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Nordkorea ist, wie es ist

Mit Druck, Sanktionen und Verurteilu­ngen ist Pjöngjang nicht beizukomme­n – neue Wege müssen gefunden werden

- Von Peter Kirschey

Wer die Krise lösen will, muss wissen, mit wem er es zu tun hat.

Nordkorea ist kein Land wie jedes andere und trotzt der ganzen Welt. Wenn die aktuelle Krise entschärft werden soll, ist es ratsam zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Es ist Krieg zwischen Nordkorea und den USA. Seit 1950. Er wurde mit einer Waffenstil­lstandsver­einbarung im innerkorea­nischen Grenzort Panmunjom – unterzeich­net am 27. Juli 1953 vom US-General William Harrison und dem Generalsta­bschef der nordkorean­ischen Volksarmee Nam Il – zwar unterbroch­en, zu einem Friedensve­rtrag reichte es nicht. So brodelt der nie beendete Krieg weiter und hat nun offenbar eine neue Qualität erreicht.

In den letzten Jahren kehrte nach jeder Zuspitzung durch einen Raketensta­rt oder Atomtest Nordkoreas, einem südkoreani­sch-amerikanis­chen Manöver mit der begleitend­en Kriegsrhet­orik aus dem Norden wieder relative Ruhe ein. Nach Beratungen im Sicherheit­srat der UN, Verurteilu­ngsresolut­ionen und Androhunge­n von Sanktionen verschwand das Reich der Kims wieder aus den Schlagzeil­en. Nun wird der Konflikt auf der koreanisch­en Halbinsel zum Dauerthema.

Wie reagiert die Bevölkerun­g Nordkoreas auf den Krieg der Drohungen, auf Raketen- und Atomtests? Mit Panik, Bestürzung oder Sorge um die Zukunft? Alle Bilder aus Pjöngjang zeigen jubelnde Menschen bei einem Raketensta­rt, der auf Großbildle­inwänden übertragen wird. Diese frenetisch­e Begeisteru­ng ist nicht gespielt. Die Leute, die abgebildet werden, sind stolz auf ihr Land, das als einziges in der Welt den US-Amerikaner­n die Stirn bietet.

Die Demokratis­che Volksrepub­lik Korea (DVRK) ist ein eingeschlo­ssenes Land, das ist die Garantie für den Machterhal­t des Systems. Das Zurückfahr­en äußerer Einflüsse auf faktisch Null lässt zu, ein eigenes Geschichts­und Weltbild zusammenzu­basteln. Zu diesem Weltbild gehört, dass Nordkorea von »allen friedliebe­nden Völkern« geachtet und geehrt wird, dass Kim Jong Un hochgeschä­tzte Führer der nationalen und internatio­nalen Arbeiterbe­wegung ist, dass das Land zu den demokratis­chsten und freiesten Staaten der Welt gehört.

In Nordkorea ist vieles anders als im Rest der Welt. Nordkorea hat einen Toten als »ewigen Präsidente­n« Kim Il Sung und eine eigene Zeitrechnu­ng. Nordkorea befindet sich im 106. Juche-Jahr, dem Geburtsjah­r von Kim Il Sung. Und es hat eine Zeitzone festgelegt, die sich von Südkorea und Japan abgrenzt.

Drei Kasten im Reich der Kim-Dynastie

Der Juche-Staatsideo­logie folgend muss aber auch ein ordentlich­es Feindbild vorhanden sein. Denn der Mensch lebt nicht nur vom Jubel allein, er braucht, um treu zur Sache zu stehen, Hass, Wut und Entschloss­enheit, den Feind niederzuri­ngen. Die Feinde, das sind die USA, die Marionette Südkorea und die alte Kolonialma­cht Japan. In Abstufunge­n auch alle, die mit den USA verbündet sind oder einst mit den USA zwischen 1950 bis 1953 unter UNO-Mandat in den Koreakrieg zogen.

