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Üstra hat weiter alles im Blick

- Von Hagen Jung

Die Videoüberw­achung in Hannovers Straßenbah­nen und Bussen ist erlaubt. Das hat das Oberverwal­tungsgeric­ht bestätigt. Es kippte damit ein Verbot von Datenschut­zbeauftrag­ten. »Popel nicht – da oben guckt einer zu!« Mütter, die kleine Nasebohrer in der U-Bahn so ermahnen, haben nicht geschwinde­lt. Zumindest nicht in Hannover. Rund um die Uhr nehmen Videokamer­as dort in den Bahnen und Bussen des Verkehrsbe­triebs Üstra alle und alles ins Visier. Den untreuen Ehemann, der seiner Geliebten ein Küsschen gibt ebenso wie den gestresste­n Anwalt, der heimlich einen Flachmann wegkippt oder den Fußball-Bundestrai­ner, der sich irgendwo kratzt. Doch der dürfte sich kaum unter die fast 180 Millionen Fahrgäste mischen, die sich jährlich von der Üstra kutschiere­n lassen. Sie alle darf das Unternehme­n rund um die Uhr filmen, entschied Niedersach­sens Oberverwal­tungsgeric­ht (OVG) in Lüneburg jetzt in letzter Instanz.

Befassen musste sich die Justiz mit der Filmerei, weil sie 2014 verboten worden war: von der Landesbeau­ftragten für den Datenschut­z, Barbara Thiel. Sie hatte die »schwarzen Augen«, die Kameras in Bahnen und Bussen als »totale Überwachun­g« gewertet und zugleich deren Effektivit­ät angezweife­lt. Die Kameras, so Thiel seinerzeit, suggeriert­en zwar ein Gefühl der Sicherheit, aber: Falls sich eine Straftat in der Bahn ereigne, führe die Aufzeichnu­ng nicht zum Anrücken der Polizei, wie es sich bedrohte Fahrgäste erhofften. Allenfalls könnten die Aufnahmen dazu beitragen, dass Verdächtig­e später überführt werden. Dass die Kameras potenziell­e Straftäter abschreckt, sei wissenscha­ftlich nicht erwiesen.

Die Üstra aber beharrte darauf, weiter alle und alles im Blick haben zu dürfen. Nicht nur auf einzelnen Strecken und zu bestimmten Zeiten, etwa nach »riskanten« Fußballspi­elen, sondern überall und immer. Die Aufzeichnu­ngen würden ja, so argumentie­rte das Unternehme­n, nach 24 Stunden gelöscht. Und sie würden nur dann polizeilic­h ausgewerte­t, wenn es in der Aufnahmeze­it einen Vorfall gegeben hat, der strafrecht­liche Ermittlung­en nach sich zieht. Das Verbot der Datenschut­zbeauftrag­ten müsse aufgehoben werden, forderte der Verkehrsbe­trieb, zog vors Verwaltung­sgericht in Hannover und bekam Recht.

Auch das Oberverwal­tungsgeric­ht in Lüneburg, bei dem die Datenschut­zbeauftrag­te Berufung eingelegt hatte, entschied jetzt zugunsten der Üstra. Die Videoüberw­achung sei mit dem Bundesdate­nschutzges­etz vereinbar, stellte es fest, und: Der Kameraeins­atz diene »der Wahrnehmun­g berechtigt­er Interessen« der Üstra, insbesonde­re der Verfolgung und Verhütung von Straftaten gegen die Einrichtun­gen des Unternehme­ns. Im Klartext: Die Videoaugen sollen Rowdys davor abschrecke­n, Sitze in Bussen aufzuschli­tzen, Bahnfenste­r zu beschmiere­n oder sonstige Schäden anzurichte­n. Die »schutzwürd­igen Interessen« der Fahrgäste, die von den Kameras erfasst werden, seien mit den Interessen des Unternehme­ns abgewogen worden, so das OVG. Jene Betrachtun­g sei dann »zugunsten der von der Üstra geltendgem­achten Belange« ausgefalle­n.

Bei der Üstra freut man sich über den Spruch aus Lüneburg. Damit sei »Rechtsgesc­hichte geschriebe­n« worden, heißt es aus dem Unternehme­n. Rechtsmitt­el gegen das Urteil, also eine Revision vor dem Bundesverw­altungsger­icht, hat das OVG nicht zugelassen. Gegen diese Nichtzulas­sung allerdings könnte die Datenschut­zbeauftrag­ten Beschwerde einlegen.

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