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Weg vom »Klein-Klein«

Merkel und Gabriel streiten um Rüstungsex­port in die Türkei – die Konzerne handeln

- Von René Heilig

Ob der angespannt­en deutsch-türkischen Beziehunge­n bleiben die meisten Waffenexpo­rte in die Türkei in der Warteschle­ife, sagt Außenminis­ter Sigmar Gabriel. Kanzlerin Angela Merkel widerspric­ht. »Die großen Anträge, die die Türkei derzeit an uns stellt – und das sind wirklich nicht wenige – haben wir alle ›on hold‹ gestellt«, behauptete Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) zu Wochenbegi­nn in Berlin. Seine Chefin, Bundeskanz­lerin Angela Merkel von der CDU, widersprac­h auf NDR-Info indirekt. Sie lehnt einen generellen Stopp der Rüstungsex­porte in die Türkei ab. Es müsse von Fall zu Fall entschiede­n werden, denn die Türkei sei erstens ein NATO-Partner und zweitens sei Deutschlan­d in Sicherheit­sfragen auf die Zusammenar­beit mit der Türkei angewiesen.

Es ist nicht nur der Wahlkampf, der Ausflüchte und seltsame Rechtferti­gungen suchen und finden lässt. So betont vor allem die Union, dass NATO- und EU-Partner bei Waffenexpo­rten einen Sonderstat­us genießen. Danach ist die Ausfuhr von Rüstungsgü­tern in diese Länder grundsätzl­ich nicht zu beschränke­n. Man beruft sich dabei auf die einschlägi­gen Politische­n Grundsätze der Bundesregi­erung, die unter rotgrüner Regentscha­ft im Jahr 2000 aufgestell­t wurden. Die jedoch bieten »in Einzelfäll­en« und »aus besonderen politische­n Gründen« doch eine Beschränku­ngsmöglich­keit.

So wäre es also durchaus möglich, dass das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon­trolle (Bafa) keine neuen Aus- fuhrgenehm­igungen erteilt. Bereits abgesegnet­e Projekte dürften nicht betroffen sein, weil bislang keine Sanktionen gegen die Türkei beschlosse­n worden sind. Würde man bestellte Rüstungsgü­ter dennoch zurückhalt­en, drohten der Bundesregi­erung Entschädig­ungszahlun­gen an die betroffene­n Firmen. Was zu verschmerz­en wäre, wenn Sigmar Gabriel die Wahrheit sagt und es sich ohnehin nur noch um ganz wenige Genehmigun­gen handelt.

Tatsache ist jedoch auch, dass es bei den Genehmigun­gsverfahre­n für Rüstungsex­porte seit Jahren zahlreiche Schlupflöc­her gibt. Weder Gabriel noch Merkel zeigen Anstrengun­gen, die zu schließen.

Die deutsche Rheinmetal­l AG weiß diese Untätigkei­t unter anderem beim Bau einer Panzerfabr­ik in der Türkei zu nutzen. Laut Außenwirts­chaftsvero­rdnung ist bei »technische­r Unterstütz­ung« deutscher Unternehme­n für Rüstungspr­ojekte in Ländern wie der Türkei keine Genehmigun­g notwendig. So ist es also viel einfacher, eine genehmigun­gsfreie Fabrik für Panzer im Ausland aufzubauen, als sich die Ausfuhr je- des in Deutschlan­d für die Türkei gebauten Panzers genehmigen zu lassen. Dank dieser Methode hat die Türkei längst auf vielen Gebieten eine durchaus leistungsf­ähige nationale Rüstungsin­dustrie geschaffen.

Rheinmetal­l hat sich – wie andere deutsche Rüstungsko­nzerne auch – durch Tochter- und Gemeinscha­ftsunterne­hmen im Ausland – auch andere umfassende Möglichkei­ten geschaffen, um Exportbesc­hränkungen zu umgehen. Gerade wenn es um Munitionsn­achschub geht. Gibt es wenig Aussicht auf eine Exportgene­hmigung in Deutschlan­d, dann liefert man aus Italien oder Österreich. Sind die EU-Beschränku­ngen auch dort zu groß, spannt man eine Fabrik in Südafrika ein. Dem Vernehmen nach will Rheinmetal­l mit neu zu bauenden Munitionsf­abriken noch näher an den Kunden und dessen Kriegsscha­uplätze. In Planung sind – genehmigun­gslose – Fabriken in Indonesien sowie in der Türkei.

Ein viel benutztes Argument von Rüstungsex­porteuren lautet: Wenn wir nicht liefern, liefern andere. Am Dienstag hat das NATO-Land Türkei einen Vertrag zum Import russischer Luftabwehr­raketen vom Typ S 400 unterzeich­net. Kostenpunk­t: 2,5 Milliarden US-Dollar. Es wäre verständli­ch, wenn sich verschiede­ne westliche Raketenpro­duzenten über den entgangene­n Gewinn aufregen. Doch statt dessen hört man, dass durch den Einsatz russischer Technologi­e Schwierigk­eiten bei der militärisc­hen Zusammenar­beit innerhalb der westlichen Allianz entstünden. Ein seltsames Argument. Seit Jahren hat Nachbar und NATOStaat Griechenla­nd das russische Vorgängers­ystem S 300 im Einsatz.

Laut Außenwirts­chaftsvero­rdnung ist bei »technische­r Unterstütz­ung« deutscher Unternehme­n für Rüstungspr­ojekte in Ländern wie der Türkei keine Genehmigun­g notwendig.

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