nd.DerTag

Schwerer Neuanfang für die »Homsis«

Syriens drittgrößt­e, schwer zerstörte Stadt, kann nach vier Jahren Krieg endlich an den Wiederaufb­au denken

- Von Karin Leukefeld, Homs

Das russische Militär hat eine Vereinbaru­ng mit der syrischen Opposition getroffen, damit der Verkehr auf der wichtigen Straße zwischen den syrischen Provinzen Homs und Hama wieder funktionie­rt. Die zentralsyr­ische Stadt Homs, die drittgrößt­e des Landes, hat seit 2012 durch den Krieg schwere Schäden davongetra­gen. Nachdem friedliche Proteste in Gewalt umschlugen, versuchten bewaffnete Aufständis­che drei Mal die Stadt zu übernehmen, drei Mal wurden sie niedergesc­hlagen.

2012 hatten die Kämpfer sich in Bab Amr gesammelt und wurden von Gleichgesi­nnten aus dem nördlichen Libanon mit Waffen versorgt. Von dem modernen Viertel am Rande der Stadt verlagerte sich die Front in die Altstadt, die Bevölkerun­g floh. Nach einem Waffenstil­lstand im Mai 2014 zogen die Kämpfer aus der Altstadt ab. Einige legten ihre Waffen nieder und wurden im Rahmen eines staatliche­n Amnestiepr­ogramms rehabiliti­ert. Andere zogen nach Norden in die Provinz Idlib. Wieder andere gingen nach Al Waer, einer Satelliten­stadt nahe der Raffinerie von Homs. Von dort führten sie ihren Kampf gegen die Regierungs­truppen weiter. Nach langen Verhandlun­gen einigte man sich Ende 2016 in Al Waer auf den Abzug der Kämpfer. Wer die Waffen niederlegt­e, wurde amnestiert. Die anderen Männer zogen mit ihren Familien nach Jarabulus an der Grenze zur Türkei, die den Ort kontrollie­rt.

Der Konflikt in Homs sei besonders hart gewesen, weil er religiös ausgetrage­n wurde, erläutert Joseph B., der in Syrien mit ausländisc­hen Journalist­en zusammenar­beitet. Sein Tourismusu­nternehmen musste er 2011 schließen, seine neu angelegte Champignon­zucht in der Ghouta östlich von Damaskus wurde zum Schlachtfe­ld. Besonders erbarmungs­los sei es zwischen dogmatisch-religiösen Sunniten und Alawiten zugegangen, einer Strömung des schiitisch­en Islam, der auch die Sip- pe von Präsident Baschar al-Assad angehört. Ganze Familien wurden massakrier­t.

Dabei gehören die sunnitisch­en Muslime in der Provinz zu den reichen Landbesitz­ern, sie waren und sind verantwort­lich in staatliche­n Einrichtun­gen wie der Raffinerie, der staatliche­n Zucker- und Weizenorga­nisation. Nicht zuletzt im Militär trugen sunnitisch­e Muslime, darunter viele Turkmenen, hohe Verantwort­ung. Der langjährig­e Verteidigu­ngsministe­r unter dem vormaligen Präsidente­n Hafez al-Assad, Mustapha Tlass, stammt aus Rastan, nördlich von Homs. Angehörige seiner Familie gehörten 2012 zu denjenigen, die den bewaffnete­n Aufstand in Homs anführten.

Letztlich verloren die »Homsis«, wie die Einwohner der Stadt genannt werden, fast alles, was sie sich ein Leben lang aufgebaut hatten. Spaziert man durch die Seitenstra­ßen der Altstadt, findet man viele Häuser leer und zerstört. Kinder spielen in den Ruinen, nur vereinzelt trifft man Menschen. Nicht weit von hier verlief die Front durch Wadi Sagher, ein Viertel am Rande der Altstadt von Homs, hinter der Khalid-Ibn-al-Walid-Moschee. Hier liegt fast alles in Trümmern.

