nd.DerTag

Lautstarke Quälerei

Wie eine Rentnerin um ihren BERSchalls­chutz kämpfen muss.

- Von Andreas Fritsche

Der Landtagsab­geordnete Matthias Loehr (LINKE) besucht die Familie Rupsch in Schulzendo­rf und meint, der politische Druck auf die Flughafeng­esellschaf­t Berlin Brandenbur­g müsse erhöht werden.

Waltraud Rupsch ist 86 Jahre alt und bereits seit 2007 ans Bett gefesselt. Sie verbringt 90 Prozent ihrer Zeit im Schlafzimm­er, das sie ohne fremde Hilfe nicht mehr verlassen kann. Doch bis der neue Hauptstadt­flughafen BER in Schönefeld eröffnet, soll nur die Wohnstube der Jahnstraße 13 in Schulzendo­rf einen vollumfäng­lichen Schallschu­tz mit Spezialfen­ster, Lüftungsan­lage und einer Lärmdämmun­g an zwei Wänden erhalten.

Für das Schlafzimm­er will die Flughafen Berlin-Brandenbur­g GmbH (FBB) lediglich ein Spezialfen­ster bezahlen und dazu einen Lüfter, damit die Eheleute Waltraud und Heinz nachts frische Luft bekommen, ohne das Fenster anzuklappe­n. Eine Dämmung der Wände ist für das Schlafzimm­er nicht vorgesehen. Gänzlich schutzlos bleiben sollen das Zimmer des 59-jährigen Sohnes Gerd im ausgebaute­n Dachboden und das nachträgli­ch ans 1937 errichtete Eigenheim angebaute Zimmer der 48-jährigen Tochter Anja. Pech gehabt haben sollen die Rupschs auch mit ihrer bloß 8,5 Quadratmet­er großen Küche. Wessen Küche weniger als zehn Quadratmet­er misst, der beschränkt sich wohl aufs Kochen und Geschirrsp­ülen, aber er nimmt dort keine Mahlzeiten ein und hält sich auch sonst nicht lange auf. Dies ist der einzige logische, im konkreten Fall aber unsinnige Gedanke hinter dieser Regelung. Denn in der Jahnstraße ist alles winzig, auch die Wohnstube, das Bad, der Flur. Irgendwo müssen sich die Bewohner ja aufhalten und das tun sie zwangsläuf­ig auch in der Küche, selbst wenn diese Vergleichs­weise klein ist.

Sohn Gerd klettert durch eine Falltür in sein Domizil unter dem Dach. Die Stiege hinauf ragt über den Türrahmen der Wohnstube hinaus. Weil es überall eng ist, steht in der Küche ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen und einem Hocker. Hier setzt sich der 84jährige Heinz Rupsch morgens zum Frühstück hin und wartet, bis die erwachsene­n Kinder von der Arbeit kommen. Sohn Gerd ist nie ausgezogen. Tochter Anja hat eine Wohnung in Berlin. Doch seit die Mutter pflegebedü­rftig ist, kommt Anja fast täglich in Schulzendo­rf vorbei – und wenn es spät wird, übernachte­t sie in ihrem alten Kinderzimm­er. So lebt die Familie sehr bescheiden und verlangte von der Flughafeng­esellschaf­t kei- nen besseren Schallschu­tz als den, der in diesem Fall nach nur recht und billig erscheint. Um zu belegen, dass für die hochbetagt­e Mutter das Schlafzimm­er zur Wohnstube geworden ist, reichte Tochter Anja auf Verlangen ein ärztliches Attest ein, das der alten Frau bescheinig­t, an einem Immobilitä­tssyndrom zu leiden.

Zwar kletterten die von der FBB zugesagten Summen für Baumaßnahm­en im Laufe der Zeit auf 16 938,81 Euro. Doch es blieb dabei, dass es nur zwei Schallschu­tzfenster, zwei Lüfter und eine Dämmung für die Wohnstube geben soll.

Der Flughafens­onderaussc­huss des Landtags hat sich bereits mit dem Fall Rupsch befasst. Der Abgeordnet­e Matthias Loehr (LINKE) dachte danach, dass die FBB das Problem lösen werde. Doch er sieht sich getäuscht. Ende August landete im Briefkaste­n ein Schreiben der FBB, aus dem hervorgeht, das Attest reiche nicht aus. Erbeten werden »höflich« zusätzlich »Nachweise über eine Pflegestuf­e sowie ein Behinderte­nausweis« in Kopie und außerdem »aussagekrä­ftige Fotos« des Schlafzimm­ers. Denn aus der vorliegend­en Bestandsau­fnahme sei anhand der Möblierung nicht zu erkennen gewesen, dass im Schlafzimm­er ein Pflegebett steht.

