Vom Skifahren an den Strand
Zypern: Geschichte, Kultur und landschaftliche Schönheit.
Weißer Schaum ziert die Wellenkämme an einem kleinen Küstenabschnitt im Südwesten Zyperns nahe der Hafenstadt Paphos, der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt. Am westlichen Ende dieser sanften Bucht ragen mehrere Felsen steil aus dem Meer. Hier werde seit einiger Zeit die Geburtsstätte der Göttin Aphrodite, der »Schaumgeborenen«, verortet, erzählt Reiseführerin Helena mit einem Augenzwinkern. Wenn zwei Liebende dreimal die »Felsen der Aphrodite«, früher »Felsen des Griechen« genannt, schwimmend umrundeten, blieben sie auf ewig verbunden.
In der griechischen Mythologie gilt Zypern als Herkunftsland Aphrodites, der Göttin der Schönheit und der Liebe, die anderthalb Jahrtausende lang in einem nur wenige Kilometer von diesem Strand entfernten Heiligtum verehrt wurde. Helena verweist darauf, dass eine Autostunde nördlich von Paphos auch das »Bad der Aphrodite« zum Besuch einlädt. Das Vorbild der Aphrodite wird heute in der Göttin Ischtar des alten Babyloniens vermutet. Dem nur 95 Kilometer vor der Levanteküste gelegenen Zypern kam somit schon sehr früh die Funktion eines kulturellen Mittlers zwischen Vorderem Orient und Europa zu.
Einer der ältesten Belege dafür ist die Jungsteinzeitsiedlung Chirokitia nahe Larnaka, die vor rund 10 000 Jahren angelegt wurde und zum UNESCO-Welterbe zählt. Die etwa 60 steinernen Rundhütten lagen an einem steilen Hang und waren von einer Mauer umgeben. Vergleichbare Siedlungen gruben Archäologen im Hinterland der östlichen Mittelmeerküste aus. Bevor wir den Hang mit den einander überschneidenden Fundamenten erklimmen, macht unsere Reiseführerin auf die ausgeklügelte Gestaltung des Zugangs zur Siedlung aufmerksam, wie sie sich noch in mittelalterlichen Burganlagen finden lässt: Unmittelbar hinter dem Mauerdurchgang biegt die schmale Gasse scharf nach rechts und danach nach links ab, so dass Angreifer den Verteidigern gegenüber deutlich im Nachteil waren – wenn es sich bei beiden um Rechtshänder handelte.
Eine so vielfältige Geschichte wie Zypern dürfte kaum ein anderes Land des europäischen Kulturraums durchlaufen haben. Der mykenische und phönizische Einfluss wurde abgelöst von assyrischer, ägyptischer und persischer Herrschaft, dann kurzzeitig gefolgt von Alexander dem Großen. Nach diesem kamen die Ptolemäer, Römer und Byzantiner sowie im Anschluss an ein Intermezzo des englischen Königs und Kreuzritters Richard Löwenherz die französische Adelsdynastie der Lusignans und die norditalienischen Handelsstädte Genua und Venedig. Die Osmanen eroberten die Insel 1571, und von 1878 bis zur Unabhängigkeit 1960 bestimmte Großbritannien die Geschicke ihrer Bewohner. Außerhalb Zy- Dreimal um den »Felsen der Aphrodite« schwimmen, und schon hält die Liebe ewig.
perns weitgehend unbeachtet, unterhalten die Briten an der Südküste der Insel auf eigenem Hoheitsgebiet weiterhin zwei Militärstützpunkte.
Das wichtigste identitätsstiftende Element in den zurückliegenden zwei Jahrtausenden war für die Inselbewohner die unabhängige zyprische Kirche, sagt Helena. Diese führe ihre Gründung auf den Apostel Paulus im Jahr 45 zurück und verstehe sich damit als älteste christliche Glaubensgemeinschaft. Dies spiegelt sich in einer Vielzahl von Klöstern und Kirchen wider, die meist mit wertvollen Fresken und Ikonen geschmückt sind. Im 1140 Meter hoch gelegenen Kykkos-Kloster, dem bedeutendsten und reichsten Kloster Zyperns, verbrachte der erste Staatspräsident der Republik, Erzbischof Makarios, einige Jahre als Novize. Vor seinem Grab in der Nähe des Klosters halten Soldaten Ehrenwache. Für eines der eindrucksvollsten Klöster der Insel legte
im 12. Jahrhundert der heilige Neofytos nördlich von Paphos auf ungewöhnliche Weise den »Grundstein«: Er schlug seine Klause eigenhändig in eine Felswand und schmückte sie mit Fresken aus. Nahe dem Dorf Platanistasa im östlichen Troodos-Gebirge besichtigen wir die Kirche vom Heiligen Kreuz von Agiasmati. Es ist eine von zehn sogenannten Scheunendachkirchen, die als zyprische Be-
sonderheit in die UNESCO-WelterbeListe aufgenommen wurden.
