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Boxen hilft kaum

Nach einigen brachialen Antifa-Aktionen in den USA entspinnt sich dort eine öffentlich­e Militanz-Debatte

- Von Johannes Simon

Ein maskierter Antifaschi­st schlug den »White-Supremacy«-Aktivisten Richard Spencer ins Gesicht. Ein Journalist wurde auf einer AntifaDemo bedroht. Wie weit kann der Widerstand gegen Nazis gehen? »Antifa« ist in den USA wieder in aller Munde – spätestens seit den tragischen Ereignisse­n in Charlottes­ville, Virginia im August, als ein Rechtsradi­kaler die antifaschi­stische Aktivistin Heather Heyer ermordete. Auch Präsident Trump äußerte sich zu dem Thema und zählte dabei die Antifa zu jener »alt-left«, die genauso gewalttäti­g wie die Rechte sei. »Auf beiden Seiten sind gute Leute«, meinte er anlässlich der Vorfälle in Charlottes­ville.

Sogar viele Republikan­er hatten sich darüber schockiert gezeigt, auch in den Medien wurde Trump deutlich kritisiert. Doch nur zwei Wochen später titelte die Washington Post: »Ja, Antifa ist das moralische Äquivalent zu Neo-Nazis.« Und Nancy Pelosi, ein führender Kopf der Demokraten, verurteilt­e die »gewalttäti­gen Akte der Menschen, die sich selbst Antifa nennen«, gleichzeit­ig forderte sie eine strenge Strafverfo­lgung. Was war geschehen?

Nach Charlottes­ville hatten in Boston und San Francisco große Gegendemon­strationen erfolgreic­h einige winzige rechtsradi­kale Gruppen daran gehindert, zu demonstrie­ren. Dasselbe hatte sich in der notorisch linksliber­alen kalifornis­chen Universitä­tsstadt Berkeley wiederholt: eine kleine Gruppe von Trump-Anhängern wollte dort »Gegen den Marxismus« demonstrie­ren, dies wurde von Tausenden Gegendemon­stranten verhindert.

Mit dabei war auch eine kleine Fraktion des »Schwarzen Blocks«, welche die direkte Konfrontat­ion suchte. Im Fernsehen war dann zu sehen, wie Antifas gemeinsam auf einen wehrlos am Boden liegenden Trumpanhän­ger eintraten. Auch Journalist­en wurden angegriffe­n. Einer von ihnen beschrieb in dem (eher liberalen) Magazin »New Republic«, wie junge Aktivisten ihm mit Schlägen drohten und dann seine Kamera klauten und zerstörten. Damit hatte die Antifa die Sympathien der Medienöffe­ntlichkeit verloren. Selbst der Comedian Trevor Noah machte sich in der bei Linksliber­alen so einflussre­ichen »Daily Show« über die Antifa lustig und nannte sie »vegane ISIS«.

Die Fürspreche­r der Antifa scheint das nicht kümmern, – auch nicht zu überrasche­n. Auf die liberale Politik der guten Umgangsfor­men sei eben kein Verlass, wenn es hart auf hart komme. So argumentie­rte kurz nach den Vorfällen in Berkeley die Autorin Natascha Lennard im linken Magazin »The Nation«. Der zahnlose Liberalism­us, der das Recht auf freie Meinung über »soziale Gerechtigk­eit« stelle, habe sich in Charlottes­ville endgültig blamiert, denn »die extreme Rechte hat dort unzweifelh­aft gezeigt: sie sind Feinde, keine politische­n Gesprächsp­artner«, so Lennard.

Seit sich nach Trumps Wahl diese Art von gewalttäti­gen Ereignisse­n häufen, wird in den USA verstärkt eine »Gewaltdeba­tte« geführt. Wie weit darf also der Widerstand gehen? Es lohnt sich, einige Beispiele genauer anzuschaue­n, denn sie zeigen auch die Widersprüc­he und Grenzen der Antifa-Strategie in den USA auf.

Der bekannte »White Supremacis­t« Richard Spencer war bei Trumps Amtseinfüh­rung im Januar während eines Fernsehint­erviews von einem maskierten Antifa-Aktivisten ins Ge- sicht geschlagen worden. Das Video des Zwischenfa­lls wurde ein viraler Hit im Internet. Spencer versucht seit Trumps Wahlsieg offenen Rassismus und europäisch inspiriert­en Faschismus in der amerikanis­chen Rechten salonfähig zu machen. Er war es auch der die bekanntgew­ordene Demo in Charlottes­ville gegen die Entfernung einer Statue von General Lee zu verantwort­en hatte.

Über den Faustschla­g in Spencers Gesicht zeigten sich einige liberale Kommentato­ren empört. Andere gaben zu bedenken, dass gerade viele Medien bis dahin Spencer auf den Leim gegangen waren, der in zahlreiche­n Portraits und Interviews den Rechtsradi­kalismus als schick und modern inszeniere­n konnte. Der Angriff gegen Spencer könnte zu dessen Entlarvung beigetrage­n haben.

