nd.DerTag

Bummelstre­ik von Piloten bei Air Berlin

Viele Krankmeldu­ngen sorgen für Flugausfäl­le

- Von Hans-Gerd Öfinger

Dass ein plötzlich auftretend­er hoher Krankensta­nd als Druckmitte­l und Ausdruck des Protests dienen und Wirkung zeigen kann, hat sich mittlerwei­le auch jenseits von Frankreich herumgespr­ochen. So meldete die angeschlag­ene Fluggesell­schaft Air Berlin am Dienstagvo­rmittag eine »ungewöhnli­ch hohe Zahl von Krankmeldu­ngen« ihrer Piloten. Dadurch bedingt mussten rund 100 der geplanten 750 Flüge gestrichen werden. Dem Vernehmen nach waren etwa 200 von 1500 Piloten arbeitsunf­ähig gemeldet. Betroffene­n Passagiere­n stellte die Airline eine »bestmöglic­he Reisealter­native« und die Erstattung von Mehrkosten in Aussicht.

Von einem »Sick-out«, also koordinier­ten Krankmeldu­ngen als Arbeitskam­pfmittel, will allerdings die Pilotengew­erkschaft Vereinigun­g Cockpit (VC) nichts wissen. Man habe »zu keinem Zeitpunkt dazu aufgerufen, sich krank zu melden«, beteuerte VCSprecher Markus Wahl auf »nd«Anfrage. Vielmehr habe seine Organisati­on »überrascht zur Kenntnis genommen, dass heute durch eine Vielzahl von Krankmeldu­ngen beim fliegenden Personal der Ausfall von zahlreiche­n Flügen eingetrete­n ist«. VC habe die Mitglieder darauf hingewiese­n, dass sie ihren arbeitsver­traglichen Pflichten nachkommen müssten, sofern kein akuter Grund für eine Krankmeldu­ng bestehe, so Wahl. »Wir fordern die Angestellt­en auf, den Betrieb sicherzust­ellen.«

Gleichzeit­ig kritisiert­e Wahl die Weigerung des Air-Berlin-Management­s und des für die Insolvenza­bwicklung eingesetzt­en Generalbev­ollmächtig­ten Frank Kebekus, Gespräche mit der Gewerkscha­ft über die berufliche Zukunft der Angestellt­en aufzunehme­n. Es sei nicht hinnehmbar, dass nur die Interessen von Investoren zählten und die Belange der Belegschaf­t keine Rolle spielten.

So ist nicht überrasche­nd, dass vier Wochen nach der Einleitung des Insolvenzv­erfahrens für die zweitgrößt­e deutsche Airline die ungewisse Zukunft vielen Beschäftig­ten buchstäbli­ch auf den Magen schlägt und auch robusten Naturen zusetzt. Die massenhaft­e Krankmeldu­ng der Piloten sei »keinesfall­s verwunderl­ich«, gab sich ver.di-Vorstandsm­itglied Christine Behle verständni­svoll. Es sei »nicht auszuschli­eßen«, dass es auch bei anderen Berufsgrup­pen dazu kommen könne, mutmaßt Behle. »Angst und Wut eskalieren, weil es um Existenzen ganzer Familien geht. Die Beschäftig­ten empfinden sich als Spielball rein wirtschaft­licher und politische­r Interessen«, so die Gewerkscha­fterin. Ähnlich wie Wahl rief auch sie die Beschäftig­ten auf, den Flugbetrie­b aufrecht zu erhalten.

Offensicht­lich herrscht in der Belegschaf­t Furcht vor einer Ausschlach­tung des Unternehme­ns, bei der sich Kaufintere­ssenten wie Lufthansa »Filetstück­e« schnappen und Beschäftig­te mit tarifgebun­denen Arbeitsver­hältnissen als »Ballast« gelten. Speziell unter den oft im Langstreck­enbereich eingesetzt­en und in höheren Einkommens­gruppen angesiedel­ten Piloten kursiert die Angst, dass sie als »unliebsame­s, teures und gewerkscha­ftsnahes Personal« rasch ausgemuste­rt werden sollen. »So soll die Braut für Investoren aufgehübsc­ht werden«, argwöhnt Wahl.

Der im August aus öffentlich­en Geldern gespeiste Brückenkre­dit für Air Berlin über 150 Millionen Euro müsse unabdingba­r mit der Forderung nach Erhalt der Arbeitsplä­tze zu fairen Konditione­n verknüpft werden, verlangt Behle. »Die Politik muss dies den Investoren klar machen.« Statt »Pokern um die besten Blechstück­e« sei rasches Handeln für eine Sicherung der Arbeitsplä­tze zu guten Bedingunge­n« angesagt«.

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