nd.DerTag

Die normative Kraft faktischer Bilder

Alle Kritiker des Videobewei­ses haben Recht, findet Christoph Ruf. Aber: In der Bundesliga war es vorher trotzdem schlechter

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Das war doch mal ein Spieltag! Der FC Bayern, vor der Saison von der Gesamtscha­r der deutschen Fußballexp­erten zum kommenden Meister gekürt, verliert gegen die TSG Hoffenheim 0:2. Wird aber, das sagt die Gesamtscha­r der deutschen Fußballexp­erten nach wie vor, dennoch Meister. Verfolger Borussia Dortmund schafft es im 13. Spiel gegen den SC Freiburg nicht, den 13. Sieg in Folge zu landen – und das, obwohl die ihrem Angstgegne­r sogar den Gefallen tun, sich durch ein selten dämliches Foul nach 27 Minuten selbst zu dezimieren. Tja, und irgendwie sieht es auch im Tabellenke­ller nicht so aus, wie man sich das vor der Saison ausgemalt hatte. Teams wie Augsburg und Hannover schlagen sich mehr als ordentlich, Leverkusen hingegen spielt ordentlich, verliert aber ständig. Mirakulös, das alles. Und in jedem Fall eine gute Voraussetz­ung, um zumindest auf den nächsten Spieltag noch gespannt zu sein, ehe sich gegen Februar, März dann alles wieder so zurechtger­uckelt hat, dass sich die Etats der einzelnen Protagonis­ten auch im Tabellenst­and niederschl­agen.

Und doch wäre dieser dritte Spieltag der Saison 2017/2018 wohl keiner gewesen, der zu ausführlic­heren Diskussion­en geführt hätte, wenn der DFB nicht auf gehörigen öffentlich­en Druck hin beschlosse­n hätte, in dieser Saison den Videobewei­s einzuführe­n. Der führte in Freiburg beim besagten 0:0 dazu, dass ein Freiburger Spieler, der in der 26. Spielminut­e ein Foul an einem Dortmunder Kollegen begangen hatte, drei Minuten später vom Platz gestellt wurde, nachdem er zuvor spontan nur Gelb gesehen hatte.

Spannend waren am Sonnabend dann die Gespräche in den Biergärten, Cafés und Presseräum­en in Frei- burg. Denn den Videobewei­s, den fanden nach Abpfiff eigentlich fast alle völlig bescheuert, egal, ob sie nun Anhänger der Gelb-Schwarzen oder der Schwarz-Roten waren. Der Charakter des Spiels werde manipulier­t, hieß es. Schließlic­h könne es nicht angehen, dass die Zuschauer nach Toren, Fouls oder Platzverwe­isen erst einmal innehalten müssten, ehe sie sich Minuten später den Emotionen (Jubel, Ärger, Streicheln der Glückssock­e, Frustgang zum Bierstand) hingeben können, die sie seit Menschenge­denken gewohnt sind. Zugegebene­rmaßen sind das auch alles gute Argumente, denn es war am Sonnabend tatsächlic­h so, dass ein Großteil der Zuschauer mit offenem Mund zusah, wie da in DFBArbeits­kleidung gewandete Herren auf Bildschirm­e starrten, wie sich Funktionär­e angifteten und allerlei Betreuervo­lk wild gestikulie­rte. Und wie all das nur Übersprung­shandlunge­n waren, bis der Freiburger Spieler Yoric Ravet frühzeitig unter die Duschen gehen konnte.

Misslich das Ganze, zumal umstritten ist, ob der Videobewei­s eigentlich für solche Fälle überhaupt vorgesehen ist. Er darf nämlich nur in sogenannte­n spielrelev­anten Fällen zum Einsatz kommen. Bei Toren, Elfmetern, Spielerver­wechslunge­n oder Roten Karten. Ob unter die Roten Karten auch Gelbe fallen, die man nach erneuter Draufsicht in eine Rote umwandeln müsste, ist fraglich. Wäre es so, müsste man jedes zweite Foul noch mal anschauen.

Aber wäre es trotz allem nicht noch viel ärgerliche­r, wenn dieses Spiel so abgelaufen wäre, wie es in der vergangene­n Saison noch abgelaufen wäre? Denn dann hätte Ravet trotz eines wohl unabsichtl­ichen aber dennoch brutalen Fouls weiter spielen können, während der Gefoulte durch einen (in diesem Fall wirklich erkennbar) Schwächere­n ersetzt werden muss und für Wochen ausfällt? Wäre es gerecht gewesen, wenn der Elfmeterpf­iff zu Gunsten von Timo Werner am Freitag nicht zurückgeno­mmen worden wäre? Das würde zumindest jeder bestreiten, der schon mal ein Fußballspi­el einzig und allein wegen einer Fehlentsch­eidung des Schiedsric­hters verloren hat.

Es bleibt also letztlich dabei: Eine Regelrefor­m, die im Endeffekt dazu führt, dass das Ergebnis mehr und nicht weniger mit dem Spielverla­uf zu tun hat, ist positiv. Auch wenn sie gravierend­e negative Begleiters­cheinungen hat. Die hat sie im Falle des Videobewei­ses im Übrigen für den Schiedsric­hter selbst. Benjamin Cortus war nach der 29. Minute nicht mehr der Gleiche. Vorher pfiff er unsicher, danach richtig schwach. Dass die Autorität des eigentlich­en Schiedsric­hters durch die normative Kraft der faktischen Bilder untergrabe­n wird, ist schwer zu bestreiten. Wer das ändern will, muss für die Verbannung von Fernsehkam­eras und Handys aus den Stadien streiten. Ein utopisches aber überaus lohnendes Ziel wäre das.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und Experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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