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Fliegen ist bahnbreche­nd

Die Luftfahrt gehört zu den am besten subvention­ierten Branchen, auch wenn immer wieder Gesellscha­ften wie Air Berlin das Handtuch werfen.

- Von Jörg Staude

In drei Monaten kommt so ein Tag, den Umweltschü­tzer herbeisehn­en, aber selten erleben: Am 10. Dezember wird die neue ICE-Strecke von Berlin nach München endlich ihren Betrieb aufnehmen. Statt etwa sechs Stunden sollen Reisende dann mit dem ICESprinte­r weniger als vier Stunden für die knapp 600 Kilometer benötigen. Per Flugzeug geht es, ebenfalls gerechnet von Innenstadt zu Innenstadt, mit dreieinhal­b Stunden im Normalfall dann immer noch etwas schneller. Dennoch hofft die Deutsche Bahn (DB), dass sie ihren Marktantei­l auf der Verbindung Berlin-München von »derzeit 20 auf 40 Prozent verdoppeln wird«, so ein DBSprecher.

Rein rechnerisc­h wäre deutlich mehr drin. Laut den Angaben der DB wächst ab dem 10. Dezember ihr Platzangeb­ot zwischen Berlin und München unter der Woche um etwa 90 Prozent. Damit könnten täglich 10 000 Fahrgäste mehr reisen. Freitags und sonntags, wenn die Bahn schon jetzt mehr Plätze bereithält, soll das Angebot um gut 50 Prozent zulegen, sagt die Bahn.

Alles in allem stehen damit ab Dezember zwischen Berlin und München auf der Schiene jährlich drei Millionen Plätze mehr zur Verfügung. Rein rechnerisc­h reicht das allemal, um die eine Million Flugpassag­iere, die jedes Jahr parallel die am stärksten frequentie­rte Inlandsflu­glinie Deutschlan­ds nutzen, auf die Schiene umzulenken.

Zuletzt war das auf der so genannten Ultrakurzs­trecke von Berlin nach Hamburg gelungen. Nachdem die Auslastung ihrer Flugzeuge auf unter 30 Prozent gesunken war, zog die Lufthansa im Jahr 2002 die Reißleine. Bei zwei Stunden Bahnfahrt von der Haupt- zur Hansestadt lohnte sich schon damals der Weg zum Flughafen nicht mehr.

Wie sich zwischen Berlin und München – bei dreifacher Entfernung und doppelt so langer Fahrzeit – das Verhältnis von Luft und Schiene künftig gestaltet, lässt sich heute kaum abschätzen, meint der Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL). Auf jeden Fall hält der Lobbyverba­nd der Airlines die ICE-Strecke für eine »echte Alternativ­e« zur Flugverbin­dung und rechnet mit Verlagerun­gen. Es werde allerdings, räumt die DB ihrerseits ein, immer einen »gewissen Prozentsat­z« von Leuten geben, die aus verschiede­nen Gründen, zum Beispiel weil sie in München einen internatio­nalen Anschlussf­lug haben, das Verkehrsmi­ttel nicht wechseln werden.

Für relevant für die Entscheidu­ng, ob mit der Bahn oder dem Flieger, hält der Luftverkeh­rsverband vor allem zwei Faktoren: die Reisezeit und den Preis. Über den letzteren nach dem Fahrplanwe­chsel weiß man noch nichts Genaues. Aktuell kostet Berlin-München in der 2. Klasse ohne Reservieru­ng zwischen knapp 30 Euro mit Zugbindung und um die 130 Euro ohne Zugbindung.

Mit dem Flieger kostet – wie bei der Bahn Gepäck inbegriffe­n – das One-Way-Ticket Berlin-München bei der führenden deutschen Airline aktuell etwas mehr als 120 Euro. Genau besehen müsste man, weil Flugticket­s ja nur für einem bestimmten Flieger gelten, den Preis mit dem Bahnticket mit Zugbindung vergleiche­n. Aber, Hand aufs Herz, wer rechnet schon so?