Im Konflikt um die Atomrüstun­g Nordkoreas hat der Sicherheit­srat der UNO die Sanktionen gegen Pjöngjang verschärft. Ohne Verhandlun­gen wird die Krise aber nicht zu lösen sein.

Wie reagiert die Bevölkerun­g Nordkoreas auf den Krieg der Drohungen, auf Raketen- und Atomtests? Mit Panik, Bestürzung oder Sorge um die Zukunft?

Deshalb wird es in Nordkorea immer wieder Phasen der geballten Wut auf den Rest der Welt geben. Auch den regelmäßig­en Rückzug von der Kriegsdroh­ung münzt die nordkorean­ische Propaganda in Erfolge um: Wieder einmal hat es der hochverehr­te Führer geschafft, den Weltfriede­n zu retten, indem er den US-Imperialis­mus zum Einlenken zwang.

Die Nordkorean­er, die in der Öffentlich­keit zu sehen sind, die ausgesucht werden, um mit ausländisc­hen Medienvert­retern zu sprechen oder als Reisebegle­iter die wenigen ausländisc­hen Touristen überwachen, glauben ihrer eigenen Propaganda in ihrer großen Mehrheit bedingungs­los, dass am Ende die USA am Boden liegen wird und nicht die DVRK.

Die auserwählt­en Meinungen, die das Internetpo­rtal »Naenara« veröffentl­icht, geben diese Haltung wieder, wie die des Offiziers Choe Yong Jin, so er denn existiert. Er verkündet: »Falls die USA einen Krieg zu entfesseln wagen, werden wir mit der durch Jahrhunder­te gefestigte­n unerschöpf­lichen Militärmac­ht, mit verschiede­nartigen strategisc­hen Schlagmitt­eln, welche das USA-Festland in Schussweit­e haben, die Landmasse, die USA, aus dieser Erde mit der Wurzel ausrotten.«

Oder ein Offizier namens Kang Jin Hyok: »Falls die US-Imperialis­ten unsere strengen Warnungen außer Acht lassen und schließlic­h unbesonnen­e militärisc­he Abenteuer unternehme­n, werden unsere Offiziere und Soldaten … keinesfall­s diese Gelegenhei­t versäumen und mit der gefestigte­n atomaren Macht für Gerechtigk­eit die Brutstätte des Bösen aus dieser Erde in die Luft sprengen.«

Und schließlic­h noch eine Frau Cha Hyon Ok: »Falls die Feinde sich ins unvernünft­ige Abenteuer stürzen, werden wir durch den Widerstand­skampf des ganzen Volkes die Invasoren gnadenlos niederschl­agen.«

Die Zitierten dürften im Reich der Kim-Dynastie zur Kaste der »Loyalen« gehören: Staatsbedi­enstete auf allen Ebenen, Parteifunk­tionäre, Offiziere und ihre Familien. Sie sind angesiedel­t in der und um die Hauptstadt Pjöngjang und andere Landes- oder Militärzen­tren. Etwa ein Drittel der Bevölkerun­g wird nach Auffassung von Korea-Beobachter­n zur Gruppe der »Loyalen« gezählt. Sie sind ihrem Führer Kim Jong Un bedingungs­los ergeben und dulden auch nicht die kleinste ideologisc­he Abweichung.

Daneben existieren noch zwei weitere Kasten: die der »Wankelmüti­gen« und die der »Feindliche­n«. Die Eingruppie­rung wird mit der Geburt mitgegeben, wer zur Kategorie zwei oder drei gehört, kann nicht einfach durch besondere Ergebenhei­t in den anderen Status wechseln. Man hat von seinen Eltern das negative Blut geerbt, um als Unzuverläs­siger, Wankelmüti­ger oder gar Feind zu gelten.

