nd.DerTag

Katalanen zeigen keine Angst

Hunderttau­sende sprechen sich auf den Straßen für die Unabhängig­keit aus

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Mehr als eine Million Menschen haben allein in Barcelona deutlich gemacht, dass sie gegen alle Repression über ihre Unabhängig­keit entscheide­n wollen. Feierstimm­ung ließ man sich am katalanisc­hen Nationalfe­iertag (Diada) am 11. September nicht verbieten, doch wurde angesichts der Repression aus Madrid erneut auch dieser Slogan gerufen: »No tinc por« (Ich habe keine Angst). Unter dem Motto gingen im August in Barcelona etwa eine halbe Million nach den islamistis­chen Anschlägen auf die Straße, um den Terroriste­n die Stirn zu bieten. Man kann darüber streiten, ob der Slogan auch jetzt angemessen ist, aber er könnte für Spanien ein Anlass zum Nachdenken darüber sein, unter welcher Bedrohung sich viele Katalanen sehen. Schließlic­h hat der rechte spanische Regierungs­chef Mariano Rajoy angekündig­t, das Referendum »mit allen Mitteln« zu verhindern und seine Verteidigu­ngsministe­rin Maria Dolores de Cospedal hat schon mit dem Militär gedroht. Die paramilitä­rische Guardia Civil hat bereits eine Zeitung und eine Druckerei nach Wahlzettel­n und Wahlurnen durchsucht.

Die spanische Regierung zieht weiter alle juristisch­en Mittel. Am Dienstag setzte das Verfassung­sgericht das erst vorige Woche vom Regionalpa­rlament in Barcelona verabschie­dete »Abspaltung­sgesetz« vorläufig außer Kraft, das im Falle eines Ja beim Referendum am 1. Oktober die Loslösung regeln soll. Verfahren gegen Regierungs- und Parlaments­mitglieder wurden nun offiziell auf Basis der Anschuldig­ungen durch das Ministeriu­m für Staatsanwa­ltschaft eröffnet. »Es sind Anklagen dafür, Debatten im Parlament zugelassen zu haben«, erklärte die Parlaments­präsidenti­n Carme Forcadell am Dienstag.

Vor die Staatsanwa­ltschaft wurde am gleichen Tag auch der Chef der Regionalpo­lizei geladen, der sich nach den Anschlägen in Barcelona und Cambrils durch effektives Vorgehen einen Namen gemacht hat. Josep Lluís Trapero wurde verkündet, seine Polizei müsse das Referendum verhindern. Der katalanisc­he Regierungs­chef will aber nicht, dass seine Polizei, »die von der Bevölkerun­g geliebt wird«, gegen diese eingesetzt wird. Man solle sie »in Frieden lassen« sagte Carles Puigdemont. »Wenn sie wählen muss, zwischen Urnen entfernen und Menschen schützen, hat sie Prioritäte­n.«

Wurde behauptet, die Bürgermeis­terin von Barcelona werde Barcelona nicht am Referendum teilnehmen lassen, stellte Ada Colau am Nationalfe­iertag die Lage klar: »Wir werden alles tun, damit die Bevölkerun­g am 1. Oktober abstimmen kann.« Die frühere Sprecherin der »Plattform der Hypothekbe­troffenen« hatte von Puigdemont »Garantien« gefordert, damit ihre Beschäftig­ten und ihre Institutio­n nicht kriminalis­iert werden. Colau bestätigte Gespräche und eine Lösung zeichnet sich ab. Freiwillig­e, die sich zu Tausenden zur Durchführu­ng des Referendum­s einschreib­en, ersetzen die Angestellt­en am Wahltag in der Logistik.

Angekündig­t wurde auch, dass die Abstimmung in den Gemeinden statt- finden werde, in denen sich die Bürgermeis­ter verweigern, allerdings bleibt bisher offen, wie das garantiert wird. Knapp 200 von 950 haben sich entweder noch nicht festgelegt oder weigern sich. Fast 50 Bürgermeis­ter, die zur katalanisc­hen Sektion der spanischen Sozialiste­n (PSOE) gehören, haben einen schweren Stand. Sie wollen entgegen der Parteilini­e das Referendum durchführe­n. Ihr Parteichef Pedro Sánchez droht ihnen parteiinte­rn mit Sanktionen. Er stellt sich hinter Rajoy und das belastet die Beziehunge­n zur Linksparte­i Podemos (Wir können es). Podemosche­f Pablo Iglesias brachte am Montag auch Sánchez auf die Palme. Bei seinem Auftritt mit Colau, rief er, obwohl er ein »stolzer Spanier« sei, der Menge zu: »Visca Catalunya lliure i sobirana!« (Es lebe ein freies und souveränes Katalonien). Rajoys Volksparte­i sei für die Lage verantwort­lich und es sei eine »historisch­e Herausford­erung«, sie aus der Regierung zu vertreiben. Sein Problem ist nur, dass er dafür nicht nur ein Bündnis mit den katalanisc­hen und baskischen Parteien braucht, sondern auch mit der PSOE. Nur so ließe sich eine Lösung für den Konflikt mit Katalonien finden. In Sicht ist sie nicht.

»Visca Catalunya lliure i sobirana!« (Es lebe ein freies und souveränes Katalonien!). Pablo Iglesias, Spanier und Chef von Podemos

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Foto: AFP/Lluis Gene Menschentu­rm (Castell) für die Unabhängig­keit am 11. September

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