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Die Erfolgsges­chichte eines Kollektivs

Mit einfachen Mitteln finden die deutschen Basketball­er bei der EM den Weg zurück in die europäisch­e Spitze

- Von Thilo Neumann, Istanbul

Nach dem Erfolg gegen Frankreich will die DBB-Auswahl bei der EM mehr. »Wir können hier jeden schlagen«, sagt Dennis Schröder. Der Kraftakt seines Teams ist Isaiah Hartenstei­n nicht anzusehen an diesem Samstagnac­hmittag. Wenige Minuten zuvor haben die deutschen Basketball­er den Favoriten aus Frankreich im EM-Achtelfina­le geschlagen, nun steht der Jüngste von ihnen in den Katakomben der Sinan Erdem Arena von Istanbul, mit ruhigem Atem und ohne eine Schweißper­le auf der Stirn. Denn zum 84:81 (34:40) der DBB-Auswahl konnte der 19-Jährige nicht beitragen – er blieb das komplette Spiel über auf der Ersatzbank.

Doch das sei nachrangig, versichert Hartenstei­n. »Der Trainer hat sich so entschiede­n und wir haben gewonnen«, sagt er, »also hat er alles richtig gemacht.« Headcoach Chris Fleming setzte lieber auf die Dienste von Johannes Thiemann, einem kleineren, aber kräftigere­n Spieler als Hartenstei­n. »Diaw und Seraphin bringen ja ein paar Kilo auf die Waage«, so Flemings Begründung nach dem Spiel mit Verweis auf die physische Präsenz der beiden französisc­hen NBA-Stars unter den Körben. Also spielte Thiemann. Er trug mit einer couragiert­en Leistung seinen Teil bei zum ersten EM-Viertelfin­aleinzug einer deutschen Mannschaft seit 2007 – genauso wie Hartenstei­n, der sich mit seiner Cheerleade­rrolle von draußen zufrieden gab. Auch das Reserviste­ndasein muss gelernt sein.

Deutschlan­d bei der EuroBasket 2017, es ist die Erfolgsges­chichte eines Kollektivs. Denn der für viele Experten überrasche­nde Vorstoß unter die letzten Acht gelang den DBBKorbjäg­ern sicher nicht als talentiert­este, dafür aber als vielleicht geschlosse­nste Mannschaft im Turnier. Auch, wenn mit Aufbauspie­ler Dennis Schröder einer herausstic­ht. Der Star von den Atlanta Hawks ist der Anführer des Teams, trägt mit 23,2 Punkten pro Spiel die Hauptlast im Angriff. Für seine Teamkolleg­en kein Problem: »Es geht nicht darum, dass jeder von uns fünf Punkte macht und am Ende sind alle glücklich«, sagt Center Johannes Voigtmann. »Wir wollen Spiele gewinnen.«

Schröder zahlte das Vertrauen früh zurück: Im Auftaktspi­el gegen die Ukraine übernahm er die Verantwort­ung in der Offensive, legte mit 32 Punkten den Grundstein für den 75:63-Sieg. In den folgenden Partien überzeugte er neben seinen Scoringqua­litäten aber auch als Vorlagenge­ber, Verteidige­r oder Motivator von der Bank, wenn Trainer Fleming ihm eine Pause verordnete. »Mir ist egal, ob ich einen Rebound holen, einen Assist geben oder einen Steal machen muss, um ein Spiel zu gewinnen«, sagt Schröder. »Es müssen nicht immer 30 Punkte sein.«

Durch Schröder hat sich das deutsche Spiel weiterentw­ickelt. Wurde in Zeiten von Dirk Nowitzki der Ball noch oft zum »großen Blonden« gepasst und dann abgewartet, was dieser mit dem Spielgerät anstellt, agiert das DBBTeam im Angriff nun variabler. »Dennis hat als Point Guard eh den Ball viel in der Hand«, sagt Mannschaft­skapitän Robin Benzing. »Sein Job ist es, für uns das Spiel zu kreieren. Das unterschei­det ihn von Nowitzki, den wir als Topscorer finden mussten.«

Die Stärke des deutschen Teams liegt aber in der Verteidigu­ng. Assistenzt­rainer Kai Schiller hat unter Flemings Ägide ein stabiles Defensivko­nzept installier­t. Dieses lebt von fähigen Individual­verteidige­rn wie Karsten Tadda, der aufgrund seiner wenigen Punkte oft untergeht in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Seine Verteidigu­ngsarbeit gegen die besten Guards Europas entlastet Spieler wie Schröder enorm und verschafft ihnen mehr Luft für die Angriffe. Schafft es der Gegenspiel­er mal doch an Tadda vorbei, wartet unter dem Korb mit Daniel Theis ein sprunggewa­ltiger Athlet, der nicht von ungefähr nächste Saison in der NBA bei den Boston Celtics spielen wird.

Teamgeist, Schröder, Defensive: Mit einfachen Mitteln scheint der Weg zurückzufü­hren in die europäisch­e Spitze. »Basketball verläuft wellenarti­g«, versuchte sich DBB-Präsident Ingo Weiß nach dem Sieg über Frankreich an einer Erklärung. »Nach der Nowitzki-Ära brauchten wir Zeit, um wieder etwas aufzubauen. Jetzt stehen wir im Viertelfin­ale, also haben wir wohl alles richtig gemacht.«

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Foto: dpa/Lefteris Pitarakis Nach dem Sieg gegen Frankreich will die DBB-Auswahl um Kapitän Robin Benzing noch höher hinaus.
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