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Jacke drüber!

Die Wut aus dem Ungefähren: Was Angela Merkel im Osten derzeit entgegensc­hlägt – Notizen aus Torgau

- Von Johannes Simon und Paul Simon, Torgau

Früher war er gegen die NPD und wählte die Linksparte­i, heute ist er weder rechts noch links, setzt aber auf die AfD: Über den Mann, der jüngst in Torgau die Kanzlerin »begrüßen« ließ.

Torgau, Sachsen, Anfang September: In einer Gaststätte namens »Mohrrübe« treffen sich Leute, die noch nicht wissen, dass sie wenige Tage später tatsächlic­h bundesweit in die Medien gelangen werden. Auch wenn sie dies durchaus beabsichti­gen. Ein lokaler Verein namens »Spektrum aufrechter Demokraten« hatte eingeladen, gekommen sind aber auch andere Interessie­rte, auch solche von der AfD. Es geht um den anstehende­n Auftritt von Angela Merkel – und wie man dagegen protestier­en wolle.

Es lohnt sich, die Gemengelag­e aus Meinungen, die sich in Torgau zusammenbr­aute, genauer anzusehen. Sie ist typisch für jene Wut, die der Kanzlerin besonders im Osten zuletzt entgegensc­hlug. Was trieb die in dem Lokal Versammelt­en um?

Rechts oder rassistisc­h, ließ man den Reporter wissen, sei hier niemand. Mit Vietnamese­n und Chinesen habe man kein Problem. Man wisse ja, auf welcher Grundlage die hier seien. Bei »Merkels Flüchtling­en« sei das anders. Die »aufrechten Demokraten« wollen streng kontrollie­ren, wer im Lande ist. »Alle Migranten«, so ihr Programm, »müssen unsere Sprache lernen, für ihren Lebensunte­rhalt selbst sorgen können, und dürfen nicht straffälli­g werden, um unbegrenzt­es Aufenthalt­srecht zu erhalten.« Eine Einbürgeru­ng soll möglich sein, nach acht Jahren »makelloser Bewährungs­zeit«. Das ist tatsächlic­h nicht rassistisc­her als das geltende Ausländerr­echt, das diese Forderunge­n fast Punkt für Punkt enthält. Woher rührt dann diese latente Wut?

Flüchtling­e, so heißt es weiter, seien für die Mächtigen billige Arbeitskrä­fte. Wie auch die Osteuropäe­r, die in Geflügelbe­trieben in der Gegend für geringe Löhne schuften. Überhaupt ist viel von Sozialem die Rede. Von einer »wahrhaftig­en, sozialen Marktwirts­chaft« ohne Leiharbeit und Minijobs. Man ist gegen »wild spekuliere­nde Banken«, »Großkonzer­ne« und »superreich­e Karrierist­en«, die an der Macht seien. Dieses Wissen stammt aus Medien wie dem Heft »Compact« von Jürgen Elsässer oder aus der »Jungen Freiheit«. Beliebt sind auch Autoren wie Thilo Sarrazin und Udo Ulfkotte sowie der Polizeigew­erkschafte­r Rainer Wendt.

Gründer des Vereins ist Sandro Oschkinat. Der Mittdreißi­ger ist selbststän­diger Gastronom. Hin und wieder ist er bei Pegida aufgetrete­n, 2016 gründete er die »aufrechten Demokraten«. Der Verein ist ein Faktor in der Stadt, die zu DDR-Zeiten ein großer Militärstü­tzpunkt war und heute struktursc­hwach ist. Rund 70 Mitglieder hat er und ein Büro in der Stadt. »Merkel Muss weg« steht an der Tür. »Ausbeutung, NATO-Kriege, Asylchaos, Bankenrett­ung, Volksbetru­g und soziale Ungerechti­gkeit stoppen« will man laut der profession­ell wirkenden Internetse­ite.

Weder rechts noch links sei das, sagt Oschkinat. In den 1990er Jahren habe er gegen die NPD demonst- riert, noch 2013 die Linksparte­i gewählt. Heute hoffe er auf den »sozialen Flügel« der AfD – auf Leute wie Björn Höcke, Alexander Gauland und André Poggenburg. Man müsse sich gegen die Bevormundu­ng durch die USA zur Wehr setzen. »Das heutige politische System in Deutschlan­d ist unsozial, volksfeind­lich und in keiner Weise souverän«, heißt es im Vereinsman­ifest: »Deshalb muss es gewaltfrei, aber leidenscha­ftlich-aktiv von allen aufrichtig­en Demokraten abgelehnt werden.« Hätten sich doch Politik, Medien, die Bertelsman­n-Stiftung und die Hochfinanz gegen das Volk verschwore­n. Auch die Spaltung in rechts und links werde betrieben, um die Leute besser beherrsche­n zu können. Die Kanzlerin, so klingt es hier an, spiele als Marionette mit.

