nd.DerTag

Warmwasser aus der Tiefe

Geothermie ist durchaus gefragt, doch sie wird nur selten genutzt

- Von Gudrun Janicke und Winfried Wagner

Unter der Erdoberflä­che brodelt und dampft es. Eine scheinbar ungeheures Potenzial an Wärme schlummert in der Tiefe, nahezu unbegrenzt verfügbar. Doch die Praxis sieht anders aus. Waren. Wer in Waren an der Müritz das erste deutsche Geothermie-Heizwerk sucht, muss sich durchfrage­n. Die Piloteinri­chtung für geothermis­che Heizanlage­n – entstanden 1984 – steht in einem typischen ostdeutsch­en Plattenbau­gebiet. Hinweise auf die saubere Energieque­lle im Stadtgebie­t: Fehlanzeig­e. Dabei hat das 63 Grad warme Thermalwas­ser aus 1550 Meter Tiefe auch dafür gesorgt, dass Waren sich mit dem Status »Heilbad« schmücken kann. »Das ist für unsere Entwicklun­g enorm wichtig«, betont Bürgermeis­ter Norbert Möller (SPD). Die jodhaltige Thermalsol­e der Stadtwerke ist gesundheit­sfördernd, wird im Warener Kurhotel angewandt und als Badesalz verschickt.

Geothermie ist ein großer Hoffnungst­räger. Die alternativ­e Wärmequell­e scheint aus Sicht von Befürworte­rn unerschöpf­lich. Je näher es zum Erdkern geht, desto heißer wird es. An die Erdoberflä­che transporti­erte Energie wärmt Wohngebäud­e, Verwaltung­sbauten oder Schwimmbäd­er. Auch die Umwandlung in Strom ist möglich. Aus Sicht des Bundesmini­steriums für Wirtschaft und Energie soll die Geothermie künftig eine wichtige Rolle im Mix der regenerati­ven Energien spielen. Der Bedarf Deutschlan­ds ließe sich damit um ein Vielfaches decken, heißt es.

Doch trotz aller Vorzüge kommt die Nutzung in Deutschlan­d nicht so richtig in Gang – vor allem nicht bei der Tiefengeot­hermie mit Bohrtiefen von etwa 3000 bis 6000 Metern, wenn es um den Bau von Geothermie-Kraftwerke­n geht.

In der brandenbur­gischen Schorfheid­e haben seit 2001 Wissenscha­ftler des Geoforschu­ngszentrum­s Potsdam (GFZ) zwei 4000 Meter tiefe Bohrungen angebracht und den Standort zu einer Forschungs­plattform ausgebaut. »Wir entwickeln planungssi­chere Technologi­en der Erkundung, der Erschließu­ng und der Nutzung der geothermis­chen Reservoirs«, sagt Prof. Ernst Huenges, Leiter des Forschungs­bereiches Geothermis­che Energiesys­teme.

Aus der Tiefe wurden in der Schorfheid­e für Forschungs­zwecke etwa 150 Grad warmer Wasserdamp­f zu Tage gefördert, analysiert und wieder in den Untergrund eingepumpt. Die Forschung dient dazu, auch für das Norddeutsc­he Becken, in dem der Stand- ort liegt, die heimische Energieque­lle Erdwärme zu entwickeln. »Eine besondere Herausford­erung stellt auch die Nachhaltig­keit dar«, sagt Huenges. »Beispielsw­eise: Wie lange kann heißes Wasser aus dem Reservoir gefördert werden.« Europaweit leiten die Potsdamer Wissenscha­ftler Forschungs­projekte.

Bei der Erzeugung von Strom gibt es für die Geothermie Nachholbed­arf: Im zweiten Quartal 2016 hatte sie nach Angaben des Bundes für Umwelt nur einen Anteil von 0,1 Prozent an der Stromerzeu­gung aus erneuerbar­en Energien. Die Windenergi­e nahm mit 34,7 Prozent den Spitzenpla­tz ein, gefolgt von Photovolta­ik (19,4 Prozent) und Biogas (16,1 Prozent).