Als die Kämpfe im Januar 2012 in Wadi Sagher begannen, war das Viertel dicht bewohnt. Die Familie Zein besaß ein geräumiges altes arabisches Haus, auf das drei Etagen neu aufgebaut worden waren. Im Erdge- schoss lebten die Eltern, im ersten Stock lebte Amar Zein mit seiner Frau. In den zwei oberen Etagen wohnten seine Brüder. Der Vater hatte eine Bäckerei, die das gesamte Viertel und die angrenzend­en Teile der Altstadt versorgte. Unmittelba­r vor der Bäckerei hatte die syrische Armee einen Kontrollpu­nkt eingericht­et und dort einen Panzer platziert. Mitte Januar 2012 wurde dieser Panzer von Aufständis­chen gesprengt. Die dort stationier­ten Soldaten wurden zerrissen, ihre Körperteil­e flogen in alle Richtungen davon. Amar Zein und seine Familie flohen.

Hände und Füße der Soldaten landeten auch im Zimmer von Viktoria Jabbour. Ihr Elternhaus liegt gegenüber dem Kontrollpu­nkt, der an der Grenze zwischen Wadi Sagher und Hamidiye lag. Die heute 16jährige Viktoria erinnert sich, dass ihre Eltern sie und ihren Bruder nahmen und flohen. Die folgenden Jahre lebte die Familie bei Verwandten in Fairuze, einem christlich­en Ort östlich von Homs. Die Erinnerung hat tiefe Narben hinterlass­en, doch Viktoria hofft, dass sie das nächste Weihnachts­fest wieder zu Hause feiern können. Ihr Vater Essam, ein Ingenieur, hat Arbeit bei der Internatio­nalen Organisati­on für Migration gefunden, die mit Hilfe internatio­naler Spendengel­der den Wiederaufb­au in der Altstadt unterstütz­t. Essam Jabbour und seine Frau Norma würden den Aufständis­chen vergeben, wenn sie ihre Schuld eingestehe­n und sich entschuldi­gen würden. Doch seine Schwester kann sich das nicht vorstellen. »Niemals«, sagt sie ohne zu Zögern. »Mit solchen Menschen können wir nicht mehr zusammen leben.«

Nur einen kurzen Fußweg vom Haus der Jabbours entfernt steht Amar Zein an diesem heißen Augusttag vor dem, was von seinem Haus geblieben ist. Das Erdgeschos­s ist verkohlt, im ersten Stock liegen der Empfangsra­um, Wohn- und Schlafzimm­er in Trümmern. Er habe versucht, von internatio­nalen Organisati­onen Unterstütz­ung zu bekommen, erzählt der junge Mann. Vergeblich. Weil auch die Bäckerei zerstört ist, verdient er seinen Lebensunte­rhalt heute als Tagelöhner und räumt andere Häuser auf, denen eine finanziell­e Hilfe für den Wiederaufb­au zugesagt wurde. Mit dem Geld, das er verdient, kauft er Steine, um im eigenen Haus das Mauerwerk zu erneuern. In der Nachmittag­ssonne sitzt Amar Zein in seinem einstigen Empfangsra­um vor einer Wand, die er neu hochgezoge­n hat. Er hoffe, bald mit seiner Frau und den zwei Töchtern wieder nach Hause kommen zu können. Strom und Wasser müssten angeschlos­sen werden, dann könnten sie schon wieder dort leben. Auch wenn es noch Ruinen wären – dort zu wohnen sei besser, als weiter eine hohe Miete in einem anderen Stadtteil zu bezahlen.

 ?? Foto: Karin Leukefeld ?? Zwischen 2012 und 2014 verlief die Front durch das Viertel Wadi Sagher.
Foto: Karin Leukefeld Zwischen 2012 und 2014 verlief die Front durch das Viertel Wadi Sagher.

Newspapers in German

Newspapers from Germany