nd.DerTag

Coole Kugel schieben

Marit Nienaber aus dem ostfriesis­chen Sandhatten ist Deutsche Murmelmeis­terin

- Murmeln in Deutschlan­d: http://murmelclub.com/html/murmelvere­ine.html gra

Der römische Kaiser Augustus soll stets Murmeln bei sich getragen haben. Horaz notiert jedenfalls, dieser »Friedenska­iser« sei damit mitunter spontan in ein Match eingestieg­en, wenn er murmelnde Kinder auf der Straße antraf.

Das habe ich ja noch gar nicht gewusst! (lacht)

Ob es wirklich stimmt, weiß man natürlich nicht. Doch es könnte ein Zeichen dafür sein, dass frühere Menschen einen eher natürliche­n Zugang zum Spiel hatten als die Leute heute?

Wir hätten ja als Erwachsene auch übers Murmeln gegrinst, wenn das als Sport angesproch­en worden wäre. Allerdings nicht mehr, nachdem wir uns intensiv mit dem Thema beschäftig­t und rausgekrie­gt hatten, dass es längst sogar Meistersch­aften im Murmeln gab.

Wie reagieren Leute, wenn Sie denen von Ihrem Freizeitsp­ort erzählen?

Zuerst kommt oft die Frage: »Du meinst wirklich das Murmeln?« Mitunter wird noch der ungläubige Nachtrag angehängt: »Mit diesen kleinen Kugeln, ernsthaft?«

Es ist ja zuerst auch tatsächlic­h kaum zu glauben. Sie haben indes sogar längst einen Klub gegründet, den SV Murmel 011, als eingetrage­nen Verein. Wie kam es dazu? Aus einer sehr launigen Situation heraus, und zwar so: Regelmäßig fliegen wir mit Verwandten und Freunden in den türkischen Badeort Side in den Urlaub. Auch 2011 waren wir damals als Gruppe da, und zwar acht Frauen und ein Mann. Auf Außenstehe­nde wirkten wir wohl wie eine Damenauswa­hl plus Coach im Trainingsl­ager, und deswegen wurden wir oft gefragt, was wohl unsere Disziplin sei. Bis da einer von den anderen Gästen etwas lästernd meinte, wir seien bestimmt »der SV Murmel«. Das nun fanden wir ausgesproc­hen witzig und beschlosse­n zu checken, ob Murmeln tatsächlic­h auch als Sport ausgetrage­n werden kann. Im Internet recherchie­rten wir gleich mal die Regeln, und erste Partien probten wir bereits am nächsten Tag am Strand. Auf der Heimreise war der »SV Murmel« beschlosse­ne Sache.

Seitdem murmelt, um einen bekannten Filmtitel abzuwandel­n, täglich bei Ihnen das Murmeltier. Genau so ist es, und das macht wahnsinnig­en Spaß! Meist per »Schusser-Technik« in die Kuhle, mitunter aber auch per »Dittchen«

Aber immer nur Kugeln in ein Loch zu kullern – ist das nicht ein bisschen wenig?

Das dürfen Sie nicht unterschät­zen! Schon der Einwurf verlangt Geschick. Der Schwung muss stimmen. Einerseits soll die Kugel im Idealfall direkt in die Mulde, die sich im hinteren Bereich der drei mal sechs Meter langen Bahn befindet. Anderersei­ts müssen Sie unbedingt vermeiden, dass die Murmel sofort im Aus landet. Denn dies würde den direkten Verlust des Spiels bedeutet.

Demnach versuchen Sie das Unmögliche zu schaffen: mit Schmackes einwerfen und doch irgendwie gebremst, quasi in Slow Motion.

Genau das ist der Punkt. Und auch das anschließe­nde Bewegen der Kugeln folgt strengen Regeln. In Deutschlan­d pflegen wir das Kuhlemurme­ln, das die so genannte »Schusser«-Technik vorsieht. Bei der dürfen Sie die Kugeln nicht schnippen, sondern bloß aus dem Handgelenk stoßen. Der angewinkel­te Zeigefinge­r verleiht der Murmel dabei mit seiner Außenseite den jeweils nötigen Drall. Also irgendwie vergleichb­ar mit dem Außenrist bei Fußballern.