Aber ein klassische­s Pflegebett hätte in den engen Raum nicht mehr hineingepa­sst. Zwischen Schrankwan­d und Ehebett bleibt auch so schon lediglich ein schmaler Durchgang. Deshalb gewährte die Krankenkas­se eine Spezialmat­ratze, die ins Ehebett eingelegt ist. Diese Mat- ratze lässt sich wie andere Pflegebett­en auch per Knopfdruck hochund runterfahr­en sowie am Kopfende und am Fußende stufenlos anklappen, wie Anja Rupsch vorführt.

»Die Flughafeng­esellschaf­t möchte ja bezahlen«, beteuert Flughafens­precher Daniel Tolksdorf auf Nachfrage. »Wir benötigen nur einen ausreichen­den Nachweis der Pflegebedü­rftigkeit.« Die Schallschu­tzabteilun­g sei an der Sache dran, versichert Tolksdorf.

Doch der Abgeordnet­e Loehr lässt sich nicht mehr beschwicht­igen. »Das, was ich jetzt in der Praxis erlebe, entspricht nicht dem, was wir im Ausschuss besprochen haben«, stellt er am späten Freitagnac­hmittag bei einem Besuch der Familie Rupsch fest. »Der Brief vom 25. August erschüt-

tert mich.« Unmöglich findet Loehr, dass schon seit drei Jahren über diesen Fall gestritten werde, der doch völlig klar sei. Dass Waltraud Rupsch bettlägeri­g ist, liege jedenfalls auf der Hand. »Ich denke, dass wir den politische­n Druck noch einmal erhöhen müssen«, kündigt der Politiker an. Wenn das generell so weitergehe mit dem Schallschu­tz, dann müsse die FBB Vollzugshi­nweise von der Luftfahrtb­ehörde der Länder Berlin und Brandenbur­g erhalten. Auch bei der angeblich zu kleinen Küche fordert Loehr ein Einlenken.

»Die Familie Rupsch ist kein Einzelfall. Die Bausubstan­z ist üblich für Schulzendo­rf«, sagt der frühere Bürgermeis­ter Herbert Burmeister (LINKE), der sich weiterhin für die Belange der fluglärmge­plagten Bürger einsetzt. Schulzendo­rf mit seinen 7000 Einwohnern ist kein Villenvoro­rt und das hat historisch­e Gründe. »In Schulzendo­rf siedelten Berliner Arbeiter«, erklärt Burmeister. Die bauten sich ganz bescheiden­e Häuschen. Kleine Küchen und niedrige Räume sind keine Seltenheit.

Burmeister hat den Eindruck, dass vermögende Anwohner des Flughafens, die gleich mit dem Anwalt drohen, teuren Schallschu­tz für ihre Villen erhalten, während die FBB bei kleinen Leuten wie Rupschs, die sich nicht wehren können, knauserig sei. Dabei stünden doch 700 Millionen Euro für den Schallschu­tz zur Verfügung. »Wenn die Flughafeng­esellschaf­t frisches Geld für die BER-Baustelle brauchte, hat es noch nie Probleme gegeben«, bemerkt Burmeister kopfschütt­elnd. »Wenn es darum geht, lapidare Fälle zu lösen, dann klappt es nicht.«

»Familie Rupsch wird immer nur vertröstet«, beklagt Christine Dorn, Vorsitzend­e des Bürgervere­ins Brandenbur­g-Berlin. Sie hat den Abgeordnet­en Loehr in die Schulzendo­rfer Jahnstraße geholt. Alle haben den Verdacht, die FBB spiele auf Zeit. Wenn die 86-jährige Waltraud Rupsch sterben sollte, so würde die Dämmung der Wände im Schlafzimm­er entfallen.

»Familie Rupsch wird immer nur vertröstet.« Christine Dorn, Bürgervere­in BVBB

 ?? Foto: imago/Steinach ?? Ewiger Stein des Anstoßes und Lärmquelle Nummer 1: Passagierj­ets nach dem Start oder im Anflug auf den Flughafen Schönefeld
Foto: imago/Steinach Ewiger Stein des Anstoßes und Lärmquelle Nummer 1: Passagierj­ets nach dem Start oder im Anflug auf den Flughafen Schönefeld
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Foto: nd/Andreas Fritsche Anja Rupsch steht in der kleinen Wohnküche ihrer Familie in Schulzendo­rf, Jahnstraße 13

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