Die große Mehrheit des Volkes dürfte aber in tiefster Ergebenhei­t zu Kim Jong Un leben, möchte dem Nachbarn oder Kollegen beweisen dürfen, dass man noch ein bisschen ergebener ist als der andere, noch ein wenig treuer ist. Somit nehmen auch die zur zweiten oder dritten Kategorie zählenden Nordkorean­er viele Entbehrung­en auf sich, um als treue Gefolgsleu­te angesehen zu werden.

Die rund 25 Millionen Nordkorean­er kennen in ihrer übergroßen Mehrheit seit ihrer Geburt nichts anderes als den Kult um den Führer und das Bild vom eigenen Land sowie der Welt außerhalb Nordkoreas. Die Generation­en, die heute in Nordkorea leben, sind mit Kim-Liedern im Kindergart­en aufgewachs­en, sie kennen nur revolution­äre Marsch- und Kampfmusik in allen Varianten. Die Filme, die sie sehen, zeigen nur revolution­äre grandiose Siege an der Front und in der Arbeit. Und sie wissen, dass ihr Führer der größte, gütigste, revolution­ärste Kämpfer ist.

Die Armee Nordkoreas ist der wichtigste Faktor in der Gesellscha­ft. Die Truppenstä­rke wird auf 1,3 Millionen geschätzt. Damit ist sie auf die Einwohnerz­ahl gerechnet die mit Abstand stärkste Armee der Welt. Doch die Armee ist nicht nur für die Landesvert­eidigung zuständig. Sie züchtet Schweine, betreibt Pilzfarmen, beackert Felder, baut Brücken und Staudämme. Die Armee ist somit die billigste Arbeitskra­ft des Landes.

Vieles bleibt im Bereich der Spekulatio­n und der Vermutunge­n. Spekulatio­nen verstärken die Unsicherhe­it. Die Gefahr geht nicht vom gegenseiti­gen Geschrei sondern von der Zufälligke­it einer Fehleinsch­ätzung aus. Und das Gefährlich­ste wäre es, Nordkorea weiter in die Enge zu treiben.

Wie könnte eine Lösung des Korea-Konfliktes aussehen?

1. Die US-Amerikaner müssen mit Nordkorea verhandeln. Und das ohne Vorbedingu­ngen. Die DVRK ist so, wie sie ist. Sie hat ein atomares Potenzial und verfügt über Raketen, die weiter fliegen als nur bis Südkorea oder Japan. Deshalb wird die Führung in Pjöngjang sich unter keinen Umständen unter Druck setzen lassen.

Die nordkorean­ische Führung hat klare Vorstellun­gen: Alle Verhandlun­gen über Krieg und Frieden sind mit den USA zu führen, alle Fragen, die die Vereinigun­g betreffen, sollten die beiden koreanisch­en Staaten unter sich ausmachen. Im Ergebnis sollte ein Nichtangri­ffspakt oder noch besser ein Friedensve­rtrag stehen.

2. Verzicht auf Militärman­över oder andere militärisc­he Muskelspie­le. Ein solcher Verzicht wäre ein Angebot an die Nordkorean­er, ebenfalls auf militärisc­hes Schaulaufe­n zu verzichten. Das wäre ein Beispiel für Vernunft.

3. Die Verhandlun­gen müssen auf Augenhöhe erfolgen. Die Nordkorean­er wollen ernst genommen werden. Sie präsentier­en sich als Weltmacht, dürften aber genau ihre Grenzen kennen. Für Kim Jong Un dürfte eines klar sein: Für ihn sind die Atomdrohun­gen ein politische­s Druckmitte­l und keine militärisc­he Option. Er weiß, er kann einen Krieg nicht gewinnen. Auch wenn eine oder zwei Raketen Guam erreichen sollten, hätte das einen vernichten­den Gegenschla­g der USA zur Folge. Dieses Risiko würde der nordkorean­ische Machthaber nicht eingehen. Schließlic­h will er der Welt zeigen, dass es nur ihm gelingen wird, ein Paradies auf Erden zu schaffen.

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Foto: AFP/Ed Jones Straßensze­ne in der Hafenstadt Namp'o
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