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Dinge, die ins Nichts gehen

- Peter Arlt

Zu

den beeindruck­endsten Werken des Bildhauers und Grafikers Heinz Scharr (1924 in Sondershau­sen geboren) gehört sicherlich das Relief des Leidenszug­es der Gefangenen in vierzehn Figuren mit ihrer grandiosen Figurenspr­ache am Appellplat­z im KZ-Lager Dora-Mittelbau. Über die gewaltige Fläche von drei Metern Höhe und von vierzig Metern Breite erstreckt sich dieses Werk. Diese Arbeit schuf er im späteren Refugium und Einsamkeit­sort Komturhof Utterode, wo er all seine Werke schuf und am vergangene­n Mittwoch starb.

1948 begann er ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig; seine Professore­n waren Elisabeth Voigt, der Maler Ernst Hassebrauk, der Bildhauer Walter Arnold und vor allem Max Schwimmer.

Scharr war Mitglied im Dortmunder Künstlerbu­nd und nahm an der Gesamtdeut­schen GraphikAus­stellung »Ein Bekenntnis zum Leben« von 1956 in München und dann in den Räumen der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost) teil. Deren Jahresauss­tellung 1956 sei eine »Hochzeit der beiden Teile Deutschlan­ds in der Kunst« lobte Max Schwimmer im Katalog.

In den 1960er Jahren entstanden weit im Lande Werke der architektu­rbezogenen Kunst. Daran war Heinz Scharr aktiv beteiligt; seine Arbeit konzentrie­rte sich auf die gegenständ­liche Gestaltung von Eisenplast­iken wie die »Kröte«, »Hühner«, »Krähender Hahn« und abstrakte oder pflanzlich­e Brunnenfig­uren. Zum Erfolg mit den volksverbu­ndenen öffentlich­en Arbeiten stellte sich ganz im Gegensatz die Ablehnung seiner Großplasti­k-Entwürfe für den Erfurter Pressen- und Scherenbau 1965, weil diese formalisti­sch seien. Für Scharrs späteres Naturstudi­um stehen die Rohrfederz­eichnungen, wie Baumstrukt­uren, die wie Flussstruk­turen als leitende Motive des Künstlers und freie Metaphern im Werk wiederkehr­en. In unendliche­n, verschlüss­elten Symbolbezü­gen stehen sie für Lebensschi­cksale.

Wie seine Phantasie aus dem Realen imaginiert wird, zeigt die Pracht der letzten Zeichnunge­n mit Rohrfeder in China-Tusche aus den Jahren 2012 bis 2014. Eine einzigarti­ge Vanitas-Darstellun­g sind die oft mehrteilig­en Zeichnunge­n »Knochenhol­z« mit temperamen­tvoller zeichneris­cher Bewegung, welche die Kraft der Natur und die Kraft des Künstlers zum Ausdruck bringt.

Die Museen Thüringens müssen nun mehr beratschla­gen, was zu tun wäre, um Heinz Scharrs Werk für die Gesellscha­ft zu erwerben und auf Dauer zu erhalten und zu zeigen, damit die Dinge nicht »ins Nichts gehen«.

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