nd.DerTag

Trompetens­toß aus einer anderen Zeit

Elmar Wigand hält den den wilden Streik bei Air Berlin für richtig – und kritisiert zugleich das Verhaltern von ver.di

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Wie schaffen es Beschäftig­te in der heißen Phase des Wahlkampfe­s, bundesweit die Nachrichte­nsperre zu durchbrech­en? Wie kann es gelingen, mit unerwünsch­ten Themen wie der Sorge um den Arbeitspla­tz ganz vorne in die Newsticker zu gelangen? Durch einen wilden Streik! Die Piloten von AirBerlin machten es in dieser Woche vor. Sie erschütter­ten das siegessich­ere und selbstzufr­iedene Establishm­ent für einen Moment offenbar bis ins Mark.

Am Dienstag fielen über 120 Flüge der insolvente­n AirBerlin aus, am Mittwoch waren es mindestens 32, hinzu kamen 35 Verbindung­en der Lufthansa-Tochter Eurowings, die üblicherwe­ise von Air Berlin geflogen wurden. Die Piloten meldeten sich kollektiv krank. Damit erhöhten sie die Hitze im Kessel ausgerechn­et in der ohnehin schon heißen Phase eines Bieterverf­ahrens um Air Berlin, das am Freitag enden soll.

Dass Piloten, die in Sorge um ihre Existenz sind, tatsächlic­h unter großem seelischem Stress stehen können, dass sich dieser Druck negativ auf ihre Leistung und die Flugsicher­heit auswirken kann, dürfte den meisten Flugreisen­den wie auch Arbeitsric­htern einleuchte­n. Und es gibt genug Anlass zur Sorge für Piloten und ihre Familien: Air Berlin wird verhökert zwischen der HighClass-Konkurrenz Lufthansa auf der einen und dem Billigflie­ger Easyjet auf der anderen Seite.

Die Piloten dürften nun vor der Wahl stehen, entweder per Massenentl­assung gefeuert zu werden, oder als Niedriglöh­ner-Stoßtruppe, die um ihr berufliche­s Überleben kämpft, die etablierte­n Piloten der Bieterairl­ine durch massive Zugeständn­isse unter Druck zu setzen. Weitere Mitbewerbe­r in der Auktion um die Pleiteairl­ine sind unter anderem der Urlaubs- flieger Condor (Thomas Cook) und der Betreiber des Flughafens Parchim, LinkGlobal aus China.

Die Protestfor­m, die hier von AirBerlin-Piloten erneut eindrucksv­oll demonstrie­rt wurde, mit der sie sich als wichtigste­r Faktor des Unternehme­ns Beachtung verschafft­en, heißt »Sick-out«: kollektive­s Blaumachen. Es hat in der transantla­ntischen Luftfahrt eine lange Tradition. Am 18. Mai 1969 begann die US-Fluglotsen- Elmar Wigand ist Gewerkscha­ftsexperte und Publizist. Er veröffentl­ich regelmäßig auf dem Blog arbeitsunr­echt.de gewerkscha­ft PATCO erfolgreic­h, mit dieser Kampfform zu experiment­ieren, sie sollte das »Sick-out« in den 1970er Jahren perfektion­ieren. Bereits 1973 kam die Methode auch in Westdeutsc­hland an – durch renitente Fluglotsen, die sie Hand in Hand mit der Methode des »Bummelstre­iks« (Dienst nach Vorschrift) einsetzten. Der Bundesgeri­chtshof verbot solche Aktionsfor­men in Deutschlan­d 1978 und bedrohte Gewerkscha­ften fortan mit drakonisch­en Schadenser­satzforder­ungen, falls sie diese propagiere­n sollten.

So schuf die Judikative einen Bereich, der seitdem notwendige­rweise außerhalb von Gewerkscha­ften und ihren Befriedung­sversuchen liegt. Diese Aktionen kollektive­n Ungehorsam­s sind etwas ganz besonderes in einer Landschaft von durchregul­ierten Arbeitsbez­iehungen, die beinahe jede direkte Konfrontat­ion zwischen Arbeit und Kapital einhüllen in einen Mantel aus Gesetzen, Arbeitsger­ichtsurtei­len, Einigungss­tellen und Schiedsger­ichten. In einer Szenerie, in der Gewerkscha­ften durch Aufsichtsr­atsmandate und Parteimitg­liedschaft­en auf vielfältig­e Weise mit dem Arbeitgebe­rlager und der staatstrag­enden Politik verwoben sind. Hier erscheint der »Sick-out« als ein wildes, fast archaische­s Mittel. Es wirkt wie ein irritieren­der Trompetens­toß, der aus einer anderen Zeit zu uns hinüber schallt. Ich habe mich gefreut, morgens in meinem Radiowecke­r davon zu erfahren. Es hat mir den Tag versüßt. Zumal wir nun öfter davon hören.

Zuletzt brach am 3. Oktober 2016 eine Krankheits­welle unter Piloten, Flugbeglei­tern und Bodenperso­nal des Urlaubsfli­egers TUIfly los, die in den folgenden Tagen 450 bis 500 Beschäftig­te umfasste und zur kompletten Einstellun­g des Flugverkeh­rs der Linie führt. Das Schöne war: Die Sache war vergleichs­weise erfolgreic­h, denn die Gewerkscha­ften begannen plötzlich, den Beschäftig­ten hinterherz­urennen, anstatt sie beständig auszubrems­en. Zumal gleich drei Gewerkscha­ften um die Gunst der Piloten warben: Vereinigun­g Cockpit, UFO und ver.di.

Es schreibt die tragischen Rolle von ver.di fort, dass sich deren Funktionär­e angesichts des »Sick-outs« bei Air Berlin ihre sozialpart­nerschaftl­ichen Reflexe nicht wenigstens für drei Tage verkeifen konnten. Die Gewerkscha­ft rief die Mitarbeite­r auf, den Flugbetrie­b weiter aufrecht zu erhalten, um die Arbeitsplä­tze nicht zu gefährden. Was für ein Fehler!

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Foto: privat

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