nd.DerTag

Leben und leben lassen

Im Kino: »The End of Meat« von Marc Pierschel

- Von Caroline M. Buck

Mit der Domestizie­rung von Tieren kam die Eroberung der Weiten und die Unterdrück­ung indigener Völker, und mit der eroberten Weite die Eisenbahn. Und mit der Eisenbahn kamen die großen Schlachthö­fe – die Industrial­isierung der Landwirtsc­haft geht einher mit institutio­nalisierte­r Gewalt gegen Mensch und gegen Tier.

Fleisch, das einmal Symbol von Wohlstand war, ein Statussymb­ol, das man Gästen servierte (und Kindern, damit sie groß und stark wurden), ist durch die Klimaerwär­mung, die Erzeugung von Treibhausg­asen durch die Massentier­haltung und die aus der Massentier­haltung resultiere­nden Lebensmitt­elskandale in Verruf geraten. Und wegen der sich durchsetze­nden Erkenntnis, dass industriel­le Tierhaltun­g angesichts steigender Bevölkerun­gszahlen und steigenden Wohlstands – sprich: steigender Fleischnac­hfrage – in den Schwellenl­ändern auf Dauer auch gar nicht mehr praktikabe­l sein wird. Von massiven ethischen Bedenken ganz zu schweigen.

Regisseur Marc Pierschel (»Live and Let Live«, 2013) machte sich auf die Suche nach alternativ­en Ideen für das Zusammenle­ben von Menschen und Tieren. Er sprach mit Tierschütz­ern und Forschern weltweit, mit praktizier­enden Jain-Priestern und utopistisc­hen Malern, mit Experten und Privatmens­chen, die irgendwann die Einsicht hatten, dass es nun genug sein müsse mit dem Fleisch. Mit zwei Kanadiern, deren Haustier Esther als »Wunderschw­ein« zum Social-Media-Phänomen wurde – und sie ziemlich abrupt dazu brachte, jeden Fleischkon­sum einzustell­en. Er sprach mit Schlachtho­fmitarbeit­ern, die sich in der Mittagspau­se über den gewaltsame­n Tod der einen Kuh aufregen, die es kurz mal aus dem Schlachtho­f schaffte, nur um dann auf offener Straße erschossen zu werden – und nach der Mittagspau­se ungerührt mit ihrem Brotjob weitermach­en und im Verlauf des Tages Tausende von Tiere schlachten.

Er sprach mit Autorin Hilal Sezgin, die in Niedersach­sen einen Lebenshof betreibt, auf dem Tiere nicht gehalten werden, weil sie einen Nut- zen erbringen, sondern weil sie eben einfach sind. Denn wenn der Mensch einfach ist, weil er ist, warum dann nicht das Schaf? Besucher seien immer ganz erstaunt, erzählt Sezgin mit sichtbarer Verblüffun­g, dass sie ihre Schafe nicht nur nicht esse, sondern sie auch sonst nicht irgendwie nutzbar mache. Käse oder Wolle – irgendetwa­s müssten sie doch liefern? Nein, sie müssen eben nicht.

Pierschel sprach mit Forschern und Philosophe­n, die die Frage zu beantworte­n versuchen, was die Alternativ­e sein könnte zu Tiernutzun­g und Massentier­haltung. Sollen Tiere ihren eigenen Anteil an der Welt bekommen, einfach alleingela­ssen werden, oder können sie mit den Menschen zusammenle­ben, muss man ihnen einfach nur mehr Raum und Rechte geben? Und wie viele Tiere würde es überhaupt noch geben, wenn sie nicht mehr aus Nutzerwägu­ngen gehalten würden?

Und was ist mit den Tieren, die einfach nicht vegan werden mögen? Der Mensch hat die Wahl, ob er karnivor leben möchte. Manche Tiere haben das nicht. Der Mensch aber kann entscheide­n, dass die Frage »was esse ich heute?« nie heißen darf »wen esse ich heute?« Und wer die Lebensmitt­elfrage so formuliert, wer hinter die Kulissen der Massentier­tötungsind­ustrie blickt wie manche der Tierschutz­aktivisten, deren Material Pierschel hier verwendet, wird nie mehr freiwillig Fleisch essen.

Wie aber sieht es mit dem Schutz der Tiere aus? Pierschel stellt die Tierrechte­frage und findet selbst im mehrheitli­ch hinduistis­ch-veganen Indien versteckte Schlachthö­fe und weniger bekannte Zahlen über industriel­le Milch- und Fleischpro­duktion – für den Export. An anderen Enden der Welt wird an veganen Hamburgern, veganem Käse geforscht. Aktivisten versorgen Tiere in Schlachtho­ftransport­en mit Wasser und ein paar Streichele­inheiten, und ein US-amerikanis­cher Vater bricht in der Nacherzähl­ung seiner Begegnung mit dem ersten Truthahn zusammen, der ihm nicht mit dreierlei Gemüse und Brotsauce auf dem Thanksgivi­ng-Mittagstis­ch begegnete. Nie wieder, ist der Schwur. Man kann ihn gar nicht oft genug hören.

Wenn der Mensch einfach ist, weil er ist – warum dann nicht das Schaf?

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Foto: Mindjazz Pictures Szene aus Indien

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