Die Frau, der die Herzen zufliegen
Noch vor sieben Wochen lag die Labourpartei in Neuseeland am Boden. Dann übernahm Jacinda Ardern.
Jacinda Ardern führt in Neuseeland vor, wie Politiker die Meinung der Bevölkerung in kürzester Zeit auf den Kopf stellen können. Ihr Charisma und ihr Kampfgeist begeistern die kleine Nation derzeit dermaßen, dass ihr Aufstieg bereits mit dem Emmanuel Macrons oder Justin Trudeaus verglichen wird.
Tatsächlich fällt Ardern in Teilen in die gleiche Kategorie. Sie ist mit erst 37 Jahren die jüngste Parteivorsitzende der Labourpartei, sieht gut aus und kommt alles andere als langweilig rüber. Ihr Mann ist Fernsehmoderator, sie legt gerne mal als DJ Musik auf, gönnt sich gelegentlich ein Gläschen Whisky und ist Katzenliebhaberin.
Die Herzen der Neuseeländer fliegen der Politikerin derzeit zu, die sich auch in den ersten Fernsehdebatten vor der Wahl am 23. September gut gegen den amtierenden konservativen Premierminister Bill English geschlagen hat. In einer Umfrage vergangene Woche erhielt die Labourpartei so viel Zustimmung wie schon seit zehn Jahren nicht mehr und überholte zum ersten Mal sogar die bisher regierende Nationale Partei. Von gerade mal 24 Prozent noch Ende Juli schnellten die Wahlprognosen auf 43 Prozent in die Höhe.
Dabei hat Ardern erst am 1. August den Parteivorsitz übernommen. Ihr Vorgänger Andrew Little, für den die Wahlplakate bereits gedruckt waren, warf damals für alle völlig überraschend das Handtuch, nachdem seine Umfragewerte im Keller waren. »Jeder weiß, dass ich gerade – und das auch noch ohne große Vorwarnung – den schlimmsten Job der Politik akzeptiert habe«, sagte Ardern damals. Aus der Opposition herauszukommen, sei hart, aber sie wolle die Wochen vor der Wahl nutzen, ihr Team zu stärken. Als ihren Stellvertreter holte sie Kelvin Davis an Bord, einen früheren Schuldirektor, der somit auch der erste Maori- Politiker in solch einer hohen Position ist.
Drei Wahlperioden, oder neun Jahre lang, war die konservative Nationale Partei in Neuseeland an der Macht, die sozialdemokratische Labourpartei galt bisher stets als weit abgeschlagen. Bis Jacinda Ardern die politische Bühne betrat und in dem kleinen Inselstaat mit seinen gerade mal 4,7 Millionen Einwohnern eine »Jacindamania« ausbrach, wie lokale Medien die Begeisterung betitelten. Die Partei bekam in den Tagen nach Arderns Antritt eine halbe Million neuseeländische Dollar (300 000 Euro) Spenden, 3500 Freiwillige meldeten sich umgehend für die Wochen des Wahlkampfes. Jacinda Ardern
Dass Ardern so viel Gehör bekommt, hat auch damit zu tun, dass die Konservativen ihr Zugpferd, den ehemaligen Premierminister John Key, verloren haben. Dieser trat im Dezember zurück, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und um seinem Nachfolger Bill English eine Chance zu geben, sich vor der Wahl am 23. September zu etablieren.
English und seine Partei können sich zwar einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik rühmen, doch Neuseelands Bevölkerung ist unzufrieden, nachdem die Hauspreise allein im vergangenen Jahr um 13 Prozent gestiegen sind. Lokale Medien sprechen bereits von einer Immobilienkrise. Neuseeland gehört inzwischen zu den Industrieländern mit den höchsten Raten an Obdachlosigkeit. Ein Haus in Auckland kostet im Durchschnitt inzwischen 850 000 Dollar (über 510 000 Euro). Labour punktet dagegen mit dem Vorschlag, im Falle eines Wahlsieges 100 000 neue und erschwingliche Häuser bauen zu lassen – was vor allem bei der jüngeren Generation gut ankommt.
Objektiv gesehen kann der 55 Jahre alte English, der zuvor Finanzminister war und Wirtschaft studiert hat, zwar mehr Erfahrung aufweisen als Arden, deren Lebenslauf nach dem Kommunikationsstudium wenig Greifbares beinhaltet. Sie war früh Parteimitglied, engagierte sich als Präsidentin der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend und sitzt seit 2008 im neuseeländischen Parlament.
Doch Ardern reitet auf der Welle der Sympathie. Die 37-Jährige ist rhetorisch stark und gewitzt. Dies bewies sie nicht zuletzt, als sie gleich zu Beginn ihres Parteivorsitzes von den Medien gefragt wurde, ob sie sich Kinder wünsche und darauf zwar einging, den Moderator aber gleichzeitig resolut zurechtwies: »Es ist im Jahr 2017 total inakzeptabel zu sagen, dass Frauen diese Frage am Arbeitsplatz beantworten müssen.« Es sei die Entscheidung jeder einzelnen Frau, wann sie Kinder haben wolle, und das sollte nicht ausschlaggebend dafür sein, ob sie einen Job bekomme.
Ihr starkes Auftreten brachte ihr internationale Berichterstattung ein, etwas, das die Neuseeländer nicht wirklich gewöhnt sind. Der offene Sexismus, der zuvor auch schon anderen kinderlosen Staatschefinnen wie Australiens früherer Premierministerin Julia Gillard oder der derzeitigen britischen Premierministerin Theresa May entgegengeschlagen war, erzürnte die neuseeländischen Frauen und brachte Ardern zusätzlich Unterstützer ein.