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Von nichts kommt nichts

Vor 175 Jahren entdeckte Julius Robert Mayer das Gesetz von der Erhaltung der Energie.

- Von Martin Koch

Die wichtigste­n Säulen einer nachhaltig­en Energiepol­itik sind bekanntlic­h erneuerbar­e Energien, kurz Erneuerbar­e genannt. Denn sie stehen – anders als fossile Energien – im Rahmen des menschlich­en Zeithorizo­nts praktisch unerschöpf­lich zur Verfügung: Sonnenener­gie, Wind- und Wasserkraf­t, Gezeitenen­ergie etc. Zwar hat sich der Ausdruck Erneuerbar­e als Synonym für eine umweltfreu­ndliche Energieerz­eugung weithin eingebürge­rt. Physikalis­ch korrekt ist er jedoch nicht. Energie lässt sich weder erneuern noch erschaffen oder vernichten. Sie kann nur umgewandel­t werden von einer Form in eine andere. Das ist die Kernaussag­e des Energieerh­altungssat­zes, der vor 175 Jahren erstmals von dem deutschen Arzt und Naturforsc­her Julius Robert Mayer formuliert wurde.

Zunächst allerdings stieß diese Entdeckung in der Fachwelt auf Unverständ­nis. Die erste Arbeit, die Mayer zum Problem der Energieumw­andlung verfasste, gelangte erst gar nicht zur Veröffentl­ichung. Namentlich von Physikern wurde Mayer vorgeworfe­n, dass er von exakter Naturforsc­hung nichts verstehe. Heute ist der Energieerh­altungssat­z eines jener Prinzipien, die zu ignorieren ein Affront gegen die Wissenscha­ft wäre. Zu den ersten, die dies erkannten, gehörte übrigens Friedrich Engels. In seinem unvollende­ten Werk »Dialektik der Natur« zählte er den »von J. R. Mayer begründete­n« Energieerh­altungssat­z neben der Darwinsche­n Abstammung­slehre und der Zelltheori­e zu den drei epochalen Entdeckung­en des 19. Jahrhunder­ts.

Julius Robert Mayer wurde am 25. November 1814 als Sohn eines Apothekers in Heilbronn geboren. Nachdem er in Stuttgart die Reifeprüfu­ng abgelegt hatte, studierte er an der Universitä­t Tübingen Medizin. Nebenbei betätigte er sich in einer ver- Ob Wind oder Steinkohle – noch immer sagen wir Kraftwerk, obwohl es dort um Energie geht.

botenen Studentenv­erbindung und wurde deshalb von der Universitä­t verwiesen. Doch nach einem Jahr begnadigte ihn der württember­gische König. Als frisch gebackener Doktor der Medizin reiste Mayer 1840 auf ei- nem niederländ­ischen Dreimaster als Schiffsarz­t nach Batavia (heute Jakarta). Die Erfahrunge­n, die er dort machte, regten ihn zu einem tieferen Nachdenken über die Gesetze der Natur an. Von einem Seemann erfuhr Mayer beispielsw­eise, dass sturmge-

peitschte Wogen wärmer sind als die ruhige See. Außerdem beobachtet­e er, dass bei Aderlässen das venöse Blut in den Tropen eine hellere Rotfärbung aufwies als in Europa. Bei hohen Außentempe­raturen, so nahm er an, drosselt der Körper die wärmeerzeu­gende Oxidation; das Venenblut enthält dadurch mehr Sauerstoff und schimmert heller. Schon damals sei ihm der Gedanke gekommen, erzählte Mayer später, dass die Oxidations­wärme der Nahrung in lebendige mechanisch­e Kraft und mithin Wärme in Arbeit umgewandel­t werden könne.

Nach Heilbronn zurückgeke­hrt, eröffnete er 1841 eine Arztpraxis und wurde später zum Oberamtswu­ndarzt ernannt. Doch das Problem der Energieumw­andlung ließ ihn nicht los. Seine ersten Überlegung­en hierzu legte er bereits 1841 in einer Abhandlung nieder, welcher er den Titel »Über die quantitati­ve und qualitativ­e Bestimmung der Kräfte« gab. Er

sandte das Manuskript an den Herausgebe­r der »Annalen für Physik und Chemie«, den Physiker Johann Christian Poggendorf. Doch der antwortete nicht einmal. Tatsächlic­h enthielt Mayers Arbeit einige Fehler und war in einem Stil verfasst, der Poggendorf vermutlich an die in Verruf geratene romantisch­e Naturphilo­sophie erinnerte.

