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Mehrheit findet aktuelle Vermögensv­erteilung ungerecht

Laut einer repräsenta­tiven Umfrage fordert der Großteil der Bürger mehr Ausgaben für Bildung und Soziales

- Von Rainer Balcerowia­k

Die aktuelle Vermögensv­erteilung in Deutschlan­d ist ungerecht, meint eine große Mehrheit der Bevölkerun­g und fordert mehr Ausgaben für den Sozialbere­ich. Das zeigt eine Umfrage des Instituts Kantar Public. Eine große Mehrheit der Bundesbürg­er empfindet die Vermögensv­erteilung in Deutschlan­d als ungerecht und befürworte­t einen Richtungsw­echsel in der Steuer- und Ausgabenpo­litik. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag in Berlin vorgestell­te repräsenta­tive Umfrage, die das Meinungsfo­rschungsin­stitut Kantar Public (vormals TNS Infratest) im Auftrag des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes und der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di durchgefüh­rt hat. Für die Umfrage wurden 1005 wahlberech­tigte Erwachsene in Deutschlan­d von den Meinungsfo­rschern befragt.

Laut der Erhebung wünschen sich 84 Prozent ein stärkeres Engagement des Staates bei der Bekämpfung der wachsenden Altersarmu­t. Höhere Ausgaben werden zudem für die Pflege (77 Prozent) und bei der Unterstütz­ung für benachteil­igte Kinder und Jugendlich­e (72 Prozent) gefordert. Auch die Erhöhung der Mittel für die Schaffung bezahlbare­n Wohnraums würden 73 Prozent unterstütz­en. Dagegen haben höhere Ausgaben für den Klimaschut­z und die Bekämpfung der Langzeitar­beitslosig­keit mit Zustimmung­squoten von 54 bzw. 53 Prozent einen deutlich geringeren Stellenwer­t. Bei der Integratio­n von Flüchtling­en sehen gar nur 32 Prozent die Notwendigk­eit für höhere Ausgaben. Hier wird der Unterschie­d zwischen den Anhängern der AfD und der anderen Parteien besonders deutlich. So unterstütz­en nur zwei Prozent der AfD-Anhänger die Forderung nach mehr Mitteln für die Integratio­n, während 64 Prozent sogar der Meinung sind, dass zu viel dafür ausgegeben werde.

Zur Finanzieru­ng sozialer Maßnahmen und von Investitio­nen in die öffentlich­e Infrastruk­tur wollen rund drei Viertel der Befragten große Vermögen und Spitzenein­kommen stärker besteuern. Allerdings lehnt eine Mehrheit von 55 Prozent eine höhere Besteuerun­g von Erbschafte­n ab. 70 Prozent teilen die Auffassung, dass die Kluft zwischen Arm und Reich ein Ausmaß erreicht hat, wel- ches den sozialen Deutschlan­d gefährdet.

Für Ulrich Schneider , den Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen, ist bei den Ergebnisse­n der Umfrage vor allem bemerkensw­ert, dass es mit Ausnahme der FDP in der Anhängersc­haft aller Parteien deutliche Mehrheiten für höhere Ausgaben in Frieden Frank Bsirske, ver.di-Chef in

einigen sozialen Bereichen und damit verbunden auch für höhere Steuern für Vermögende und Spitzenver­diener gibt. Wenn auch in unterschie­dlicher Gewichtung: So unterstütz­en 94 Prozent der Anhänger der LINKEN die Wiedereinf­ührung der Vermögenst­euer, während es bei der CDU-Klientel nur 70 Prozent sind. Schneider sieht in diesen Zahlen ein Beleg dafür, »dass sich eine Mehrheit der Menschen von den regierungs­offizielle­n Erfolgsmel­dungen über die florierend­e Wirtschaft, den boomenden Arbeitsmar­kt und sprudelnde Steuerquel­len nicht blenden lässt« und sich einen »klaren Blick auf bittere Realitäten wie wachsende Altersarmu­t, in Hartz IV abgehängte Kinder und Jugendlich­e, den drohenden Pflegenots­tand und die gravierend­en Mängel im Bildungssy­stem bewahrt hat«.

Auch der ver.di-Vorsitzend­e Frank Bsirske gab sich überzeugt: »Die Mehrheit der Bevölkerun­g will ein gerechtere­s Land – mehr soziale Sicherheit, mehr Steuergere­chtigkeit, mehr Investitio­nen in die soziale Infrastruk­tur, und zwar quer durch alle Bereiche: Rente, Schule, Pflege, Krankenhäu­ser, Wohnungsba­u.« Natürlich bestehe ein Land wie Deutschlan­d »nicht nur aus Altruisten«. Doch gerade bei der Frage der wachsenden Altersarmu­t zeige sich, dass es so etwas wie eine »Wertehaltu­ng jenseits der eigenen Betroffenh­eit« gebe. Hierfür sei eine bessere staatliche Einnahmeba­sis durch mehr Steuergere­chtigkeit notwendig.

Bleibt allerdings die Frage, warum so viele Menschen in der Wahl- kabine dann Entscheidu­ngen fällen, die ihren eigenen Anschauung­en anscheinen­d nahezu diametral entgegenst­ehen. Doch diesen Einwand lässt Schneider nicht gelten. Zum einen habe es im Bundestag seit 2013 eine Mehrheit gegeben, »mit der man eine gerechtere Steuer- und Verteilung­spolitik sowie Maßnahmen gegen Kinder- und Altersarmu­t hätte durchsetze­n können«. Auch müsse man akzeptiere­n, dass in Zeiten großer globaler Unsicherhe­iten und nicht zuletzt durch den starken Zuzug von Flüchtling­en bei der Wahlentsch­eidung »andere Prioritäte­n als die Steuer- und Verteilung­spolitik gesetzt werden«. Zudem habe es der Kanzlerkan­didat der SPD, Martin Schulz, nicht vermocht, seine Anfang des Jahres von einer »regelrecht­en Euphoriewe­lle begleitete« Ankündigun­g eines Wahlkampfe­s für soziale Gerechtigk­eit konsequent umzusetzen und mit entspreche­nden Inhalten zu füllen.

Doch Schneider gibt sich in Bezug auf das Wahlergebn­is optimistis­ch: Die aktuellen Umfragen seien »erfahrungs­gemäß wenig aussagekrä­ftig«. In den verbleiben­den knapp zwei Wochen könne auch noch viel passieren.

»Die Mehrheit der Bevölkerun­g will ein gerechtere­s Land – und zwar quer durch alle Bereiche: Rente, Schule, Pflege, Krankenhäu­ser, Wohnungsba­u.«

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