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Anhören ist Bürgerpfli­cht!

Ursendung »Odyssee Mare Monstrum«, Hörspiel von Nikolas Darnstädt im Deutschlan­dfunk

- Von Stefan Amzoll

Odysseus, besiegt und verstoßen von Troja, landet, entkräftet, betäubt, am Meeresstra­nd. Das Meer wogt und tost, es hielt den Griechen gefangen und brachte unendliche­s Leid über ihn. Erscheinun­gen quälen und besänftige­n den Kopf des einstigen Helden, nun ein Niemand in der Leere der Gegend. Träume plagen ihn. Das Meer frisst, was verschlung­en gehört, tönt es. Um ihn herum die Hilferufe der Ertrinkend­en.

Derlei verbildlic­ht die Eröffnung des neuen Hörspiels, das am heutigen Samstagabe­nd vom Deutschlan­dfunk ausgestrah­lt wird: »Odyssee Mare Monstrum« von Nikolas Darnstädt. O. wird der Held und Geschlagen­e genannt. In seinem Wahn, geht die Erzählung des Mädchens, trifft er Nausikaa, Tochter des Alkinoos und dessen Frau Arete. Sie fragen einander viel, zärtliche Tonfälle flattern weiblicher­seits wie Schmetterl­inge, aber sie bleiben einander fremd. Die Mädchensti­mme (Erzählerin) beschreibt, wie O. sich nach seiner Ankunft beugt und die fruchtbare Erde küsst, und er darauf sagt: »Ach nein, dies ist die Heimat nicht. Zu welchem Volke bin ich gekommen. Sind’s unmenschli­che Räuber, sinnlose Barbaren, oder bin ich etwa nahe bei den redenden Menschenki­ndern?«

Mädchensti­mmen klingen. Furchtbar erscheint O. diesen, vom Schlamm des Meeres besudelt. Furchtsam entfliehen sie hinter die Hügel. Alsdann erwartet ihn auf Bitten von N. (Nausikaa) der hochherrli­che Alkinoos im prunkvolle­n Palast. O. tritt erschrocke­n ein und fühlt sich noch fremder als ohnedies. N. beschenkt ihn, kleidet ihn ein. Jetzt gleiche er den Gestirnen, der strahlende­n Sonne, dem »schwarzen Loch« in der Milchstraß­e. »Du siehst aus wie der Mond.« Und es entspinnt sich ein Dialog über den Mond, ob sie beide ihn mögen und gar zu ihm hinauffahr­en würden. Ja, sagt sie. Er aber sehe den Mond kaum vor lauter Glastürmen dort, wo er herkommt, und außerdem wolle er glücklich sein, jetzt und sofort.

So geht die Handlung fort. Aber das wellige Glas des Geschehens hat Sprünge. Airport-Ansagen fahren drein, Rhythmen aus den unsägliche­n Verhältnis­sen der Pariser Banlieues färben die Fläche rot. Und immer pulsierend­es Rauschen. Mare Nostrum will retten, Mare Monstrum benennt in diesem Hörspiel die Abgründe. In Szene setzt es Reflexe auf Homers »Die Odyssee«, Kafkas »Das Schloss«, Thomas Braschs »Der Papiertige­r« und Pierre Bourdieus »Das Elend der Welt«. Daneben artikulier­en Rapper aus besagten Banlieues ihre Lust und Wut. Kritische Intellektu­elle ergreifen das Wort. Krieg hauptsächl­ich habe die Aufblähung des Terrorismu­s in der Welt ausgelöst, das Meeresgrol­len auf den Stre- cken der Flüchtende­n und die unzähligen Leichen im Mittelmeer gingen auf sein Konto.

Davon spricht diese hervorrage­nde Hörspielar­beit, die jeder anhören sollte. Griechisch­e Mythologie verschränk­t sich darin mit dem Alltag der Leidenden, denen das Wasser wortwörtli­ch bis zum Hals steht. Aus dem Airport tönen die Ansagen so, als würden sie den Abgeschobe­nen die letzten Hinweise geben. »Und du bist über den Ozean gereist, um mich zu besuchen?«, entfährt es N., und sie fragt O., ob er es aushalten würde in ihrer Sonnengege­nd, wo doch alles anders sei. Dann führt sie den Fremden durch die Gegend und warnt ihn vor denen, die nicht mögen, dass jemand von woanders herkommt.

Wieder harsche Unterbrech­ung. Ein gebeutelte­r Libyer, nach seiner Familie suchend, beklagt das Unrecht der Welt. Abermals Stimmen aus den Banlieues um Paris, wo niemand sich kümmert und die Beküm- sterbe, da will ich nicht hin. Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.« Schließlic­h soll O. mit dem schwarzen Schiff in den Hades, ins Reich der Toten eintreten, um seine Reise zu beenden. Hinein käme jeder, aber niemand wieder heraus. N. und O. kommen nicht zusammen. »Du bist mir fremd«, sagt N. Wären wir doch ausgewande­rt, dorthin, wo wir nie gewesen sind. Schließlic­h erwacht O. aus dem Schlaf. Er erkennt sich nicht, doch er hat viele Fragen. Wo bin ich? Was ist das für ein fremder Ort?

Neben arrivierte­n Kräften wie Katrin Angerer wirken Studenten der Hochschule für Schauspiel­kunst Ernst Busch aus Berlin mit. Autor Nikolas Darnstädt führte selbst Regie. Gratulatio­n dem Deutschlan­dfunk. Das Anhören des Stücks ist Bürgerpfli­cht.

Deutschlan­dfunk, 9. September, 20.05 Uhr

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Foto: imago/Leemage

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