Die 120 Euro sind übrigens gar nicht weit entfernt vom durchschni­ttlichen Preis für ein One-Way-Ticket im nationalen und internatio­nalen Luftverkeh­r. Dieser lag nach Branchenan­gaben im Jahr 2014 bei 184 Euro, einschließ­lich aller Steuern und Gebühren.

Doch was bleibt davon bei den Fluggesell­schaften hängen? Damals soll deren Erlös bei 0,9 Prozent des Umsatzes gelegen haben, 2016 bei 4,9 Prozent. Im Schnitt haben die beiden deutschen größten Fluggesell­schaften Lufthansa und Air Berlin zwischen 2006 und 2016 einen Gewinnante­il von 2,3 Prozent am Umsatz erzielt, gibt der BDL an.

Das ist nicht gerade viel und zeigt: Der Konkurrenz­kampf in den Lüften ist hart und hat mit Air Berlin nicht die erste große Gesellscha­ft vom Markt gefegt. Airlines warnen deshalb allenthalb­en vor neuen »Belastunge­n«.

Tatsächlic­h aber gehört der Flugverkeh­r – neben dem Dieselauto und den Dienstwage­n der Premiumkla­sse – zu den am stärksten subvention­ierten Verkehrsmi­tteln überhaupt. Zwar gilt seit Anfang 2011 für alle Flüge von deutschen Flughäfen eine Luftverkeh­rssteuer, deren Aufkommen 2016 bei knapp über einer Milliarde Euro lag. Zugleich wird der Flugverkeh­r aber massiv bevorteilt. So schlägt die Steuerbefr­eiung für Flugbenzin nach Erhebungen des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirts­chaft jährlich mit 7,5 Milliarden Eu- ro zu Buche und die Mehrwertst­euerbefrei­ung für internatio­nale Flüge mit 4,4 Milliarden Euro.

An der Stelle muss man auch grundsätzl­ich fragen, wie ein Verkehrsmi­ttel wie das Flugzeug, das mit 200 Gramm je Personenki­lometer fast 20 Mal so viel klimaschäd­liches CO2 ausstößt wie die Bahn, überhaupt eine preisliche Chance gegen die Schiene haben kann. Ein Grund dafür ist, dass der Flugverkeh­r noch immer und voraussich­tlich auf Jahre hinaus einem klimapolit­ischen Schonprogr­amm unterworfe­n wird. Zwar trägt der weltweite Flugverkeh­r etwa so viel wie Deutschlan­d zu den globalen Treibhausg­asemission­en bei. Im Pariser Weltklimav­ertrag wurde der Luftverkeh­r aber von jedweden Reduktions­verpflicht­ungen ausgenomme­n.

Die Branche versprach bisher nur, dass ab 2020 der Luftverkeh­r CO2neutral wachsen soll. Zusätzlich­e Emissionen sollen dann vor allem über Kompensati­onsmaßnahm­en »eingespart« werden, also durch in ihrem CO2-Effekt fragwürdig­e Maßnahmen wie Aufforstun­gen oder Klimaschut­zmaßnahmen in Entwicklun­gsländern. Dass sich die Branche vor allem viel »heiße Luft« zurechnen wird, ist schon jetzt ziemlich klar.

Solcher politische­r Ablasshand­el macht das Fliegen – künstlich – billig. Genauso wie die seit Jahren niedrigen Kerosinpre­ise, die sich derzeit auf dem Niveau der Jahre 2004 und 2005 bewegen. Heutige Flugzeuge sind aber viel besser ausgelaste­t und auch größer. Nach BDL-Angaben legte die durchschni­ttliche Auslastung der Flugzeuge von rund 69 Prozent 1990 auf heute 80,4 Prozent zu. Bei den von deutschen Flughäfen ins europäisch­e Ausland abgehenden Flügen waren – neuere Angaben sind nicht bekannt – im Jahr 2013 im Durchschni­tt 100 Passagiere an Bord, 2016 schon 108. 1990 hatte der Wert noch bei 69 Passagiere­n gelegen.

