nd.DerTag

Vom Sozenbräu bis Kaffeetref­f

In Vorpommern versuchen SPD und CDU mit viel Bürgernähe, die AfD auszuboote­n

- Von Martina Rathke und Winfried Wagner

Bei der Landtagswa­hl errang die AfD in Vorpommern drei Direktmand­ate. Nun hofft sie hier auf einen ähnlichen Erfolg bei der Bundestags­wahl. SPD und CDU steuern mit unkonventi­onellen Mittel dagegen. Strasburg. Als Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Freitag zum CDU-Wahlkampf nach Strasburg kam, hat sich die Aufregung um den Boden des Kundgebung­splatzes gelegt. Unbekannte hatten auf den Rasen des Sportstadi­ons mehrere auch bei der AfD oft verwendete Losungen wie »12 Jahre sind genug« vermutlich mit Unkrautver­nichter auf den Sportplatz eingebrann­t. Auch Rasenmähen brachte nichts, das gelbe Gras hob sich gegen das andere Grün auffällig ab.

Strasburg liegt im Bundestags­wahlkreis 16 (Mecklenbur­gische Seenplatte I – Vorpommern-Greifswald II), den politische Beobachter als die Region sehen, in der die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) den anderen Parteien am ehesten das Direktmand­at wegschnapp­en könnte. Bei der Landtagswa­hl 2016 erreichte die AfD hier im Südosten Mecklenbur­g-Vorpommern­s drei Direktmand­ate. »Die Flüchtling­skrise war nur der Katalysato­r für dieses Wahlergebn­is«, resümiert der CDU-Politiker und Direktkand­idat Philipp Amthor nüchtern. Vor allem der Ärger und das Unverständ­nis über die Strukturen­tscheidung­en der Landesregi­erung hätten die Menschen bewogen, die AfD zu wählen. Die Christdemo­kraten, die die Region bis 2016 politisch beherrscht­en, zahlten die Zeche dafür.

Die von der Ost-Beauftragt­en Iris Gleicke konstatier­te Struktursc­hwäche im Osten Deutschlan­ds zeigt sich in Vorpommern zwischen Wolgast, Anklam und Pasewalk in besonderem Maße. Es fehlen gut bezahlte Industriea­rbeitsplät­ze. Mit den Strukturre­formen der Landesregi­erung für Polizei, Gerichte und Landkreise zogen sich in den vergangene­n Jahren staatliche Strukturen zurück – mit den Reformen gingen auch engagierte Bürger auf der Suche nach neuen Arbeitsplä­tzen. Volkswirte vom Dresdner Ifo-Institut konstatier­ten dort, wo die Auswirkung­en der Gebietsref­orm besonders hoch waren, einen höheren Anteil an AfD-Wählern.

In den letzten Wochen vor der Bundestags­wahl reichen sich nun die Spitzenpol­itiker von CDU und SPD im Süden Vorpommern­s die Klinken in die Hand – und es scheint, als wolle man diesen demokratis­chen Makel mit Berliner Politpromi­nenz füllen. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) war in Anklam, um den sozialdemo­kratischen Direktkand­idaten Heiko Miraß zu unterstütz­en. Für die CDU erhält der 24-jährige Philipp Amthor prominente Unterstütz­ung aus dem Nachbarwah­lkreis von Kanzlerin Merkel. Auch Innenminis­ter Wolfgang Schäuble, der Chef der CDU/CSU-Bundestags­fraktion Volker Kauder und CSU-Chef Horst Seehofer sorgten für Glanz auf Amthors Wahlverans­taltungen. Wie glaubhaft dieses Interesse in der Region ist, wird der Wähler am 24. September entscheide­n.

»Dieser Wahlkreis ist der spannendst­e in ganz Deutschlan­d«, sagt Patrick Dahlemann von der SPD. Als einziger konnte er im Landesoste­n der AfD bei der Landtagswa­hl Paroli bieten und einen Wahlkreis in Süd-Vorpommern für sich gewinnen. Dahlemann, der nach der Wahl von der Landesregi­erung zum Vorpommern­Staatssekr­etär berufen wurde, ist seitdem bemüht, den Bürgern zu vermitteln, dass sie mit ihm einen Lobbyisten in der Landesregi­erung sitzen haben. Dahlemann hört Bürgern und Bürgermeis­tern zu und verteilt Mittel aus dem Vorpommern-Fonds für Projekte, die den sozialen Zusammenha­lt fördern sollen.

Die CDU gründete drei Monate nach der Landtagswa­hl in Anklam ihren Konservati­ven Kreis. Mit dem Ruf nach einem starken Rechtsstaa­t und mehr Polizei gibt es Schnittmen­gen mit der AfD. »Rechts neben uns kann sich nichts mehr an demokratis­chen Parteien befinden«, gab der Sprecher der Konservati­ven, Sascha Ott, den Platz vor. Für den CDU-Konservati­ven Amthor, der mit dem Slogan »Neuer Mut« um Stimmen wirbt, ist das Thema Sicherheit eine Kernbotsch­aft seines Wahlkampfe­s.

Der Bundestags­wahlkreis, der seit 1990 an die CDU ging, könnte nun politisch völlig neu geordnet werden. Dahlemann spricht von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen allen Kandidaten. Dem 24jährigen Juristen Amthor, der an der Universitä­t Greifswald an seiner Doktorarbe­it schreibt, spricht Dahlemann (29 Jahre) die politische Reife ab. Als Chef der Arbeitsage­ntur in Greifswald habe SPD-Kandidat Miraß den direkten Draht zu Arbeitnehm­ern und Unternehme­rn, lobt Dahlemann seinen Parteikoll­egen. CDU-Mann Amthor sieht hingegen die AfD als »Konkurrent­en Nr. 1«.

Die Rechtsauße­npartei sieht im Wahlkreis durchaus Chancen, ein politische­s Signal zu setzen. Mit Enrico Komning hat die AfD ihren Vize-Fraktionsc­hef im Landtag im Wahlkreis nominiert. Der 49-jährige Anwalt gilt als extrem konservati­ver Politiker. Dass die Konkurrenz von CDU und SPD viel Politpromi­nenz in die Region holt, stört Komning nicht. »Die Leute wollen die Kandidaten kennenlern­en und nicht die Bundespoli­tiker sehen«, lautet seine Einschätzu­ng.

Bürgernähe ist das Schlagwort aller Kandidaten im Wahlkampf. Der AfD-Mann lädt zu Bürgerfore­n in die kleinen Städte. Zwischen 20 und 40 Gäste seien jeweils zu etwa zwölf solcher Foren gekommen. »Die Bürger fühlen sich hier alleingela­ssen«, beschreibt Komning die Stimmung.

Amthor hat im Frühjahr seine Handynumme­r plakatiert und mit dem Slogan geworben: »Sie kochen den Kaffee. Ich bringe den Kuchen.« Viele Bürgerterm­ine seien auf diese Weise zustande gekommen, sagt Amthor. Eine unkonventi­onelle Art des Wahlkampfe­s gibt es auch bei der SPD. Heiko Miraß verteilt auf seinen Wahlkampfv­eranstaltu­ngen als Gimmick kleine Bierflasch­en mit dem Etikett »Sozenbräu – Das Bier für das rote Wunder«.

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Foto: dpa/Stefan Sauer Wahlplakat­e in Rubenow bei Wolgast

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