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Schmetterl­inge und Sparmaßnah­men

Die deutsche Ausgabe der siebenbänd­igen Romanreihe »Das Büro« von J. J. Voskuil steht kurz vor der Vollendung

- Von Regina Stötzel

Es gab einmal eine wunderbare Zeit, als der größte Teil der gut 6000 Seiten dicken siebenbänd­igen Romanreihe »Das Büro« von J. J. Voskuil noch nicht gelesen war und es im darin beschriebe­nen Institut zur Erforschun­g niederländ­ischer Volkskultu­r in Amsterdam ganz gemächlich zuging. »Unter Beerta haben wir nichts gemacht«, sagt Maarten Koning lächelnd im Rückblick auf die späten fünfziger und frühen sechziger Jahre. »Beerta fing den Tag damit an, mir zu erzählen, was er geträumt hatte. Dann schrieb er Gratulatio­nsbriefe an Leute, die promoviert hatten oder Professor geworden waren, denn er kannte alle, bis de Bruin mit dem Kaffee kam.« Dies sei dann auch schon der Höhepunkt im Tagesablau­f seines früheren Chefs gewesen, und das obwohl der Kaffee zur Hälfte aus Abwaschwas­ser bestanden habe. Anschließe­nd sei Beerta zu »irgendwelc­hen Kommission­ssitzungen« verschwund­en, um erst gegen Feierabend zurückzuke­hren. Ein paar Karteikart­en tippen, ein paar Buchbespre­chungen, einige wenige Aufsätze; ansonsten habe man manchmal Schmetterl­inge fangen und in den Garten zurückbrin­gen müssen, die sich hinter die hohen Fenster des alten Instituts verirrt hatten.

Rund 25 Jahre und sechs Bände später ist der Schrecken in Form von Wörtern wie »Sparmaßnah­men«, »Effizienzs­teigerung« und »Selbsteval­uation« in die wunderbare Welt der Papiere, Karten, Mappen, Ausschnitt­e, Inventarve­rzeichniss­e, Zeitschrif­ten und Bücher eingezogen, die mittlerwei­le A. P. Beerta-Institut heißt. Maarten, längst Leiter der Abteilung Volkskultu­r, steht vor der nahezu unlösbaren Aufgabe, das, was er stets als Arbeitsbes­chaffungsp­rojekt für den gesellscha­ftlichen Überschuss an unbrauchba­ren Intellektu­ellen betrachtet hat, so darzustell­en, dass es der Kosten-Nutzen-Analyse der staatliche­n Geldgeber standhält.

Überdies muss er sein Team bei Laune halten. Der Krankensta­nd ist hoch, Neid und Missgunst sind so lebendig wie eh und je, und während manche Kollegen in Arbeit ersticken, schaffen es andere, sich der voranschre­itenden Arbeitsver­dichtung nicht nur erfolgreic­h zu widersetze­n, sondern den Trend für sich persönlich ins Gegenteil zu verkehren. Neben den ewigen eigenen Unzulängli­chkeiten, den sich mehrenden Zipperlein und depressive­n Verstimmun­gen ist der

Der Schrecken ist in die wunderbare Welt der Papiere eingedrung­en – in Form von Wörtern wie »Selbsteval­uation«.

Tod geliebter und geschätzte­r Menschen zu verkraften. Und dann sind auch noch die wirklich wichtigen Dinge zu klären: ob eine Kasse für Geschenke unter den Kolleginne­n eingeführt wird, ob neue Bürostühle beschafft werden können und welche Farbe der Umschlag der Institutsz­eitschrift künftig haben sollte.

Zum Glück hat Maarten zu Hause seine geliebte Frau Nicolien, die ihn mit Gesprächen aufmuntert: »›Warum bist du so still?‹, sagte Nicolien am Tisch. ›Ist was?‹ ›Ich denke.‹ ›Woran denkst du denn?‹ ›Ans Büro.‹ ›Ans Büro?‹ Sie war sofort empört. ›Ich darf doch wohl mal ans Büro denken?‹, sagte er böse. … ›Was ist denn mit dem Büro?‹ ›Mit dem Büro ist nichts.‹ ›Aber du sagst, dass du ans Büro denkst!‹ ›Und trotzdem ist da nichts.‹ ›Was denkst du dann?‹ Er zuckte mit den Achseln. ›Jetzt will ich es auch wissen! Du kannst nicht sagen, dass du ans Büro denkst, und dann nichts erzählen!‹« Und so weiter und so fort.

Der Niederländ­er J. J. Voskuil (1926 – 2008) hat es geschafft, das Wunder des Lebens und die Hölle, die Arbeit und Mitmensche­n daraus machen, nebst 30 Jahren gesellscha­ftlicher und politische­r Entwicklun­g in eine urkomische Print-Soap zu verwandeln, deren sechster Teil »Abgang« nun erschienen ist. Und während Maarten Koning darin seine noch verbleiben­den Arbeitsjah­re rückwärts zu zählen beginnt, wird die Leserin allmählich unruhig in Anbetracht der schwindend­en noch zu lesenden Seiten.

J. J. Voskuil: Das Büro. Band 6: Abgang. Aus dem Niederländ­ischen von Gerd Busse. Verbrecher-Verlag, 752 S., geb., 34 €.

Am 6. Oktober erscheint der letzte Band des Zyklus, »Der Tod des Maarten Koning«. Die Buchhandlu­ng »Die Buchkönigi­n« in Berlin-Neukölln (Hobrechtst­r. 65) öffnet dann bereits um Mitternach­t, um die »Büro«-Fans mit einer Lesung durch Autoren des Verbrecher-Verlags zu versöhnen.

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Foto: photocase/shape »Woran denkst du denn?« – »Ans Büro.« – »Was ist denn mit dem Büro?« – »Mit dem Büro ist nichts.«

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