Im waldreichen Troodos-Gebirge bleibt der Schnee häufig bis ins Frühjahr liegen, so dass am 1951 Meter hohen Olympos sogar Skilifte eingerichtet wurden. Im Februar, wenn das Meerwasser bereits 17 Grad warm ist, kann man auf dem gut ausgebauten Straßennetz innerhalb einer Stunde vom Skifahren zum Schwimmen im Meer »umsteigen«. Das gibt es wohl in nur ganz wenigen Ländern.
Bei unseren Fahrten hatten wir uns schon mehrfach der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südzypern genähert und Beobachtungspunkte gesehen, die unsere Reiseführerin der in der Pufferzone stationierten UNOFriedensmission zuordnete. In der Landeshauptstadt Lefkosia/Lefkosa überschreiten wir sie nach routinemäßiger Passkontrolle nun zu Fuß.
Im Norden der Stadt, der wie der der gesamten Insel seit der Teilung 1974 von türkischen Zyprern kontrolliert wird, erwartet uns ein türkischer Stadtführer, da Helenas Arbeitserlaubnis hier nicht gilt. Er geleitet uns durch basarähnliche Gassen zur Selimiye-Moschee, die im 13. und 14. Jahrhundert als gotische Kathedrale erbaut und in osmanischer Zeit zur Hauptmoschee der Inselhauptstadt umgewandelt wurde. Unter den riesigen Säulen wirken die wenigen Menschen, die sich auf dem mit dicken Teppichen belegten Boden niedergelassen haben, winzig.
Als wir später nach Kerynia/Girne an der Nordküste fahren, überqueren wir die nach der türkischen Besetzung vor 43 Jahren vereinbarte Waffenstillstandslinie ebenso unproblematisch im Bus. Im Zypernkonflikt verhandeln beide Seiten seit vielen Jahren, wenngleich bisher ohne Erfolg (»Trauminsel und Inselträume«, »nd« vom 30. März 2017, S. 3).
Die Region am alten Stadthafen von Kerynia/Girne mit der benachbarten Festung bestätigt alle vorher vernommenen Lobeshymnen: Sie ist bezaubernd. Rund um das Hafenbecken reiht sich ein Restaurant an das andere. Familien promenieren auf der Uferstraße, und fliegende Händler verkaufen Süßigkeiten und Getränke. Die heute ein Museum beherbergende Festung, die ihren Ursprung im 7. Jahrhundert hat, nutzten alle Herrscher über die Insel für ihre Zwecke, zuletzt die Briten als Gefängnis. Erst mit der Unabhängigkeit 1960 wurde sie der Öffentlichkeit zugänglich.
Wieder zurück auf der südlichen Seite der »Grünen Linie« besuchen wir Lefkara, ein Dorf am südöstlichen Ausläufer des Troodos-Gebirges. Hier sitzen reihenweise freundliche Frauen unterschiedlichen Alters vor ihren Häusern und sticken. Sie nutzen das grelle Licht für ihre extrem feinen Hohlsaumstickereien, Lefkaritika genannt. Diese waren im vorindustriellen Zeitalter rings ums Mittelmeer hochbegehrt und entsprechend kostbar. Wenige Kilometer weiter liegt in der lieblichen Vorgebirgslandschaft die Weinkellerei Ktima Christoudia am Wegesrand. Mitinhaberin Alexia Christoudias erläutert uns anhand von Kostproben die Besonderheit ihrer Erzeugnisse wie die der Wirtschaftspolitik.
Als Zypern im Mai 2004 der Europäischen Union beitrat, entfielen die Zölle für Produkte aus den anderen EU-Staaten. Beinahe über Nacht war die Insel unter anderem mit billigeren Weinen vor allem aus Spanien, Frankreich und Italien »überschwemmt« worden, so dass die traditionsreiche eigene Weinherstellung in Schwierigkeiten geriet. Inzwischen hat sich aber der Familienbetrieb Christoudia wieder soweit stabilisiert, dass er mit einem hübschen Neubau erweitert werden konnte. Zyprischen Wein lassen sich hier nicht nur inländische Ausflugsund ausländische Touristengruppen schmecken. Auch der Absatz über Restaurants und den Einzelhandel laufe ordentlich.
»Dem nur 95 Kilometer vor der Levanteküste gelegenen Zypern kam somit schon sehr früh die Funktion eines kulturellen Mittlers zwischen Vorderem Orient und Europa zu.«