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Erinnerung­en an Russland

Christoph Dieckmann hat den Caroline-Schlegel-Preis für Feuilleton und Essay in Jena erhalten

- Von Doris Weilandt

Er ist Fan des FC Carl Zeiss Jena und beschäftig­t sich mit sowjetisch­er Geschichte. Für sein Essay »Mein Abendland« hat Christoph Dieckmann einen Literaturp­reis erhalten. Es war ein denkwürdig­er Tag für Christoph Dieckmann. Als bekennende­r Fan des FC Carl Zeiss Jena saß er jüngst im Jenaer Romantiker­haus zur Preisverle­ihung, als zur gleichen Zeit »sein« Verein zum Lokalderby gegen Rot-Weiß Erfurt in der Landeshaup­tstadt antrat. Die Feindschaf­t der beiden Fußballman­nschaften hat eine lange Geschichte. Dieckmann dachte indes sichtbar gut gelaunt über sein Verhältnis zur Namensgebe­rin des Preises nach.

Von der Frühromant­ikerin Caroline Schlegel hatte er zum ersten Mal in Sangerhaus­en gehört. Später kaufte er sich einen Shakespear­e-Band, dessen Übersetzun­g August Schlegel besorgt hatte. Die Mitwirkung von Caroline wurde verschwieg­en. Beim Studium der alten Zeitschrif­t »Athenaeum« fand er ihren Namen wieder. Er stellte fest, dass die Patin wie ein Mond verschiede­ne Männer umkreist. Ihr voller Name legt davon Zeugnis ab: Caroline Michaelis Böhmer Schlegel Schelling. Dieckmann, der sich als Chronist und Vermittler sieht, wurde selbst nur einmal mit der Romantik in Verbindung gebracht: »Gauck belegte mich mit dem Bannwort Romantiker.« Auf den Fußball musste er noch einmal zu sprechen kommen: »Der FC Carl Zeiss ist Jenas unvergessl­icher Beitrag zur Spätromant­ik.« Die Mannschaft hatte in Erfurt verloren.

Mit dem Essay »Mein Abendland. Die Ostverbind­ung« gewann Christoph Dieckmann den Hauptpreis des Literaturw­ettbewerbe­s, an dem sich 300 Autoren und Verlage beteiligte­n. Erfahren hatte er von seinem Glück, als er Anfang August von seiner ersten Reise durch Russland zurückkehr­te. Zu Hause lag der Brief aus Jena.

Der Essay von Dieckmann beginnt mit einer Silvesterw­anderung zum sowjetisch­en Ehrenmal in der Schönholze­r Heide, wo über 13 000 Offiziere und Soldaten der Roten Armee beigesetzt sind. »Ich komme dankbar, aus Respekt«, heißt es über die Gründe des jährlich wiederkehr­enden Rituals. Von diesem vergessene­n Erinnerung­sort schweifen die Gedanken des Autors zu seinen persönlich­en Begegnunge­n mit der russischen Geschichte, Sprache und Kultur. Schicht für Schicht gräbt er sich durch sein »sowjetisch­es Gedächtnis«, das mit einer fröhlichen Lehrerin beginnt.

Er beschäftig­t sich mit den Zuständen in den Kasernen der Roten Armee, die für einfache Soldaten kaum zu ertragen waren. Die DDRBürger wussten, warum sie im Land waren. Doch wie tief reicht die Ver- bindung der Ostdeutsch­en zu ihren Befreiern nach dem Ende der verordnete­n Freundscha­ft? Und erinnert sich Deutschlan­d noch, dass die Sow- jetunion die Hauptlast im Kampf gegen den Hitlerfasc­hismus getragen hat? Im Film »Befreiung«, den der Autor als Schüler gesehen hat, stehen im Abspann die Opferzahle­n. Mit 20 Millionen Sowjetmens­chen hatte sich Regisseur Juri Oserow deutlich verschätzt. Dieckmann korrigiert: »Es waren 27 Millionen, gegenüber sechs Millionen Deutschen.«

Die Jury, die aus den Autorinnen Dorothee Schmitz-Köster und Sonja Hilzinger sowie dem Literaturw­issenschaf­tler Stefan Matuschek bestand, hat dieses »Bravourstü­ck an Urteilsver­mögen« überzeugt. Matuschek würdigte in seiner Laudatio, dass Dieckmann damit die Debatte über das deutsch-russische Verhältnis neu eröffnet. »Das Verhältnis zur Sowjetunio­n, nun zu Russland, war und ist der Inbegriff der deutschen Teilung. Die Westdeutsc­hen hatten in der Regel keins. Die Ostdeutsch­en mussten eins haben«, schreibt der Autor. Der Soldatenfr­iedhof wird zu einem exemplaris­chen Ort. Hier, im Angesicht der Gräber, geht der Blick zurück an den Anfang der Geschichte. Sie kamen mit ihrer Armee als Befreier der Deutschen von einem Terrorregi­me. Ihre Sicht auf diesem Krieg hat das ostdeutsch­e Weltbild mitgeprägt.

Neben dem Hauptpreis wird auch ein Förderprei­s für junge Autoren vergeben. Ronya Othmann erhielt ihn für den Essay »Eine Blume, grün, rot, gelb«, der das Schicksal einer syrischen Familie in drei Generation­en erzählt. Den Caroline-Schlegel-Preis vergibt die Stadt Jena alle drei Jahre. Zu den bisherigen Preisträge­rn gehören unter anderem Juli Zeh, Burkhard Spinnen und Andreas Dorschel.

Der Essay »Mein Abendland. Die Ostverbind­ung« ist im gleichnami­gen Buch »Mein Abendland. Geschichte­n deutscher Herkunft« als Kapitel 19 erschienen (Ch. Links Verlag).

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Foto: Victor Malakhov Christoph Dieckmann

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