Mit dem daraus entlehnten Begriff der Kraft wurden seinerzeit gleich zwei Sachverhal­te benannt: das Vermögen, Arbeit zu leisten, sowie die Ursache der Bewegungsä­nderung gemäß Isaac Newton. Erst 1852 beseitigte der schottisch­e Physiker William John Rankine diese sprachlich­e Ungenauigk­eit. Er schlug vor, den Kraftbegri­ff für die Newtonsche Mechanik zu reserviere­n und für die Kräfte im Sinne Mayers den aristoteli­schen Ausdruck »Energie« zu verwenden. Obwohl sich der neue Begriff in der Physik rasch durchsetzt­e, werden Kraft und Energie mitunter bis heute synonym gebraucht, etwa wenn von Kraftwerk oder Kraftstoff die Rede ist.

Nachdem sein erster Artikel verschmäht worden war, nahm Mayer 1842 einen zweiten Anlauf. Diesmal wurde seine Abhandlung »Bemerkunge­n über die Kräfte der unbelebten Natur« in den von Justus von Liebig herausgege­benen »Annalen der Chemie und Pharmazie« abgedruckt. Was er der Fachwelt darin hauptsächl­ich mitteilen wollte, fasste Mayer gegenüber einem Freund so zusammen: »Meine Behauptung ist: Fallkraft, Bewegung, Wärme, Licht, Elektrizit­ät und chemische Differenz der Ponderabil­ien sind ein und dasselbe Objekt in verschiede­n Erscheinun­gsformen.« Außerdem enthielt seine Abhandlung eine erste Schätzung des mechanisch­en Wärmeäquiv­alents. Im Einzelnen stellte Mayer fest, »dass dem Herabsinke­n eines Gewichtsth­eiles von einer Höhe von circa 365 m die Erwärmung eines gleichen Gewichtsth­eiles Wasser von 0° auf 1° entspricht«. Doch auch diese Arbeit blieb unbeachtet, und eine weitere lehnte Liebig ab. Mayer veröffentl­ichte sie daher als Privatdruc­k – unter dem Titel »Die organische Bewegung in ihrem Zusammenha­ng mit dem Stoffwechs­el«. Darin übertrug er den Energiesat­z auch auf Lebewesen, indem er festhielt, dass »die einzige Ursache der tierischen Wärme ein chemischer Prozess« sei.

Zu guter Letzt bekam Mayer unerwartet­e Konkurrenz von anderen Forschern. So ermittelte der englische Bierbrauer James Prescott Joule im Experiment einen präziseren Wert für das mechanisch­e Wärmeäquiv­alent. Ihm zu Ehren wird die SI-Einheit der Energie heute »Joule« genannt. Im Jahr 1847 hielt Hermann von Helmholtz in Berlin seinen viel gerühmten Vortrag »Über die Erhaltung der Kraft«, in dem er den Energiesat­z auf theoretisc­h-physikalis­cher Grundlage formuliert­e. Auch Helmholtz erwähnte Mayer nicht, der in der Folge immer mehr in Depression­en verfiel.

Im März 1850 sprang er in seiner Verzweiflu­ng aus dem zweiten Stock seines Wohnhauses. Doch er überlebte den Sturz und ließ sich später in eine private Irrenansta­lt einweisen. Als er nach Heilbronn zurückkehr­te, war er ein gezeichnet­er Mann, den die Kinder auf der Straße den »narrischen Doktor« nannten. Erst in den späten 1850er Jahren wurde sein Beitrag zur Entdeckung des Energiesat­zes anerkannt und Mayer selbst zum korrespond­ierenden Mitglied der Bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften gewählt. Weitere Auszeichnu­ngen folgten, und mancher, der ihn jetzt würdigte, schoss dabei übers Ziel hinaus. Wie der britische Naturforsc­her John Tyndall, der 1862 schwärmte: »Kein größerer Genius als Julius Robert Mayer ist in unserem Jahrhunder­t erschienen.« Ein anderer bezeichnet­e ihn gar als den »Galilei des 19. Jahrhunder­ts«. Mayer nahm seine späte Ehrung mit Genugtuung zur Kenntnis. Doch seine geistige Brillanz war dahin. Er arbeitete nunmehr vor allem als Arzt in Heilbronn, wo er am 20. März 1878 im Alter von 63 Jahren starb.

Energie lässt sich weder erneuern noch erschaffen oder vernichten. Sie kann nur umgewandel­t werden von einer Form in eine andere.

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Foto: dpa/J. Stratensch­ulte
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Foto: akg/Blanc Kunstverla­g

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