Lautstarke Quälerei
Wie eine Rentnerin um ihren BERSchallschutz kämpfen muss.
Der Landtagsabgeordnete Matthias Loehr (LINKE) besucht die Familie Rupsch in Schulzendorf und meint, der politische Druck auf die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg müsse erhöht werden.
Waltraud Rupsch ist 86 Jahre alt und bereits seit 2007 ans Bett gefesselt. Sie verbringt 90 Prozent ihrer Zeit im Schlafzimmer, das sie ohne fremde Hilfe nicht mehr verlassen kann. Doch bis der neue Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld eröffnet, soll nur die Wohnstube der Jahnstraße 13 in Schulzendorf einen vollumfänglichen Schallschutz mit Spezialfenster, Lüftungsanlage und einer Lärmdämmung an zwei Wänden erhalten.
Für das Schlafzimmer will die Flughafen Berlin-Brandenburg GmbH (FBB) lediglich ein Spezialfenster bezahlen und dazu einen Lüfter, damit die Eheleute Waltraud und Heinz nachts frische Luft bekommen, ohne das Fenster anzuklappen. Eine Dämmung der Wände ist für das Schlafzimmer nicht vorgesehen. Gänzlich schutzlos bleiben sollen das Zimmer des 59-jährigen Sohnes Gerd im ausgebauten Dachboden und das nachträglich ans 1937 errichtete Eigenheim angebaute Zimmer der 48-jährigen Tochter Anja. Pech gehabt haben sollen die Rupschs auch mit ihrer bloß 8,5 Quadratmeter großen Küche. Wessen Küche weniger als zehn Quadratmeter misst, der beschränkt sich wohl aufs Kochen und Geschirrspülen, aber er nimmt dort keine Mahlzeiten ein und hält sich auch sonst nicht lange auf. Dies ist der einzige logische, im konkreten Fall aber unsinnige Gedanke hinter dieser Regelung. Denn in der Jahnstraße ist alles winzig, auch die Wohnstube, das Bad, der Flur. Irgendwo müssen sich die Bewohner ja aufhalten und das tun sie zwangsläufig auch in der Küche, selbst wenn diese Vergleichsweise klein ist.
Sohn Gerd klettert durch eine Falltür in sein Domizil unter dem Dach. Die Stiege hinauf ragt über den Türrahmen der Wohnstube hinaus. Weil es überall eng ist, steht in der Küche ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen und einem Hocker. Hier setzt sich der 84jährige Heinz Rupsch morgens zum Frühstück hin und wartet, bis die erwachsenen Kinder von der Arbeit kommen. Sohn Gerd ist nie ausgezogen. Tochter Anja hat eine Wohnung in Berlin. Doch seit die Mutter pflegebedürftig ist, kommt Anja fast täglich in Schulzendorf vorbei – und wenn es spät wird, übernachtet sie in ihrem alten Kinderzimmer. So lebt die Familie sehr bescheiden und verlangte von der Flughafengesellschaft kei- nen besseren Schallschutz als den, der in diesem Fall nach nur recht und billig erscheint. Um zu belegen, dass für die hochbetagte Mutter das Schlafzimmer zur Wohnstube geworden ist, reichte Tochter Anja auf Verlangen ein ärztliches Attest ein, das der alten Frau bescheinigt, an einem Immobilitätssyndrom zu leiden.
Zwar kletterten die von der FBB zugesagten Summen für Baumaßnahmen im Laufe der Zeit auf 16 938,81 Euro. Doch es blieb dabei, dass es nur zwei Schallschutzfenster, zwei Lüfter und eine Dämmung für die Wohnstube geben soll.
Der Flughafensonderausschuss des Landtags hat sich bereits mit dem Fall Rupsch befasst. Der Abgeordnete Matthias Loehr (LINKE) dachte danach, dass die FBB das Problem lösen werde. Doch er sieht sich getäuscht. Ende August landete im Briefkasten ein Schreiben der FBB, aus dem hervorgeht, das Attest reiche nicht aus. Erbeten werden »höflich« zusätzlich »Nachweise über eine Pflegestufe sowie ein Behindertenausweis« in Kopie und außerdem »aussagekräftige Fotos« des Schlafzimmers. Denn aus der vorliegenden Bestandsaufnahme sei anhand der Möblierung nicht zu erkennen gewesen, dass im Schlafzimmer ein Pflegebett steht.
