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Bloß nichts vermasseln

Chris Froome fährt in Spanien mit letzter Kraft, dennoch soll es zum ersten Gesamtsieg bei der Vuelta reichen

- Von Tom Mustroph, Gijón

Vor allem der scheidende Alberto Contador macht dem Tourgesamt­sieger Christophe­r Froome auf der Vuelta das Leben schwer. Der Brite wirkt angreifbar. Die Vuelta á España ist noch einmal spannend geworden. Gut, Chris Froome trägt seit dem Abend der dritten Etappe das Rote Trikot des Gesamtführ­enden. Er hat auch ein sehr starkes Team um sich. Der mögliche Vueltasieg, es wäre sein erster, kann dem Briten aber erneut durch die Finger rutschen: »Es ist für mich offenbar schwerer, die Vuelta zu gewinnen als die Tour. In Frankreich habe ich vier Mal gewonnen, in Spanien noch kein einziges Mal. Und auch jetzt wird es schwer.«

Drei Dinge setzen ihm zu: Seine nach dem Spitzenwer­t bei der dritten Tourwoche wieder abflachend­e Formkurve, ein unberechen­barer Gipfel wie der Angliru, der am Sonn- abend die Entscheidu­ng bringen wird, und ein unberechen­barer Alberto Contador. Der Spanier hat zwar selbst nur noch äußerst geringe Aussichten auf den obersten Podestplat­z. Aber seine fortwähren­den Attacken machen das Rennen schnell. Als »pure Pyrotechni­k« und »echtes Dynamit« feiern spanische Medien die Angriffsse­rien ihres Lokalhelde­n bei dessen Abschiedst­our.

Eine Attacke von Contador hatte Team Sky schon im vergangene­n Jahr die Vuelta vermasselt und den Weg frei gemacht für den Gesamtsieg­er Nairo Quintana. Profiteur im Jahr 2017 ist Vincenzo Nibali. Der Italiener holte, nachdem Contador die Favoriteng­ruppe mit einem mächtigen Antritt kurz durchgesch­üttelt hatte, auf dem Altos de Los Machucos 42 Sekunden auf Froome heraus. Der Brite wirkte da angeschlag­en, konnte nicht einmal dem Tempo seiner Helfer folgen und musste sie um Drosselung bitten. »Das war ein Berg, an dem ein Team nicht so viel helfen kann. Er ist sehr unrhythmis­ch zu fahren. Es zählt mehr der Kampf Mann gegen Mann«, charakteri­sierte Paolo Slongo, Trainer von Nibali, den Anstieg. Und er fügte lachend hinzu: »Der Angliru ist ähnlich, nur viel, viel länger.«

Die Hoffnung, Froome hier zu bezwingen, besteht noch im Lager von Team Bahrain. Die Mannen rings um Nibali strotzen zwar nicht vor Überzeugun­g, dass der Coup gelingen kann. Aber sie haben realistisc­he Aussichten. Interessan­terweise geht es dabei mal nicht darum, den Kapitän Froome von seinen Helfern zu isolieren. Nein, er kann ruhig von allen Sky-Fahrern umgeben sein: Sie können ihm nicht helfen: Wegen des immerwähre­nden Auf und Ab können sie kein kontinuier­liches Tempo fahren.

Im Sky-Lager ist man sich der Gefahren bewusst. »Der Angliru ist ein tückischer Berg. Es kommt nicht unbedingt darauf an, wie gut deine Beine sind. Du musst dir hingegen das Rennen sehr gut einteilen. Jeder Feh- ler, den du da machst, kann mit Minuten bestraft werden«, sagte Nicolas Portal, sportliche­r Leiter von Sky, gegenüber »nd«.

Das Projekt Krafteinte­ilung dürfte zusätzlich von Contador erschwert werden. Der Spanier kämpft bei seiner letzten Vuelta noch um seinen Platz in der Geschichte des Radsports. Gern würde er seine Laufbahn mit einem Sieg auf diesem Gipfel krönen. 2008, in den Jahren seiner absoluten Dominanz im Radsport, gewann er hier. Er weiß also, wie der Gipfel zu bezwingen ist.

Noch wichtiger als ein Sieg ist ihm in diesem Abschiedsj­ahr aber die Show: Attacken also, die auch dann auf Youtube bestaunt werden, wenn er in seiner Stammkneip­e »Los Trazos« in Pinto längst mit den Kumpels ein paar Bier zischt und sich nicht darum scheren muss, am nächsten Morgen zum Training aufzubrech­en.

Was Froome aber wohl am meisten zu schaffen macht, mehr als das Profil des Berges, mehr als der unbe- rechenbare Contador, ist sein eigener Körper. »Ich habe meinen Formhöhepu­nkt in diesem Jahr etwas weiter nach hinten gelegt, um das Projekt Double möglich zu machen«, meinte der Brite. Das erklärt, warum er bei der Tour de France am Anfang angreifbar wirkte und erst in der letzten Woche zur alten Souveränit­ät fand.

Es erklärt auch, warum er die Vuelta so stark begann, eben seit dem dritten Tag in Rot fährt. »Aber ich glaube, er hätte dort am Anfang gern noch mehr Vorsprung herausgefa­hren. Jetzt macht sich bemerkbar, dass er die Tour in den Beinen hat«, schildert Nibali-Betreuer Slongo seine Beobachtun­gen. »Fahrer wie Nibali oder Zakarin, die den Giro fuhren und dann eine Pause machten, sollten am Ende frischer sein. Das sagt die Theorie. Und wir sehen es auch schon jetzt auf der Straße.«

Froome weiß das natürlich auch. Er fährt gegen die schwindend­en Kräfte seines Körpers. Ein fasziniere­ndes Finale kündigt sich an.

 ?? Foto: imago/Agencia EFE/Javier Lizon ?? Die Ruhetage auf der Vuelta hat Chris Froome in diesem Jahr ganz besonders genossen: Am Ende der Saison schwinden beim Toursieger die Kräfte.
Foto: imago/Agencia EFE/Javier Lizon Die Ruhetage auf der Vuelta hat Chris Froome in diesem Jahr ganz besonders genossen: Am Ende der Saison schwinden beim Toursieger die Kräfte.

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