Etwas umweltfreundlicheres Fracking
Russische Wissenschaftler stellen ein thermochemisches Verfahren vor, mit dem sich mehr Erdöl aus der Erde holen lässt.
Russische Wissenschaftler und Erdölunternehmen haben eine Technologie für ein thermochemisches Fracking-Verfahren entwickelt, das eine Alternative zur hydraulischen Frakturierung werden soll, heißt es in einer Pressemitteilung der Universität Tjumen. Die neue Technologie wird gegenwärtig im ölreichen Westsibirien getestet.
Beim hydraulischen Aufbrechen oder kurz Fracking werden Gesteinsschichten im Untergrund mit Hochdruck-Injektionen von Flüssigkeiten aufgebrochen. Die resultierenden Risse im Lagerstättengestein machen dieses für Kohlenwasserstoffe durchlässiger, so dass sie sich nun leichter zur Bohrung bewegen können.
Die neu vorgestellte russische Technologie nutzt hingegen im Speichergestein ausgelöste chemische Reaktionen sogenannter binärer Mi- schungen. Die voneinander getrennten Komponenten eines Chemikaliengemischs werden als flüssige Lösungen an den produktiven Stellen des Lagergesteins zusammengeführt, wo sie reagieren.
Zum Einsatz kommt dabei Ammoniumnitrat und Natriumnitrit. Bei ihrer Reaktion miteinander entstehen Stickstoff, Wasser und Natriumnitrat – außerdem wird eine beträchtliche Reaktionswärme frei. Die wird an die unmittelbare Umgebung abgegeben, das entstehende Gas lässt den Druck ansteigen. Die Viskosität des erwärmten Erdöls sinkt, es wird dadurch beweglicher. Die durch die Druckerhöhung gebildeten Risse verbessern die Durchlässigkeit des Untergrundgesteins. Beide Effekte sollen gemeinsam die Extraktion des Öls erleichtern und die Produktivität steigern, so die beteiligten Wissenschaftler.
Der Effekt einer höheren Produktivität hält laut Konstantin Fedorov, Direktor des Instituts für Physik und Technologie an der Universität Tjumen und wissenschaftlicher Berater des Projektes, zwischen 300 und 1000 Tagen an. Die Produktion steigt in Abhängigkeit von den Eigenschaften des jeweiligen Ölfelds und des jeweiligen Rohöls um das 1,7- bis Sechsfache, gemessen am ursprünglichen Förderniveau. Bei einigen Tests lagen nach Angaben der Wissenschaftler die Produktionssteigerungen sogar deutlich darüber.
Das teilweise durch staatliche Finanzierung unterstützte Projekt hat zum Ziel, eine innovative und vor allem russische Hochtechnologie-Methode der Öl- und Gasproduktion zu etablieren, die mit anderen konkurrierenden Verfahren mithalten kann – wie etwa dem hydraulischen Auf- brechen. Mit der Technologie sollen vorhandene Ressourcen geschont werden, indem bereits in der Ausbeutung befindliche konventionelle Lagerstätten sehr zähflüssiger Erdöle effizienter genutzt werden.
2013 wurde mit der mathematischen Modellierung des Verfahrens begonnen. Die Umsetzung des Projekts wurde 2015 vom Energieministerium der Russischen Föderation, der Russischen Akademie der Wissenschaften und den Gouverneuren des Tjumen-Gebiets und des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen in die Wege geleitet. Um die benötigte Ausrüstung zu bauen und die Feldtests durchzuführen, haben sich die Wissenschaftler der Universität Tjumen mit Kollegen des Instituts für biochemische Physik N. M. Emanuel der Russischen Akademie der Wissenschaften zusammengetan. Ein weiterer Kooperationspartner ist das Staatliche Forschungsinstitut »Kristall« aus Dserschinsk, das mehr als 60 Jahre Know-how aus der Sprengstoffforschung mitbringt. Hier wurden die verwendeten binären Mischungen entwickelt und die Zerfallsreaktion optimiert.
Aus der Ölbranche begleiten Sibneftemash und das Moskauer Erdöltechnologiezentrum die unmittelbaren Arbeiten. Ein erstes Pilotprojekt an operativen Fördereinrichtungen einer der Rosneft-Tochtergesellschaften hat bereits begonnen, weitere Tests bei Lukoil sind im Gespräch. Läuft alles planmäßig, soll die neue Technologie auch auf Ölfeldern anderer bedeutender russischer Unternehmen getestet werden.
In den Augen der Wissenschaftler ist beim neuen Verfahren von Vorteil, dass die benötigten Chemika- lien leicht verfügbar sind. Als besonders günstig bewerten sie, dass eine Hauptkomponente der chemischen Reaktion Ammoniumnitrat ist, das (neben der Herstellung von Sprengstoffen) hauptsächlich als Dünger verwendet wird und deshalb als Grundstoff einer eher umweltfreundlichen Methode begrüßt wird – im Gegensatz zu den Flüssigkeitsgemischen, die beim hydraulischen Verfahren in das Untergrundgestein gepresst werden. Die Wissenschaftler sehen die Notwendigkeit umweltfreundlicher Verfahren zur Bergung der Reichtümer Westsibiriens – hier, wo die jahrzehntelange Erdölförderung unter den schwierigen Bedingungen vor Ort ihre Spuren hinterlassen hat, deren effektive Beseitigung vermutlich ebenfalls noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird.