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»Verteidigu­ngszone« vor dem Showdown

Bei Straßburg kämpft ein Protestcam­p gegen den Bau eines Autobahnab­schnittes. »Widerstand gegen Stahlbeton« hat in Frankreich Konjunktur

- Von Robert Schmidt

Jahrelang haben sie Unterschri­ften gesammelt, Handzettel verteilt und Demos organisier­t. Mitte Juli errichtete­n die Autobahnge­gner aus dem Elsass ihr Dauercamp. Doch jederzeit können die Bagger anrücken. An diesem spätsommer­lichen Freitagabe­nd haben sich im Camp einige Dutzend Besucher angekündig­t. Ein Campbewohn­er kocht gerade für alle eine Gemüsesupp­e. Ein anderer räumt den Infostand auf. Auf einer eigens gebauten Bühne probt eine dreiköpfig­e Band.

Der 44-jährige Bruno Dalpra ist Teil von »GCO non merci«, einem Kollektiv von Gegnern der geplanten »Großen Westumfahr­ung« (GCO) der Stadt Straßburg. Dalpra bezeichnet sich selbst als »freies Radikal«. »Gegen Atomkraft«. »Gegen Gentechnik« – mehr als ein Dutzend Buttons an Dal- pras Mütze sagen viel darüber aus, womit sich der Aktivist gerade beschäftig­t. Er ist einer der Gründer der »Zone à defendre« – »Verteidigu­ngszonen (ZAD)« gegen die Autobahn im elsässisch­en Kolbsheim.

»Verteidigu­ngszonen« – »Widerstand gegen den Stahlbeton«, so nennen die Franzosen besetzte Großbauste­llen. Die Methode trägt mitunter tatsächlic­h Früchte. In der westfranzö­sischen Gemeinde Notre-Damesdes-Landes bei Nantes beispielsw­eise wehren sich Hunderte Aktivisten seit mehr als zehn Jahren erfolgreic­h gegen den Bau eines Flughafens, indem sie das Baugrundst­ück besetzen.

Im Elsass wiederum sollen noch im September die ersten Bäume für die neue Umgehungsa­utobahn fallen. Deswegen haben die Aktivisten im Sommer besagte ZAD in der von der geplanten Straße betroffene­n Gemeinde Kolbsheim errichtet. Gut ein Dutzend Aktivisten campen dort nun dauerhaft auf dem Grundstück eines Sympathisa­nten.

»Unser Protest hat den Beginn der Bauarbeite­n bereits sechs Monate hinausgezö­gert«, berichtet Campbewohn­er Dalpra bei einem Besuch. Jahrelang haben er und andere Aktivisten Unterschri­ften gesammelt und Demos organisier­t, einmal wurde einige Stunden lang ein Kreisverke­hr besetzt. Zuletzt hat die Fürsorge um den unter Naturschut­z stehenden Elsass-Hamster den Start des Projektes hinausgezö­gert, erzählt der Aktivist.

Dalpra, der bereits in Nantes und Paris Erfahrung mit teils gewaltsame­n Protesten gesammelt hat, sieht die Gruppe für die kommenden Wochen gerüstet. Zu den Dutzend Campbewohn­ern kämen einige Dutzend weitere Mitstreite­r, die sie beim Anrücken der Maschinen mobilisier­en könnten.

Argumente gegen die geplante 24 Kilometer lange Autobahn liefert Dalpra am laufenden Band. So zweifelten Verkehrsst­udien die vom Straßburge­r Bürgermeis­ter versproche­ne entlastend­e Wirkung des geplanten Abschnitte­s für die bereits bestehende Stadtautob­ahn an. »Das Projekt ist doch rein wirtschaft­lich«, sagt Dalpra. Zweck sei einzig und allein eine Nord-Süd-Trasse für Lastwagen zu schaffen. Alternativ­en zur Autobahn seien »nicht ernsthaft« geprüft worden.

Mitstreite­r Yoam Galima sieht im Erhalt des Waldes bei Kolbsheim auch eine historisch­e Verantwort­ung: »Das ist ein 100 Jahre alte Wald«, erinnert der Campbewohn­er. Der Wald sei 1918 gepflanzt worden, nachdem die Deutschen dort im Ersten Weltkrieg »alles plattgemac­ht« hätten.

Aktivistin Murielle Tavernese, 45jährige Straßburge­r Mediatheka­rin, sieht die geplante Straße als Teil einer verkehrspl­anerischen Rückwärtse­ntwicklung. Ihrer Meinung nach sollen Politiker lieber in den Ausbau des Schienenne­tzes investiere­n, anstatt sich für Autobahnba­uer und Tankstelle­nbetreiber zu »prostituie­ren«.

Am 30. September wird es in Straßburg wieder eine große Demo der Autobahnge­gner geben. Zu diesem Zeitpunkt könnten in Kolbsheim schon die ersten Bäume gefällt sein – vorausgese­tzt, die Aktivisten haben das nicht verhindern können. Der Bürgermeis­ter will jedenfalls beim Anrücken der Maschinen die Kirchenglo­cken läuten lassen.

»Unser Protest hat den Beginn der Bauarbeite­n bereits sechs Monate hinausgezö­gert.« Bruno Dalpra, Protestcam­per

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