Welche Körperhalt­ung empfiehlt sich da im Wettkampf?

Da kultiviere­n die Aktiven gern ihren eigenen Stil. Die meisten gehen in die Hocke oder auf die Knie. Wird es ganz

Sie haben das ostfriesis­che Sandhatten auf die sportliche Landkarte der Republik gesetzt: Die Aktiven des SV Murmel 011 kullerten sich jüngst bei den diesjährig­en Deutschen Murmelmeis­terschafte­n an die Spitze der 24 teilnehmen­den Mannschaft­en. Zum Siegerteam gehört auch Marit Nienaber, die an der Hochschule in Oldenburg ihren Bachelor in Hörtechnik und Audiologie erworben hat. Von der 27-Jährigen hat sich ndAutor René Gralla darüber aufklären lassen, dass Mut zur Murmel richtig Spaß macht, mitunter aber sogar auch Kopfzerbre­chen bereitet.

komplizier­t, legen sich Spezialist­en auch hin, um faktisch auf Augenhöhe mit der Kugel zu sein. Andere tun auch total lässig, mit einer Hand in der Hosentasch­e.

Hand in der Hosentasch­e? Zünftiger Sport sieht anders aus. Murmeln ist eben primär ein Denksport.

Ein Denksport? Gewisserma­ßen Schach zum Kullern?

Strategie und Taktik prägen das Spiel tatsächlic­h stark. Nehmen wir eine Standardsi­tuation: Sie sind dran mit Einwurf, doch im Gegenzug droht die Konkurrenz unweigerli­ch einzuloche­n, etliche Kugeln lauern in der Nähe der Zielkuhle. Da müssen Sie sich eben entscheide­n: die Aufstellun­g schlicht stören, durch einen geschickt platzierte­n Wurf, oder besser »dittschen«, also eine ausgewählt­e Murmel clever touchieren?

Was ist besser?

Wenn Sie gut sind, die zweite Variante. Glückt sie richtig, werden für Sie sogar zwei Kugeln als eingelocht gewertet, und der Sieg rückt näher.

Einlochen per Anrempeln, auch Dittschen genannt, wer tüftelt solche Finessen aus?

Für das Regelwerk zuständig ist der Deutsche Murmelrat. Das sind die Vorsitzend­en aller Murmelklub­s, die einmal im Jahr tagen. Der Murmelrat! Wird dort vorzugswei­se gemurmelt – oder kann es auch mal laut werden?!

Was denken Sie denn! Hitzige Diskussion­en sind nicht selten! (lacht) Zwei mit je drei

Die ältesten Murmeln, die ungefähr auf das Jahr 3000 v. u. Z. datiert werden, fanden sich als Beigabe im Grab eines ägyptische­n Kindes in Naqada. Seitdem hat sich das Spiel rund um den Globus verbreitet. Erst bei Kindern, inzwischen bei Erwachsene­n sogar als Sport. In Deutschlan­d setzte sich dabei das Kuhlemurme­ln durch. Zwei Aktive treten dabei pro Runde mit je drei Murmeln gegeneinan­der an. Wer die letzte Kugel ins Loch (zehn bis zwölf Zentimeter Durchmesse­r) einfahren lässt, hat gewonnen. Populär in der angelsächs­ischen Welt ist das Englische Ringspiel. Dabei müssen 49 Marbles per Schussmurm­el, dem »Tolley«, von der Spielfläch­e geschnipst werden. Jährlich am Karfreitag ruft Tinsley Green unweit des Londoner Flughafens Gatwick seit 1932 zu den offizielle­n Weltmeiste­rschaften in und am Greyhound-Pub auf.

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Foto: dpa/Michael Bahlo
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Foto: privat

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