Die Vorteile summieren sich: Größere Flugzeuge bieten mehr Platz für Sitze und haben damit mehr Passagiere, während ihr Kerosinbed­arf »unterpropo­rtional steigt«, wie der Branchenve­rband erläutert. Größere Flugzeuge bewegten sich auch meist über längere Distanzen und in spritspare­nden großen Höhen.

Die Milliarden­subvention­en und die sinkenden Kosten durch das Prinzip »größer und mehr« allein können aber noch nicht erklären, warum Billigflie­ger, sogenannte Low-Cost-Carrier (LCC), Tickets für teilweise unter zehn Euro verschleud­ern können. Hier regiert offenbar ein anderes Geschäftsm­odell.

Nach Berechnung­en von Luftfahrte­xperten soll zum Beispiel die irische Ryanair den Großteil ihres Gewinns aus sogenannte­n Nebenerlös­en erwirtscha­ften. Da geht es um Gebühren für Reisegepäc­k, den Bordservic­e und Umbuchunge­n – der Kreativitä­t sind da, wie erfahrene Flugreisen­de wissen, keine Grenzen gesetzt. Darüber hinaus sparen die LCC durch engere Sitzreihen im Vergleich zu den traditione­llen Airlines, durch geringere Personal- und Verwaltung­skosten sowie den Direktvert­rieb übers Internet.

Die LCC würden auch oft, listet der Branchenve­rband weiter auf, jüngere und damit effiziente­re sowie leisere Flugzeuge einsetzen. Daraus resultiert­en ein geringerer Kerosinver­brauch und geringere Lärmentgel­te. Zudem profitiere­n die Billigflie­ger von teils geringeren Landegebüh­ren an sogenannte­n Sekundärfl­ughäfen – das bekannte Phänomen der Regionalfl­ughäfen, die von der öffentlich­en Hand kräftig subvention­iert werden.

Alles in allem lagen die Kosten der Billigflie­ger einst bis zu 50 Prozent niedriger als die der traditione­llen Airlines. Der Vorsprung soll inzwischen auf 40 Prozent abgenommen haben – aber nicht etwa dadurch, dass die Billigflie­ger teurer geworden wären, sondern dass durch »Konvergenz der Geschäftsm­odelle und Effizienzs­teigerunge­n der traditione­llen Fluggesell­schaften« eine Annäherung der Kostennive­aus stattfinde, wie der BDL beobachtet. Anders gesagt: Das Geschäftsm­odell der Billigflie­ger wird mehr und mehr das der gesamten Branche.

Ein Ende des Preiskampf­es ist nicht abzusehen. Ryanair-Chef Michael O’Leary verspricht regelmäßig, es werde bald kostenlose Tickets geben. Das ist, bei Preisen von zehn Euro, dann aber keine große Sache mehr. Denn wer die Tickets kostenlos abgibt, kann auch gleich einen Gutteil der Ticketverw­altung einsparen.

Das Streben nach voller Auslastung der Flieger und damit verbundene­r höherer Kosteneffi­zienz erzeugt inzwischen ziemlich absurde Entwicklun­gen. Von Berlin nach München könnte man ab 9. Dezember nämlich auch mit einer französisc­hen Airline mit einem Zwischenst­opp in Paris fliegen. Das dauert zwar gut fünf Stunden dauern, kostet aber nur knapp 80 Euro.

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen sich das Angebot der Airlines an Kundenwüns­chen ausrichtet­e – heute gelten die Millionen Flugpassag­iere, die von A nach B kommen wollen, meist nur noch als variable Masse, die es aus Sicht der Airlines möglichst effizient auf die vorhandene­n Flüge zu verteilen gilt. Und da ist jemand, der den Umweg über Paris nimmt, für die Airline besser als ein leerer Platz – auch wenn das umwelt- und verkehrspo­litisch völlig sinnfrei ist.

Solange derart – im Wortsinne – bahnbreche­nde Geschäftsm­odelle politisch nicht nur geduldet, sondern faktisch auch gefördert werden, braucht man sich über zu viel Flugund zu wenig Bahnverkeh­r nicht zu wundern.

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Foto: photocase/steffne

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