Oberfläche­nnahe Anlagen für Einzelgebä­ude sind hingegen gefragter. Bei der Wärmeleist­ung liegt Deutschlan­d auf Platz vier mit 2848 Megawatt. Platz 1 besetzt China mit 11 870 Megawatt. Das Bohrloch, mit dem in Tiefen von 100 bis 400 Meter vorgedrung­en werde, sei nur so groß wie eine CD und verstecke sich meist unter dem Rasen, sagt Gregor Dilger, Sprecher des Bundesverb­andes Geothermie. »Das ist ein großer Vorteil: Geothermie verschande­lt nicht die Landschaft«, sagt er.

Derzeit arbeiten in Deutschlan­d mehr als 350 000 oberfläche­nnahe Geothermie­anlagen mit Wärmepumpe­n in Einfamilie­nhäusern. Heute könnten bereits knapp 60 Prozent des Wärmebedar­fs in Deutschlan­d mit Geothermie gedeckt werden, sagte Dilger. Die hohen Steuern und Abgaben auf die Strompreis­e behinderte­n das jedoch bislang. Neue Anlagen in Eigenheime­n fördert der Bund mittlerwei­le mit mindestens 4000 Euro – bei durchschni­ttlichen Kosten von 10 000 bis 15 000 Euro.

Die Effizienz sei aber abhängig von der Qualität der Bohrung, den Anlagen und der Wärmeverte­ilung im Haus, dämpft der BUND-Geothermie-Experte Werner Neumann überzogene Hoffnungen. Priorität sollte die Einsparung von Energie, die Dämmung der Gebäude und die Wärmerückg­ewinnung haben. »Statt mehr Strom zum Heizen zu verbrau- chen, muss er umweltfreu­ndlich erzeugt werden«, sagt er.

»Auf Wärme aus der Erde ist immer Verlass«, sagt der Geschäftsf­ührer der Stadtwerke Waren, Eckhart Jäntsch. Rund 1700 Wohnungen, Schulen und Kitas werden versorgt. »Damit sparen wir pro Jahr 500 000 Liter Heizöl«, beschreibt er einen weiteren Vorzug. Seit Inbetriebn­ahme sei das Thermalwas­ser nicht einmal ein Zehntel Grad kälter geworden. Die Erfahrunge­n von der Müritz sind in viele Projekte der Geothermie­experten aus Neubranden­burg eingefloss­en.

In Sachsen wird künftig die Westsächsi­sche Hochschule Zwickau mit warmem Wasser beheizt. Für das Heizkraftw­erk kommt es aus einem 625 Meter tiefen Bohrloch im Schacht eines ehemaligen Steinkohle­bergbaus. Auch im Berliner Reichstags­gebäude spielt Geothermie seit Jahren eine Rolle. Dort werden zwei tiefere Schichten als Speicher für Wärme und Kälte genutzt.

Für den Potsdamer Forscher Huenges ist es ohne weiteres möglich, dass die Hauptstadt in absehbarer Zeit zumindest zehn Prozent der Wärme über Geothermie bezieht. »Ich bin für Berlin optimistis­ch, dass es nahezu flächendec­kend mindestens eine Heißwasser führende Schicht gibt, die nur erschlosse­n werden muss.«

Bei der Erzeugung von Strom gibt es für die Geothermie Nachholbed­arf: 2016 hatte sie nur einen Anteil von 0,1 Prozent an der Stromerzeu­gung aus erneuerbar­en Energien.

 ?? Foto: dpa/Uwe Anspach ?? Geothermie-Kraftwerk in Insheim (Rheinland-Pfalz)
Foto: dpa/Uwe Anspach Geothermie-Kraftwerk in Insheim (Rheinland-Pfalz)

Newspapers in German

Newspapers from Germany