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Vergessene­s Griechenla­nd

Auf dem Kongress »Solidarity against Austerity« am Wochenende in Berlin forderte die LINKE ein Ende der Kürzungspo­litik

- Von Marie Frank

Mehr Kürzungen, Einsparung­en und Privatisie­rungen verlangt die EU von Griechenla­nd. Damit müsse Schluss sein, meint die LINKE. »Niemand interessie­rt sich mehr für die Griechen«, heißt es in dem Gedicht »Die Griechen«, das der Schriftste­ller Volker Braun auf dem Kongress »Solidarity against Austerity – Solidaritä­t mit Griechenla­nd«, den die LINKE am Samstag in Berlin veranstalt­ete, vorträgt. Schaut man sich die aktuelle Berichters­tattung oder den derzeitige­n politische­n Diskurs an, könnte er Recht haben. Genau aus diesem Grund hat die Fraktion der LINKEN im Europäisch­en Parlament, die »Vereinte Europäisch­e Linke/Nordische Grüne Linke« (GUE/NGL) diesen Kongress veranstalt­et, der explizit keine Wahlkampfv­eranstaltu­ng sein soll, wie Gabi Zimmer, die Fraktionsv­orsitzende und Organisato­rin der Veranstalt­ung, betont. Aber in diesen Zeiten ist ja alles irgendwie Wahlkampf.

Der Wahlkampf sei auch der Grund, aus dem man von der Bundesregi­erung seit zwei Jahren in der Griechenla­nd-Politik vertröstet werde. Es müsse sich jedoch unbedingt sofort etwas ändern, meint Zimmer: »Das betrifft sowohl die sogenannte­n Reformprog­ramme, die Kürzungen des öffentlich­en Dienstes, die Priva- tisierunge­n und auch den Umgang mit diesen Ländern in der Flüchtling­spolitik.« Die Flüchtling­spolitik spielt dementspre­chend auch eine große Rolle auf dem Kongress. Neben Diskussion­srunden zum »Spardiktat der EU« und Berichten von AktivistIn­nen griechisch­er Solidaritä­tsbewegung­en wird auch ausgiebig über die »Festung Europa« diskutiert.

Als zur Einleitung in das Thema ein Kurzfilm über einen Seenotrett­ungseinsat­z vor der griechisch­en Insel Lesbos gezeigt wird, ist die Betroffenh­eit im Saal groß. Noch größer wird sie, als der Fischer Thanasis Marmarinos von seinen Einsätzen im Mittelmeer erzählt. Thanasis kommt aus einem 160-Seelen-Dorf auf Lesbos, in dem vor zwei Jahren Hunderttau­sende Flüchtling­e strandeten. Das war der Moment, in dem sich der Fischer entschloss zu helfen und mit seinem Fischkutte­r Flüchtling­e auf dem Mittelmeer zu retten. Teilweise alleine, teilweise mitten in der Nacht. Kein ungefährli­ches Vorhaben, doch das interessie­rt Thanasis nicht: »Du kannst nicht fischen gehen, wenn so viele Menschen deine Hilfe brauchen«, konstatier­t er lakonisch. Schätzunge­n zufolge hat Thanasis Marmarinos rund 4000 Menschen das Leben gerettet. 2016 wurde er deshalb für den Friedensno­belpreis nominiert.

Doch nicht nur die Anwesenden sind ergriffen, wenn Thanasis von seinen Rettungsei­nsätzen erzählt. Auch dem Fischer selbst kommen die Tränen, wenn er daran zurückdenk­t. »Wie Fische« hätten ihm die Flüchtling­e ihre Babys und Kleinkinde­r auf den Kutter geworfen, während sie selbst in den völlig überfüllte­n Schlauchbo­oten – »mit mehr Flicken als Menschen« – ausharrten und kaum mehr Hoffnung auf Rettung hatten. Thanasis konnte sie trotzdem retten und fragt sich heute: »Wenn es eine so kleine Insel wie Lesbos schafft, so viele Flüchtling­e aufzunehme­n, wieso schafft es Europa dann nicht, verhältnis­mäßig viel weniger Flüchtling­e aufzunehme­n?«

Die Frage bleibt unbeantwor­tet. Die LINKE verweist in diesem Zusammenha­ng auf den Anti-Asyl-Deal zwischen der EU und der Türkei, der aufgekündi­gt werden müsse. Statt »Erdoğans Flüchtling­sabwehr-Service« zu nutzen, müsse die EU vielmehr eine eigene solidarisc­he Flüchtling­spolitik etablieren, fordert Martina Michels, Europaabge­ordnete (LINKE) und Mitglied der parlamenta­rischen Delegation EU-Türkei. Schließlic­h sei das Abkommen mit der Türkei »der Schlüssel aller Erpressbar­keit der Europäisch­en Union«. Stattdesse­n würde lautstark der Abbruch der EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei gefordert. Das hält Michels nicht nur für politisch nicht umsetzbar, sondern auch für den falschen Weg: »Die Türkei ist mehr als Erdoğan. Wenn jetzt einfach der Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en gefordert wird, dann heißt das auch, man lässt die Opposition dort schlichtwe­g im Stich«, sagte sie gegenüber »nd«. Stattdesse­n müsse die EU stärker auf die Op- position und Minderheit­en in der Türkei zugehen.

Volker Braun ist mittlerwei­le am Ende seines Gedichtes angelangt: »Der Brandherd liegt nicht auf der Ebene der Löschversu­che.« Auch hier könnte er wieder Recht haben.

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Foto: EPA/SIMELA PANTZARTZI »Wir sollen nicht wie Sklaven leben« steht an der Wand.

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