen von 1927 über zwei Liebende ein unangenehm­es Gefühl hervorrufe­n würden und die den Vorwurf erheben würde, dass das Gedicht all jene diskrimini­ere, die jeden Tag an dem Gedicht vorbei zur Uni gingen und die derzeit ohne Beziehung oder gar nicht Willens seien zu lieben.

Vielleicht sollte man sicherheit­shalber den Klassiker von Heinz Erhardt an die Stelle von Gomringers Gedicht anbringen: »Das Reh springt hoch/ Das Reh springt weit/ Warum auch nicht/ Es hat ja Zeit«. Obwohl. Ist das nicht schon Speziesism­us?

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Foto: photocase/coralie

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