Aber ein klassisches Pflegebett hätte in den engen Raum nicht mehr hineingepasst. Zwischen Schrankwand und Ehebett bleibt auch so schon lediglich ein schmaler Durchgang. Deshalb gewährte die Krankenkasse eine Spezialmatratze, die ins Ehebett eingelegt ist. Diese Mat- ratze lässt sich wie andere Pflegebetten auch per Knopfdruck hochund runterfahren sowie am Kopfende und am Fußende stufenlos anklappen, wie Anja Rupsch vorführt.
»Die Flughafengesellschaft möchte ja bezahlen«, beteuert Flughafensprecher Daniel Tolksdorf auf Nachfrage. »Wir benötigen nur einen ausreichenden Nachweis der Pflegebedürftigkeit.« Die Schallschutzabteilung sei an der Sache dran, versichert Tolksdorf.
Doch der Abgeordnete Loehr lässt sich nicht mehr beschwichtigen. »Das, was ich jetzt in der Praxis erlebe, entspricht nicht dem, was wir im Ausschuss besprochen haben«, stellt er am späten Freitagnachmittag bei einem Besuch der Familie Rupsch fest. »Der Brief vom 25. August erschüt-
tert mich.« Unmöglich findet Loehr, dass schon seit drei Jahren über diesen Fall gestritten werde, der doch völlig klar sei. Dass Waltraud Rupsch bettlägerig ist, liege jedenfalls auf der Hand. »Ich denke, dass wir den politischen Druck noch einmal erhöhen müssen«, kündigt der Politiker an. Wenn das generell so weitergehe mit dem Schallschutz, dann müsse die FBB Vollzugshinweise von der Luftfahrtbehörde der Länder Berlin und Brandenburg erhalten. Auch bei der angeblich zu kleinen Küche fordert Loehr ein Einlenken.
»Die Familie Rupsch ist kein Einzelfall. Die Bausubstanz ist üblich für Schulzendorf«, sagt der frühere Bürgermeister Herbert Burmeister (LINKE), der sich weiterhin für die Belange der fluglärmgeplagten Bürger einsetzt. Schulzendorf mit seinen 7000 Einwohnern ist kein Villenvorort und das hat historische Gründe. »In Schulzendorf siedelten Berliner Arbeiter«, erklärt Burmeister. Die bauten sich ganz bescheidene Häuschen. Kleine Küchen und niedrige Räume sind keine Seltenheit.
Burmeister hat den Eindruck, dass vermögende Anwohner des Flughafens, die gleich mit dem Anwalt drohen, teuren Schallschutz für ihre Villen erhalten, während die FBB bei kleinen Leuten wie Rupschs, die sich nicht wehren können, knauserig sei. Dabei stünden doch 700 Millionen Euro für den Schallschutz zur Verfügung. »Wenn die Flughafengesellschaft frisches Geld für die BER-Baustelle brauchte, hat es noch nie Probleme gegeben«, bemerkt Burmeister kopfschüttelnd. »Wenn es darum geht, lapidare Fälle zu lösen, dann klappt es nicht.«
»Familie Rupsch wird immer nur vertröstet«, beklagt Christine Dorn, Vorsitzende des Bürgervereins Brandenburg-Berlin. Sie hat den Abgeordneten Loehr in die Schulzendorfer Jahnstraße geholt. Alle haben den Verdacht, die FBB spiele auf Zeit. Wenn die 86-jährige Waltraud Rupsch sterben sollte, so würde die Dämmung der Wände im Schlafzimmer entfallen.
»Familie Rupsch wird immer nur vertröstet.« Christine Dorn, Bürgerverein BVBB