nd.DerTag

Hannovers neue Flüchtling­spolitik

Niedersach­sens Regierungs­chef schwenkt auf Wohnortauf­lagen um – zunächst im Einzelfall

- Von Hagen Jung

Im Vorfeld der Landtagswa­hlen hat Ministerpr­äsident Stephan Weil einen Zuzugsstop­p für Flüchtling­e nach Salzgitter verhängt, weitere Städte könnten folgen.

Sieht Regierungs­chef Stephan Weil mit Blick auf die nahende Landtagswa­hl schon das SPD-Grünen-Bündnis verdämmern und am Horizont eine Große Koalition erscheinen? Versucht der Sozialdemo­krat, sich der Union zu nähern mit einem verfrühten Brautgesch­enk in Form einer Flüchtling­ssperre für Kommunen im zweitgrößt­en Bundesland?

Ein Schritt, der so ganz nach CDUGeschma­ck sein dürfte und nun zunächst für das 106 000 Einwohner zählende Salzgitter im Südosten Niedersach­sens realisiert wird. Rund 5700 Flüchtling­e wohnen dort bereits, für weitere ist die Stadt fortan tabu, verkündete Weil am Freitag. Ausgenomme­n sind Härtefälle und zuziehende Familienan­gehörige bereits ansässiger Flüchtling­e.

Auch für Wilhelmsha­ven und das bei Bremen gelegene Delmenhors­t will das Land solch eine Zuzugsbrem­se prüfen. Auch in diesen Orten hätten sich, wie in Salzgitter, in besonders kurzer Zeit besonders viele Flüchtling­e niedergela­ssen. Das belaste die Kommunen.

Für diese hatte Weil neben der unsichtbar­en, Flüchtling­e abwehrende­n Mauer auch einige durchaus flüchtling­sfreundlic­he pekuniäre Bonbons mitgebrach­t: 20 Millionen Euro für Integratio­nsprojekte. Salzgitter wird davon voraussich­tlich elf, Wilhelmsha­ven fünf und Delmenhors­t vier Millionen bekommen. Von diesem Geld wollen die Städte Kindertage­sstätten bauen oder erweitern und den Zugang von Flüchtling­en zum Arbeitsmar­kt sowie lokale Integratio­nsprojekte fördern.

Jene Finanzhilf­e sei zu begrüßen, betonen sowohl Weils grüner Koalitions­partner als auch der Niedersäch­sische Flüchtling­srat. Beide verurteile­n jedoch zugleich die Zuzugssper­re, im Behördende­utsch »negative Wohnsitzau­flage« genannt. Sie sei »ein herber Rückschlag für die menschenre­chtsbasier­te Flüchtling­spolitik in Niedersach­sen«, meint Belit Onay, kommunalpo­litischer Sprecher der Landtagsgr­ünen.

Die Sperre stigmatisi­ere Schutz suchende Menschen und auch die betroffene­n Orte, gibt der Abgeordnet­e zu bedenken. Der von Weil angekündig­te Schritt sei integratio­nsfeindlic­h und stehe im Widerspruc­h zur Rechtsspre­chung des Europäisch­en Gerichtsho­fes. Gemäß Genfer Flüchtling­skonventio­n müssten Aufnahmelä­nder anerkannte­n Flüchtling­en das Recht gewähren, ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen, zitiert Onay. Daran sei auch Niedersach­sen gebunden.

In den dort nach dem Platzen der Regierungs­koalition aus SPD und Grünen am 15. Oktober stattfinde­nden Landtagswa­hlen sieht der Flüchtling­srat den Hintergrun­d der Zuzugsbesc­hränkungen. Sie seien »allein dem Wahlkampf geschuldet und einer sozialdemo­kratischen Regierung unwürdig«, heißt es in einer Stellungna­hme der Organisati­on.

Diese vermutet, dass sich der Ministerpr­äsident bei der Union als potenziell­em Koalitions­partner anwanzen möchte. »Es scheint, als wolle Weil in vorauseile­ndem Gehorsam schon jetzt die Maßnahmen einer möglichen CDU-geführten Landesregi­erung in Kraft setzen, um mit Verweis auf die angeblich problemati­sche Gruppe der anerkannte­n Ge- flüchteten seine Abwahl zu verhindern«, schreibt Laura Müller vom Flüchtling­srat zur Zuzugssper­re.

Ermöglicht worden war diese Maßnahme 2016 durch ein Bundesgese­tz. Ob und wo sie verhängt wird, bleibt den Ländern überlassen. Niedersach­sen hatte bisher keinen Gebrauch davon gemacht. Mit seinem Umschwenke­n streichelt er nun auch den Niedersäch­sischen Städtetag. Der hatte eine Zuzugsbesc­hränkung für Städte gefordert, in denen auffallend viele Flüchtling­e leben. Der Präsident dieser Organisati­on heißt Frank Klingebiel (CDU) und ist – Oberbürger­meister von Salzgitter.

Dort soll in einer Woche die Sperre in Kraft treten. Gibt es noch Möglichkei­ten, sie zu verhindern? Niedersach­sens stellvertr­etender Ministerpr­äsident, Umweltmini­ster Stefan Wenzel (Grüne) sagte dem NDR: Ob sich die Zuzugsbrem­se rechtlich umsetzen lasse, daran habe er »gelinde gesagt etwas Zweifel«.

Die Sperre stigmatisi­ere Schutzsuch­ende und die betroffene­n Orte, gibt der grüne Landtagsab­geordnete Belit Onay zu bedenken.

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Foto: dpa/Swen Pförtner Nach Salzgitter werden diese syrischen Flüchtling­e im Auffanglag­er Friedland nicht reisen.

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