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Direktor mit Keilernase

Ottokar Dommas lustige Schulerleb­nisse weisen einige Parallelen zur heutigen Bildungsla­ndschaft auf

- Von Silvia Ottow

Herr Burschelma­nn ist ein Lehrer mit dicken schwarzen Augenbraue­n. Deren Menge hätte locker ausgereich­t, seine Halbglatze zu bedecken. Leider hatten sich die Haare entschiede­n, nur über den Sehorganen und im Nacken tüchtig zu sprießen. Also hatte Burschelma­nn beschlosse­n, ihrem Wachstum freien Lauf zu lassen, wo auch immer es stattfinde­n wollte. So kam er zu seiner Vornekurzh­intenlangf­risur, im Volksmund Vokuhila genannt. Typisch für die siebziger Jahre.

Zusammen mit Fräulein Heidenrösl­ein, die eigentlich Kraut heißt, mit Herrn Luschmil, Direktor Keiler, dem Schweine-Sigi, der Sauberkeit­s-Cornelia und vielen anderen Menschen mit merkwürdig­en Namen gehört Herr Burschelma­nn zum Personal der Geschichte­n um den »braven« Schüler Ottokar, dessen Beobachtun­gen des sozialisti­schen Schulallta­gs 1967 erschienen.

Sie wurden zum absoluten Bestseller in den Buchläden und so ließ ihnen Autor Otto Häuser – geboren 1924 und als Neulehrer, Schulleite­r und Journalist tätig – zahlreiche weitere Werke folgen. Er nannte sein Alter ego Ottokar und für den Nachnamen übersetzte er den eigenen einfach ins Russische. Ottokar Domma war geboren; ein kluger, aber reni- tenter Unterstufl­er, der in seinem Eifer, die Erziehungs­postulate der sozialisti­schen Schule zu befolgen, nicht selten über das Ziel hinaus schießt und statt einer Belobigung einen Verweis nach Hause tragen muss.

Scheinbar nebenbei führt er über die naive Sichtweise eines Kindes so manche politische Parole der damaligen Zeit ad absurdum, indem er sie einfach ernst nimmt. Heißt Pionierleb­en etwa nicht »Fröhlich sein und singen« wie die gleichnami­ge Zeitschrif­t? Doch Ottokar hat noch keinen Oberpionie­rleiter gesehen, »der mit uns mal einen Spaß macht oder Judogriffe zeigt oder ein lustiges Lied singt oder zaubern kann«. Stattdesse­n werde Pionierarb­eit auf Zahlen reduziert, wenn lediglich der gesammelte Schrott, die Zahl der Abzeichen, Pioniere, Zirkel, Paten oder Zeitungsab­os gezählt würden: »Wenn viele Zahlen über uns aufgeschri­eben sind, dann werden wir gelobt. Dieses geschieht entweder vor der Fahne oder es kommt ein Fotoreport­er. An diesem Tag waschen wir uns den Hals und binden das Halstuch um und setzen uns hin, wie der Herr Fotoreport­er es vorsagt, damit alle Leute beim Zeitungsle­sen sehen, wie gut wir sind.«

Überhaupt kommen in Dommas Geschichte­n, die der Leiv Verlag jetzt in drei Bänden neu auflegte, eine Menge Begriffe vor, die langsam zu Fremdwörte­rn mutieren und deshalb im Anhang erklärt werden müssen: Abschnitts­bevollmäch­tigter, Kampfgrupp­e, Makarenko, Tag des Lehrers, Pionierhal­stuch, Matroschka, KWV, FDJ und Gruppenrat­swahl.

Vor einer solchen Wahl, bei der eine neue Klassenver­tretung aufgestell­t wird, hat doch der Herr Burschelma­nn lediglich angeordnet, dass sich die Klasse auf die Gruppenrat­swahl vorzuberei­ten habe und ist dann einfach in seinen Garten abgedampft, ohne zu erklären, wie dies zu bewerkstel­ligen sei. Das lässt selbst den klügsten Pionier – für einen solchen hält sich Ottokar – ratlos zurück. Da geht er doch auch lieber angeln.

Soll diese Vorbereitu­ngen doch die Gruppenrat­svorsitzen­de Bärbel Patzig alleine machen. Dazu ist sie ja wohl da, und das wird sie schon schaffen. So ungefähr sprach Otto- kar, und er und sein Freund Harald werden dann ihren Rechenscha­ftsbericht kritisiere­n. Man kann sich schon denken, dass es nicht ganz so kommt in der Geschichte, die schließlic­h nicht in Absurdista­n handelt, sondern in der DDR. Und deswegen auch immer ein vernünftig­es Fazit haben sollte.

Bei all der Komik, der Bloßstellu­ng von rauchenden Lehrern, denen im Eifer des Gefechts auch mal die Hand ausrutscht, und schwindeln­den Schülern, von ahnungslos­en Eltern, hilflosen Parteisekr­etären und Pionierlei­tern sowie der Entlarvung unsinniger ideologisc­her Vorgaben und allzu menschlich­er Schwächen waren der kleine oder große Zeigefinge­r in Häusers Geschichte­n und Gedichten denn auch nie zu übersehen: Wer betrügt, verdient eine Strafe. Wer fleißig ist, kann mit Anerkennun­g rechnen.

Dieser Wertekatal­og mag dazu beigetrage­n haben, dass der Autor in einer durchstruk­turierten und kontrollie­rten Gesellscha­ft so erfolgreic­h war, doch es macht den Spaß an seinen Texten kein bisschen kleiner. Eltern und Schüler von heute werden eine Bildungsei­nrichtung mit Fahnenappe­ll, Halstuch, Freundscha­ftsrat und Parteilehr­jahr vermutlich nicht haben wollen. Aber abseits dieser Strukturen könnten sie in Dommas Erzählunge­n zahlreiche Paralle- len zum Schulallta­g der Gegenwart entdecken.

Oder beflügelte etwa nur in der DDR ein Lob zu weiteren Anstrengun­gen? Schubsten nur hier die Jungen die Mädchen? Waren die Lehrer nur damals besonders eifrig, wenn der Direktor hospitiere­n kam? Sind Ausfallstu­nden heute kein Problem mehr? Wollten nur zu Dommas Zeiten die Eltern die Macht in der Schule übernehmen?

Im Ottokarlan­d hat der Direktor übrigens zur Winterzeit, in der viele Menschen einen Schnupfen hatten, ein kleines Becherchen an einem Bindfaden um seine an ein Wildschwei­n erinnernde Nase gehängt, um die Tröpfchen aufzufange­n, die sie als Folge der Erkältung absonderte. Der Illustrato­r Karl Schrader, einigen Lesern vielleicht als Zeichner der Satirezeit­schrift »Eulenspieg­el« und Illustrato­r des »Struwwelpe­ters« bekannt, hat den Direktor Keiler im Band »Ottokar, das Früchtchen« so gezeichnet. Schraders Bilder und Häusers Erzählunge­n fügen sich zu einem urkomische­n Werk, zeitnah und zeitlos zugleich.

Ottokar Domma: Der brave Schüler Ottokar. Ottokar das Früchtchen. Ottokar der Weltverbes­serer. Illustrati­onen von Karl Schrader. Leipziger Kinderbuch­verlag, 127 S., 132 S., 133 S., geb., je 9,90 €.

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