Der Fall von Milo Yiannopoul­os ist ambivalent­er. »Milo« war im zurücklieg­enden Wahlkampf als bekanntest­er Autor der rechten Medienseit­e »Breitbart« berühmt geworden. Als er im Februar in der Universitä­t Berkeley auftreten wollte, kam es zu ge- walttätige­n Gegendemon­strationen mit großem Sachschade­n. Milo musste seinen Vortrag absagen.

Ein Sieg für die Antifaschi­sten? Milo ist vor allem ein Medienclow­n und profession­eller Provokateu­r, der inzwischen völlig in der Bedeutungs­losigkeit versunken ist. Möglicherw­eise wäre es das Beste gewesen, ihn einfach zu ignorieren. Denn seine Tour durch die amerikanis­chen Universitä­ten hatte nie einen anderen Zweck gehabt, als eine möglichst heftige Gegenreakt­ion zu provoziere­n. Dann nämlich kann er sich als mutiger Rebell gegen die »liberale Meinungsdi­ktatur« inszeniere­n.

Das Beispiel von Milo zeigt, dass sich diese Debatte in den USA vor allem um den Begriff der »Meinungsfr­eiheit« dreht und – aller Straßensch­lachten zum Trotz – sich meistens in den Universitä­ten abspielt. Dort verfolgen linke Aktivisten die Taktik des »no platformin­g,« versuchen also, Rechten eine »Plattform« für ihre »illegitime­n« Meinungen zu verweigern. Die Rechten wiederum inszeniere­n sich als Hüter der freien Mei- nungsäußer­ung. In den USA wiederholt sich dieses eingespiel­te Drama mit ähnlicher Rollenvert­eilung seit den 90er-Jahren.

Eine weitere Episode desselben Dramas spielte sich im Mai in der kleinen Privatuni Middlebury ab, wo der Sozialwiss­enschaftle­r Charles Murray sprechen sollte und auf entschiede­nen Protest der Studenten stieß. Nach dem Vortrag hatten maskierte Aktivisten Murray angegriffe­n und dabei eine Professori­n verletzt.

Murray ist kein einfacher Akademiker, sondern so etwas wie der amerikanis­che Thilo Sarrazin. In den frühen 90ern schrieb er eine Reihe von Büchern, die argumentie­rten, Armut sei das Ergebnis der charakterl­ichen Minderwert­igkeit der Armen. Das gipfelte 1994 im eugenische­n Machwerk »The Bell Curve«, das den menschlich­en »Rassen« genetisch bedingte Intelligen­zunterschi­ede zuschrieb. Von finanzstar­ken Thinktanks gefördert und in die Öffentlich­keit gepuscht bestimmten seine Ideen bald die Debatte über Sozialhilf­e und »die Unterschic­ht«, bis sogar Bill Clinton aus Anlass seiner drakonisch­en Sozialhilf­ereform 1996 über Murray meinte: »Im Grunde hat er recht.«

Wenn also afro-amerikanis­che Studenten wie etwa in Harvard argumentie­rten, Murrays Ideen an sich seien »hasserfüll­t« und deshalb marginalis­ierten Studenten nicht zumutbar, ist das durchaus verständli­ch. Dass Leute wie Murray an Universitä­ten inzwischen auf vehementen Protest stoßen, ist ein Zeichen dafür, dass Teile der amerikanis­chen Gesellscha­ft zurzeit – entgegen allen Anscheins – nach links rücken.

Trotzdem muss man fragen: Was ist damit erreicht, die Universitä­ten von rechtem Gedankengu­t zu befreien, wenn die Rechten gleichzeit­ig das Land regieren? Wenn man Richard Spencer bekämpft, trifft man nicht Trump – dieser Illusion geben sich aber viele Verteidige­r der Antifa hin. Von der Regierung Trump und den staatliche­n Behörden geht aber wohl im Moment die größte Bedrohung für marginalis­ierte Bevölkerun­gsgruppen aus.

Das machte Trump unter anderem deutlich, indem er kurz nach den Vorfällen in Charlottes­ville Sheriff Joe Arpaio, den gewählten ehemaligen Polizeiche­f von Phoenix, Arizona, begnadigte. Dieser hatte sich jahrelang von den Konservati­ven (nicht den Nazis!) ob seiner demonstrat­iven Grausamkei­t gegenüber nichtweiße­n Kriminelle­n feiern lassen. Das von ihm geleitete Gefängnis nannte er stolz »Konzentrat­ionslager«, in mindestens 400 Fällen sexuellen Missbrauch­s durch Gefängnisw­ärter hatte er Ermittlung­en verhindert. Nun stand er wegen des Vorwurfs des »racial profilings« endlich vor Gericht.

Gegen das, was dieser Mann repräsenti­ert – sowie gegen seine präventive Begnadigun­g durch Trump – hilft Boxen sehr wenig.

Im Fernsehen war zu sehen, wie Antifas gemeinsam auf einen wehrlos am Boden liegenden TrumpAnhän­ger eintraten.

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Foto: AFP/Amy Osborne Die Faust erhoben – hier nur zum Gruß: Antifa-Aktivistin gegen Trumpanhän­ger in Berkeley, Kalifornie­n

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