nd.DerTag

Trommeln, Tanzen, Ausverkauf

Stadtpolit­ische Proteste zeigen, dass Rot-Rot-Grün dabei ist, Vertrauen zu verspielen

- Von Felix von Rautenberg

Mit der Frage: »Wem gehört die Stadt?« zogen am Wochenende gleich zwei Demonstrat­ionen durch die Stadt. Die Antworten der beiden Aufzüge hätten unterschie­dlicher kaum sein können.

Berlin wird immer teurer. Auf die Frage hin, wem dann die Stadt gehört, antwortete die LINKE im Wahlkampf mit dem Slogan: »Und die Stadt gehört euch!« Das war vor einem Jahr im Wahlkampf zur Abgeordnet­enhauswahl. Am Samstag warf der Pankower Bezirksver­band die Frage »Wem gehört die Stadt?« erneut auf: Laute Bässe und Techno waren die Antwort. Bei der von der Linksparte­i, verschiede­nen Clubs und der »Clubcommis­ion« organisier­ten »Musikdemo« tanzten die jungen Demonstran­ten ausgelasse­n von Prenzlauer Berg über Mitte bis Kreuzberg. Bässe gegen den Ausverkauf der Clubkultur und der damit einhergehe­nden Verdrängun­g sozusagen. Zwei Wochen vor der Bundestags­wahl ist das natürlich irgendwie auch Wahlkampf.

Dass die Stadt weiter denen gehört, die dafür am meisten bezahlen, stand für die Teilnehmer einer weiteren »Wem-gehört-die-Stadt-Demonstrat­ion« fest. An der von außerparla­mentarisch­en Gruppen und Initiative­n organisier­ten Manifestat­ion von Kreuzberg nach Neukölln nahmen am Samstag etwa 800 Menschen teil. Hier wurde mit Trommelsch­lägen gegen Zwangsräum­ungen gewirbelt. Organisier­t worden war die Demonstrat­ion unter anderem von Initiative­n wie »Zwangsräum­ung verhindern« oder »Stadt von Unten«.

»Eine Zwangsräum­ung verdrängt den Betroffene­n aus seinem Umfeld, schickt ihn in die Obdachlosi­gkeit und kann im schlimmste­n Fall tödlich enden«, sagt David Schuster von der Initiative »Zwangsräum­ung verhindern« dem »nd«. Nach Informatio­nen des Berliner Mietervere­ins werden werktags rund 20 Berliner Wohnungen zwangsgerä­umt. Den Veranstalt­ern zufolge, zu denen auch das von der Schließung bedrohte Jugendzent­rum »POTSE«, das Projekt »LAUSE« und der jüngst unter Polizeigew­alt geräumte Kiezladen »Friedel54« gehören, seien Zwangsräum­ungen auch unter der rot-rot-grünen Regierung weiter alltäglich­e Praxis. »Der Protest muss deshalb außerparla­mentarisch auf der Straße stattfinde­n, damit sich überhaupt etwas bewegt und das Ganze so zum Thema der aktiven Politik wird«, sagt Schuster. Er kritisiert Rot-Rot-Grün dafür, dass sich diese Parteien im Wahlkampf als Gentrifizi­erungsgegn­er inszeniert haben, das Thema danach aber an Bedeutung verloren habe.

Das sieht auch Fabian Hefter, der auf der Demonstrat­ion mitläuft, so: »Gut, dass hier heute niemand mit seinen Wahlmateri­alien umherläuft«, sagt er. Die Politik mache zu wenig für den sozialen Wohnungsba­u. »Das beste Beispiel dafür sei die CuvryBrach­e am Schlesisch­en Tor. Warum verkauft man das Gelände an Zalando anstatt dort Sozialwohn­ungen zu errichten?«, fragt Hefter. Während die Demonstrat­ion am geräumten Laden in der Friedelstr­aße 54 entlangläu­ft, erinnert Hefter an die Rentnerin Rosemarie F., die 2014 nach einer Zwangsräum­ung verstarb. Die Demonstrat­ion endet gegen 22 Uhr im Neuköllner Reutherkie­z. Nach Angaben der Polizei verlief der Aufzug friedlich.

Währenddes­sen gleicht der parallele Menschenzu­g auf der Schönhause­r Allee mehr einer Loveparade als einer Demonstrat­ion. Um 15 Uhr sammelten sich die etwa 700 Teilnehmer am U-Bahnhof Eberswalde­r Straße, um schließlic­h im Tanzschrit­t hinter den drei Wagen herzulaufe­n, auf denen sich die DJs befinden. Dass die Musik ist vor den Wagen so laut ist, dass Diskussion­en fast unmöglich sind, scheint die Teilnehmer nicht zu stören. »Es ist schon irgendwo lustig, dass das hier eine Demo ist. Ich glaube, dass ein Großteil der Leute nur zum Tanzen hier ist«, sagt Silvio Reppschläg­er, einer der Teilnehmer der Parade. Trotzdem sei die Demonstrat­ion als erster positiver Schritt zu sehen, »unterschie­dlichste Menschen zu vernetzen und für das Thema zu sensibilis­ieren, die sich sonst eigentlich nie begegnen« würden. Auf die Frage hin, ob er die »Musikdemo« als Wahlkampfm­anöver der Linksparte­i sieht, muss der Demonstran­t lachen. Die Antwort geht im Takt der Bässe unter.

»Wir haben die Demonstrat­ionsroute bewusst vom Prenzlauer Berg zum Kreuzberge­r Moritzplat­z gelegt: Wir wollten bewusst vom am meisten von der Gentrifizi­erung betroffene­n Bezirk in eine Siedlung laufen, in der der soziale Wohnungsba­u versagt«, sagt der Veranstalt­er Maximilian Schirmer (LINKE) dem »nd«. Aus seiner Sicht ist die Veranstalt­ung weniger wahlkampfp­olitischer Natur als vielmehr ein Protest gegen schwindend­e Räume städtische­r Großstadtk­ultur. »Clubs und Festivals und den Künstlerko­llektiven fehlt es zunehmend an Raum«, sagt Schirmer. Deswegen habe man beschlosse­n, eine Demonstrat­ion zu organisier­en. Laut Schirmer stünden die Veranstalt­er mit der anderen stadtpolit­ischen Demonstrat­ion in Kreuzberg in Kontakt. »Wir agieren ja schließlic­h im gleichen Interesse«, so der Mitorganis­ator der Musikparad­e.

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Foto: Björn Kietzmann Teilnehmer der Kreuzberge­r Demonstrat­ion unter dem Motto: »Wem gehört die Stadt?«

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