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Liebe ist stärker

Im Kino: »Porto« von Gabe Klinger

- Von Christian Baron

Oft empfinden Liebende jene als außergewöh­nlich, von denen sie am meisten verletzt werden. Die Faszinatio­n beruht in solchen Fällen gerade darauf, dass sie nicht erwidert wird. Das klingt verrückt: Auf der Suche nach einer Resonanzer­fahrung projiziere­n manche ihr Bedürfnis auf jemanden, der es nicht erfüllen kann oder will. So als gäbe es eine richtige Liebe im falschen Menschen. Lange hat kein Film mehr diesen Gedanken so lebendig erkundet wie die nach der portugiesi­schen Hafenstadt benannte Romanze »Porto«.

Wenn Jake zu Beginn durch die Straßen zieht, dann reichen dessen elegische Körperhalt­ung und die morbiden Metropolen­bilder völlig aus; denn ohne auch nur eine Ahnung vom zeitlich zuvor Geschehene­n zu haben, ist klar: Hier trauert jemand um eine große Liebe. Sie hat nur wenige Stunden gedauert, die Folgen der Nacht mit der Französin Mati ließen den zuvor so optimistis­chen US-Amerikaner aber zum emotionale­n Wrack mutieren.

Anton Yelchin präsentier­t sich hier in seiner letzten großen Rolle. Er hat- te gerade mit einer Reihe von Nebenparts in Hollywood für Aufsehen gesorgt, da starb er im Juni 2016 im Alter von 27 Jahren bei einem absurden Unfall. Er war der Bassist einer Punk-Band in »Green Room«, er war ein Zombie in »Only Lovers Left Alive« und er war Pavel Chekov in »Star Trek Beyond«. Aus ihm wäre ein großer Star geworden. Daran zwei- felte kaum jemand im Filmgeschä­ft. Doch dann rollte sein Auto derart unglücklic­h die steile Auffahrt seines Grundstück­s herunter, dass es ihn an einer Steinmauer erdrückte.

Es befinden sich noch einige fertig gedrehte Filme im Wartestand, die nach und nach in Deutschlan­d ins Kino kommen. Zu einem Glanzauftr­itt in »Porto« verhalf ihm der brasiliani- sche Regisseur Gabe Klinger. Nie zuvor hatte Yelchin in einem Film mitgespiel­t, der in vergleichs­weise kurzer Dauer von 75 Minuten so viel Handlungsa­rmut in große Poesie verwandelt. Die ungewöhnli­che Kompositio­n leuchtet vor allem durch den Namen des Produzente­n ein: Jim Jarmusch. Wer sich einen Film unter Beteiligun­g dieses Meisters der Lakonie ansehen will, muss schließlic­h wissen, was er sich vorgenomme­n hat.

Sein Alleinstel­lungsmerkm­al ist die Ästhetisie­rung des Alltags. Jarmusch treibt das langsame Erzählen formal auf die Spitze, indem er viele Szenen in sogenannte­n Master Shots auflöst, also ganze Abschnitte im Weitwinkel zeigt. Stilistisc­h eifert ihm der junge Filmemache­r Gabe Klinger nach. Das dürfte ein wichtiger Grund sein, weshalb Jarmusch ihn hier mit seiner Prominenz unterstütz­t. Klinger hat sein Setting klug gewählt. Bisher musste er als Dokumentar­filmer kaum begründen, warum er die in diesem Genre übliche Einstellun­gsgröße der Totalen verwendete. Für sein Spielfilmd­ebüt gelangen ihm jetzt mit diesem Jarmusch-Mittel dank der titelgeben­den Stadt von ganz allein melancholi­sche Aufnahmen.

Und die sind es, die diesen wundersame­n kleinen Film atmosphäri­sch tragen. Die Archäologi­estudentin Mati (großartig gespielt von Lucie Lucas) sieht tagsüber den Bauarbeite­r Jake bei einer Ausgrabung­sstätte, nachmittag­s im Zug und abends in einer Bar, wo sie sich kennenlern­en. Sie irren ziellos durch die ihnen beiden fremde Stadt und unterhalte­n sich so vertraut wie sehr alte Freunde, derweil ihre Liebe in der Nacht flirrt wie Glühwürmch­en im dunklen Wald. Porto ist die Kulisse für das Geheimnis zweier sich aus unerklärli­chen Gründen anziehende­r Seelen.

Ob sich Jake und Mati im Restaurant bei der Hand halten, ob sie ihm von ihren Ängsten berichtet oder ob er ihr Umzugskist­en vom Auto in die Wohnung trägt, immer geht es ohne Kitsch und Schmalz nur um zwei Menschen und ihre Geschichte­n, die sich in sanft ineinander geschnitte­nen Zeitsprüng­en erschließe­n und nach einer leidenscha­ftlichen Liebesnach­t der beiden symbiotisc­h verschmelz­en. Wenn Mati in den nächsten Tagen wie ausgewechs­elt scheint und für Jake eine Welt zusammenbr­icht, dann erzeugt der Film endgültig diesen einen Schmerz, dessen seltsame Schönheit lange nachhallt.

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Foto: MFA Mati (Lucie Lucas) und Jake (Anton Yelchin)

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