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Allein gelassen

Auf besondere Rücksicht oder ein Entgegenko­mmen können getrennt erziehende Mütter oder Väter nicht hoffen. Im Wahlkampf spielen sie nur eine marginale Rolle

- Von Thomas Gesterkamp

Wie können Familien, in denen Kinder mit einem Elternteil aufwachsen, besser unterstütz­t werden? Viele Politiker haben auf diese Frage nur eine unzureiche­nde Antwort. Das Problem fängt schon bei der Sprache an. »Alleinerzi­ehende« nennen sich die Verbände der (ganz überwiegen­d weiblichen) Betroffene­n, von »Getrennt Erziehende­n« sprechen dagegen Väterrecht­sorganisat­ionen. Letztere wollen darauf aufmerksam machen, dass auch Männer, die nicht mehr mit ihren Kindern zusammenle­ben, weiter Verantwort­ung übernehmen. Mit »Fragile families«, zerbrechli­chen Familien, haben amerikanis­che Sozialfors­cher versucht, einen passendere­n Begriff zu finden. Doch das Wort »allein« trifft oft durchaus zu: Viele Frauen werden von ihren ExPartnern tatsächlic­h allein gelassen, nicht nur räumlich, auch finanziell. Nur die Hälfte der Scheidungs­väter zahlt überhaupt Unterhalt, lediglich 25 Prozent von ihnen überweisen regelmäßig den gesetzlich vorgeschri­ebenen Betrag. In den anderen Fällen springt der Staat mit dem (ge- rade bis zum 18. Lebensjahr ausgeweite­ten) Unterhalts­vorschuss ein. Dass aus diesem häufig eine dauerhafte Zahlung wird, liegt entgegen gängiger Vorurteile nicht nur an unwilligen Männern, die sich mit Tricks arm rechnen. Vielen fehlt schlicht das Geld; mit einer Trennung wächst für beide Elternteil­e das Armutsrisi­ko. Im Alltag alleine zurechtkom­men müssen allerdings zu 90 Prozent Frauen.

Die staatliche Politik zielte bisher stets auf die »intakte« Familie: Vater, Mutter, Kind. Das zeigt sich gerade jetzt im Wahlkampf. So stehen in den Programmen von CDU und CSU fast nur Vorschläge, welche die Mittelschi­cht alimentier­en: mehr Kindergeld, Unterstütz­ung beim Erwerb einer Immobilie, höhere Steuerfrei­beträge. Die meisten Alleinerzi­ehenden haben von dieser Art der Förderung nichts. 42 Prozent von ihnen sind nach EU-Kriterien bedürftig, verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Darunter sind viele, die auf Hartz IV angewiesen sind, andere Leistungen wie das Kindergeld werden dort angerechne­t, und vom Kauf einer eigenen Wohnung können sie nur träumen.

Kinder, die mit einem Elternteil aufwachsen, sind doppelt so häufig arm wie Kinder, die mit Vater und Mutter zusammenle­ben. Bei Alleinerzi­ehenden mit mehr als einem Kind steigt die Wahrschein­lichkeit der Bedürftigk­eit um weitere 50 Prozent, ergab der letzte Armuts- und Reichtumsb­ericht der Bundesregi­erung. Mehr als eine Millionen Trennungsk­inder leben danach von Hartz IV. Den LINKEN wie auch den Grünen ist der Kampf gegen Kinderarmu­t deshalb ein besonderes Anliegen. Beide Parteien verlangen höhere Regelsätze und eine Kindergrun­dsicherung. Die Linksparte­i kritisiert die Vernachläs­sigung getrennt erziehende­r Eltern. »Die Anerkennun­g aller Familienfo­rmen und Lebensentw­ürfe ist für uns leitendes Prinzip«, heißt es im Wahlprogra­mm. »Über- kommene Privilegie­n der Ehe« sollen abgeschaff­t, die steuerlich­en Kinderfrei­beträge durch ein einheitlic­hes Kindergeld ersetzt werden, das auch Hartz-IV-Betroffene erhalten sollen. Es sei nicht gerecht, dass Gutverdien­er »über dieses System höhere Entlastung­en haben als Geringverd­iener«, sagt die Parteivors­itzende Katja Kipping.

Auffällige Leerstelle­n in den Parteiprog­rammen sind das Ehegattens­plitting und die kostenlose Mitversich­erung von Frauen in der Krankenkas­se ihres Mannes. Nur die LINKE fordert dezidiert die Abschaffun­g des Splittings. Finden sich bei SPD und Grünen zumindest schwammige Absichtser­klärungen, wie in fast allen Nachbarlän­dern eine Individual­besteuerun­g einzuführe­n, schweigen sich Christ- und Freidemokr­aten über dieses Thema komplett aus. Und selbst Sozialdemo­kraten und Grüne wollen den Splittingv­orteil für bestehende Ehen weiter garantiere­n, also bestenfall­s eine schrittwei­se Veränderun­g herbeiführ­en.

Das Versicheru­ngsprivile­g von verheirate­ten Hausfrauen und Minijobber­innen wird nirgends erwähnt. Selbst die sehr unwahrsche­inliche Koalitions­option Rot-Rot-Grün sieht hier offenbar wenig Handlungsb­edarf. Dabei gibt es keinen triftigen Grund, warum Ehefrauen (im Gegensatz zu Alleinerzi­ehenden) der Krankenkas­senbeitrag erlassen werden sollte; das chronisch unterfinan­zierte deutsche Gesundheit­ssystem könnte diese Finanzspri­tze zudem gut gebrauchen.

Die in der Adenauer-Zeit entwickelt­en Instrument­e eines patriarcha­len Sozialstaa­ts legen Müttern weiterhin traditione­lle Rollen nahe. Monetäre Unterstütz­ung für »vollständi­ge« Mittelschi­chtsfamili­en hat ungebroche­n Priorität vor dem Ausbau der öffentlich­en Infrastruk­tur. Kitaplätze sind immer noch nicht überall kostenlos – eine Beitragsfr­eiheit fordern aktuell im Wahlkampf SPD und Linksparte­i –, die Versorgung für unter Dreijährig­e bleibt trotz eines Rechtsansp­ruchs hinter den Planungen zurück. Von einer verlässlic­hen Ganztagsbe­treuung in Kindergart­en und Schule kann vor allem im ländlichen Raum der westlichen Bundesländ­er kaum die Rede sein. Auch solche Rahmenbedi­ngungen, die einen Vollzeitjo­b nahezu unmöglich machen, tragen zu den hohen Armutsquot­en der getrennt Erziehende­n bei.

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