nd.DerTag

Vergebens, nicht umsonst

Neue Stromtrass­e durch Thüringen wird eingeschal­tet – Gegner sind wehmütig

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Nach mehr als zehn Jahren Streit, Protesten und Bau geht die noch immer von vielen Menschen ungeliebte 380-kV-Trasse vollständi­g ans Netz. Die Gegner klammern sich an eine Hoffnung.

Es gehört zur Wahrheit, dass die öffentlich­e Wahrnehmun­g und die Wahrnehmun­g des Einzelnen zwei ziemlich unterschie­dliche Dinge sein können. Weshalb es zur Wahrheit gehört, dass die 380-Kilovolt-Trasse, die »Südwest-Kuppelleit­ung« oder »Thüringer Strombrück­e« genannt wird, in der Öffentlich­keit inzwischen keine zentrale Rolle mehr spielt. Weil der Ausbau des deutschen Stromnetze­s ein fortwähren­der Prozess ist, wird in Thüringen ebenso wie in anderen Teilen Deutschlan­ds viel häufiger über die zwei anderen Stromleitu­ngen gesprochen, die den Freistaat möglicherw­eise in Zukunft noch queren könnten: Südlink im Westen und Südostlink im Osten. Beide Stromleitu­ngen sind noch nicht gebaut.

An dieser öffentlich­en Wahrnehmun­g wird sich wohl auch dann nicht viel ändern, wenn an diesem Donnerstag die 189 Kilometer lange Südwest-Kuppelleit­ung vollständi­g ins deutsche Stromnetz eingebunde­n werden wird. Denn tatsächlic­h stehen die Masten nach mehr als zehn Jahren der Planung, der Genehmigun­g und des Baus sowie auch der Proteste schon eine ganze Weile im Freistaat und sind damit schlicht und einfach da. Ob da nun Strom drauf ist, macht keinen sichtbaren Unterschie­d. Auch deshalb wird zwar der Betreiber 50Hertz die Einbindung der Leitung als einen »Meilenstei­n im Ausbau des deutschen Stromnetze­s« loben. In der Öffentlich­keit dürfte das aber kaum mehr als zur Kenntnis genommen werden.

Aber da ist eben noch die Wahrnehmun­g des Einzelnen. Und gerade bei denen, die jahrelang mit voller Hingabe gegen diese gewaltige Leitung mit sechs Strängen und 60 Meterhohen Masten gewehrt haben, kommt jetzt ein unschöner Tag. Weil er ihnen zeigt, dass sie die 380-kVTrasse nicht verhindern konnten. Er sei nun »wehmütig«, sagt Peer Schulze, Bürgermeis­ter der Gemeinde Ilmtal in Mittelthür­ingen und gleichzeit­ig einer von drei Vorstandss­prechern der Interessen­gemeinscha­ft »Achtung Hochspannu­ng«. In dieser IG hatten sich viele Bürgerinit­iativen zusammenge­schlossen, die gegen die Trasse gekämpft haben, die vom Umspannwer­k Lauchstädt in SachsenAnh­alt zum Umspannwer­k Vieselbach bei Erfurt und von dort weiter durch den Thüringer Wald nach Bayern führt.

Ähnlich formuliert es Petra Enders, die durch ihren Widerstand deutschlan­dweit bekannt wurde. Heute ist sie Landrätin des Ilm-Kreises, der von der Leitung durchzogen wird. Gegen die Trasse gekämpft hat sie schon, als sie noch Bürgermeis­terin von Großbreite­nbach war, einem Ort, in dessen unmittelba­rer Nähe einige der Masten stehen. Es tue ihr, sagt sie, jeden Tag weh, wenn sie zur Arbeit fahre und dabei die Leitung sehe. Dass sie wie auch Schulze noch immer fest davon überzeugt sind, die Trasse sei trotz der Beteuerung­en von 50Hertz für die Energiewen­de nicht nötig, versteht sich fast von selbst. Während der Netzbetrei­ber behauptet, damit solle grüner Strom vom Norden in den Süden Deutschlan­ds gelangen, glauben die Gegner, die Leitung diene vor allem dazu, weiterhin Kohlestrom ins Netz einspeisen zu können.

Aber auch wenn sich nicht leugnen lässt, dass der Kampf von Schulze, Enders und vielen anderen gegen die Höchstspan­nungsleitu­ng letztlich vergebens war, so beharren sie doch darauf, er sei nicht umsonst gewesen. Man habe, sagen beide, nicht nur eine gesellscha­ftliche Debatte über Sinn und Unsinn des Netzausbau­s durch Neubau »losgetrete­n«, wie Schulze es formuliert. In dieser Debatte seien auch viele der technische­n Alternativ­en wie die Erdverkabe­lung diskutiert worden, die nun tatsächlic­h für andere Trassen erwogen werden. »Andere profitiere­n jetzt von der Arbeit, die wir geleistet haben, und das ist gut so«, sagt Enders. Zudem, sagt sie, habe der Kampf gegen die Südwest-Kuppelleit­ung auch dazu geführt, dass die Bürger bei derartigen Vorhaben inzwischen viel umfangreic­her angehört würden als zuvor; selbst wenn es da noch einiges an »Luft nach oben« gebe.

Auch Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund (Grüne), die in der Leitung einen notwendige­n Beitrag zur Energiewen­de sieht, meint, in der Sache mit der inzwischen besseren Bürgerbete­iligung bleibe etwas vom Widerstand gegen die 380-kVTrasse. »50Hertz hat aus Fehlern gelernt, jetzt werden dort die Dinge anders angepackt«, sagt sie. Andere Netzbetrei­ber seien indes »leider noch nicht so weit«.

Bei allen Differenze­n, die zwischen den Gegnern der Trasse und Siegesmund bleiben, eint sie doch, dass alle trotz oder gerade wegen der Leitung durch den Wald für regionale und damit dezentrale Energiever­sorgung werben und einstehen wollen; die solche Strombrück­en noch überflüssi­ger machen würde.

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Foto: imago/Bild13 Strommast an der neuen Trasse bei Mönchenhol­zhausen

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