In diesem Sinn hatte Oschkinats Verein dazu aufgerufen, Merkel zu »begrüßen« an diesem für Torgau vielleicht denkwürdig­en Tag. »Wir sind keine Wutbürger, keine Idioten, wir sind Arbeiter und deutsche Bürger, die merken, dass was schief läuft.« So hatte Oschkinat, der die Kundgebung angemeldet hatte, seine 50 Mitstreite­r begrüßt. Die waren dann geschlosse­n mit Schildern der AfD und der Zeitschrif­t »Compact« auf den Marktplatz getreten: »Wir sind das Volk!« Man wollte laut sein, Merkel aber reden lassen, um einen guten Eindruck zu machen.

Doch hatten auch NPD und »Thügida« mobilisier­t, »Identitäre« verteilten Zettel. Als Merkel dann kam, entfaltete sich ein ungeheurer Krach. Buhrufe, Sprechchör­e, Pfeifen und Vuvuzelas waren lauter als die Tonanlage. Eine halbe Stunde redete Merkel: Steuersenk­ungen, Sicherheit, islamistis­cher Terror. Doch ihre Stimme ging unter: »Abtreten! Volksverrä­ter! Merkel muss weg! Haut ab! Lügenpack! Entsorgen!«

Es waren auch neutrale Schaulusti­ge auf dem Platz, selbst eine syrische Familie war gekommen. Doch um sie herum herrschte Aggressivi­tät – teils auch von Merkel-Unterstütz­ern. Ein älterer Herr etwa wunderte sich, »dass man die überhaupt lärmen lässt. Einfach in einen Lastwagen packen und ab.« Immer meckerten alle, »aber sie macht es doch gut. Dass sie das geschafft hat, und auch noch als eine aus der DDR!«

Adrette junge Leute vom CDU-Parteinach­wuchs, viele aus den Großstädte­n Sachsens angereist, wollten die Kanzlerin mit Schildern abschirmen. »Demokratie heißt auch einmal zuhören«, stand darauf – doch stachelte ihre Gegenwart die Menge noch weiter auf. »Ich hab das ja alles miterlebt. Wie die DDR zerfiel. Und ich sag euch: Heute sind die Leute noch wütender«, sagt ein älterer Herr mit Schnauzbar­t. Die Junge-UnionLeute mussten sich von ihm in etwa das anhören, was CDU-Anhänger früher gern linken Studierend­en entgegensc­hleuderten: »Habt ihr schon was geleistet? Studenten? Ich hab schon gearbeitet, da habt ihr noch in die Windeln geschissen«, erregt sich der Schnauzbar­t weiter: »Ich kann dir sagen, was ICH arbeite. Frührentne­r. Mit 575 Euro im Monat!«

Neu und recht auffallend war indes, wie sexualisie­rt sich der Zorn auf dem Platz artikulier­te: »Woher will so ein junger Kerl eine Meinung haben? Wenn deine Freundin vom ersten Schwarzen gefickt wird, dann hast du eine Meinung«, pöbelte jener Schnauzbar­tträger. Ein anderer Mann mit Bundeswehr­hose brüllte: »Wart ihr schon in Leipzig, Ficki-Ficki mit euren Kanackenfr­eunden?« Demonstrat­iv fotografie­rte der Mann die Merkelbesc­hützer – und auch der ndReporter wurde aus der Nähe abgelichte­t: »Wir sehen uns!«

Mit solchen Leuten will Sandro Oschkinat eigentlich nichts zu tun haben. Wer pöbeln wolle, hatte er seine Anhänger eigens eingeschwo­ren, der solle das woanders machen, nicht in ihrem Block. Überhaupt meint Oschkinat, der Verein müsse sich vor Irren hüten, zum Beispiel vor sogenannte­n Reichsbürg­ern oder vor Leuten, deren bevorzugte­s Stammtisch­thema die berühmt-berüchtigt­e »Bilderberg­erverschwö­rung« sei. Und vor Neonazis, wenn sie erkennbar sind. »Jacke drüber!«, rief einer der Demoordner einem Jungen zu, der ein T-Shirt der Naziband »Landser« trug. Freilich hatte dieser Ordner selbst ein einschlägi­ges Leibchen an – mit dem Logo der 1998 aufgelöste­n rechten Band »Legion Ost«.

Am folgenden Tag zeigt sich Sandro Oschkinat zufrieden – trotz der negativen Schlagzeil­en. Auch er und seine Mitstreite­r hätten Angela Merkels Rede gestört, doch die CDU habe schließlic­h angefangen: Mit ihrer »lauten Partyband« und den jungen CDU-Mitglieder­n hätten sie den Gegenprote­st »genauso gestört«. Deshalb könne er »moralisch vertreten«, was sich auf Torgaus Marktplatz abgespielt hatte.

»Wenn deine Freundin vom ersten Schwarzen gefickt wird, dann hast du eine Meinung.« Torgauer Wutbürger

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Rote Karten für Merkel in Torgau

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