Schwimmer im Strudel der Feindschaft
Serbische Kinder aus Trebinje können nicht im kroatischen Dubrovnik trainieren
Mit fast übermenschlichen Anstrengungen führt der Schwimmclub einer bosnischen Kleinstadt Amateure zu EM-tauglichen Spitzenleistungen – doch ernten andere die Früchte.
»Delfin? Die schwierigste Schwimmart?« Stojan (Name geändert) rollt die schwarzen Knopfaugen. »Was soll daran schwierig sein?« Dann legt er los. »Seine eigentliche Stärke ist Kraul«, sagt Klubpräsident Zoran Čučković. »In vier Jahren ist er fit für die Europameisterschaft«. Den wirklichen Namen des Vierzehnjährigen will Čučković, Präsident des Schwimmclubs »Leotar« nicht gedruckt sehen. Kinder seien überfordert, wenn sie zu früh zu Hoffnungsträgern hochgejubelt werden. Der Präsident hat noch drei heiße Eisen im Feuer. So jung wie Stojan. Und eine damals sechzehnjährige Schwimmerin startete 2012 bei den Olympischen Spielen in London. Vier potenzielle EM-Kandidaten und eine Olympionikin.
Dabei hat Trebinje, eine Stadt in der bosnischen Serbenrepublik Srpska, gerade einmal 31 000 Einwohner und keine Schwimmhalle. Es gibt nur ein offenes, unbeheiztes Becken, wo die EM-Anwärter maximal dreieinhalb Monate im Jahr üben können. Täglich zweimal zwei Stunden. Vor und nach dem öffentlichen Badebetrieb. Mit Trainern ohne Ausbildung. Enthusiasten wie Branislav Krivoglav. »Einfach Brano«, stellt er sich vor. Der 31-Jährige, der beim städtischen Gesundheitsamt arbeitet, verbringt seit 15 Jahren seinen ganzen Jahresurlaub am Beckenrand.
Es hat sich gelohnt. Der Schwimmclub Leotar – er nennt sich nach dem Stadtberg von Trebinje – gewann bisher 28 Pokale und jede Menge Medaillen. Nur die Konkurrenz in der Hauptstadt ist besser: Bosna Sarajevo. »Aber die haben Turkish Airlines als Sponsor«, sagt Clubpräsident Čučković. »Uns sponsert niemand.« Kein Wunder. Gleich nach den jugoslawischen Teilungskriegen in den Neunzigern kaufte ein Oligarch aus Serbien die Werkzeugmaschinenfabrik von Trebinje, deren Bohrer einst in aller Welt begehrt waren, und ließ die Hallen platt machen.
»Raten Sie mal, was da jetzt hergestellt wird«, fragt Čučković. »Kekse!« Er schüttelt sich als wären es Kakerlaken. Trebinje, sagt er, sei dadurch nicht nur der wichtigste Arbeitgeber, sondern auch der größte Steuerzahler weggebrochen. Das habe Konsequenzen für den Schwimm- club, den 1949 auch sein Vater gegründet hat.
Ganze 9000 Bosnische Mark (KM) – das sind rund 4500 Euro – gibt es pro Jahr von der Stadt. Gebraucht würde das Doppelte. Mindestens. Trotz ehrenamtlicher Trainer und der Kochplatte für Auswärts-Wettkämpfe. Meist kocht der Präsident dann selbst, das Logis stellt die SerbischOrthodoxe Kirche. Grigorije, der Bischof von Trebinje, habe das mit seinen Amtsbrüdern vereinbart. »Er schwimmt selbst regelmäßig«, sagt Čučković. Mit Dispens Seiner Lauterkeit kraulen auch Nonnen aus dem Kloster vor den Toren der Stadt. Eine war vor der Weihe selbst Leistungsschwimmerin.
Dennoch: Die Subventionen und die Beiträge – 30 KM pro Kind und Monat – reichen noch nicht einmal für den Bus, der die jungen Athleten in der kalten Jahreszeit zum Training ins 67 Kilometer entfernte Nikšić fährt, wo es eine Schwimmhalle gibt. Den Bus, sagt Brano, Trainer und Geschäftsführer des Clubs in Personalunion, könne man sich nur einmal die Woche leisten. Zweimal würden die Eltern reihum den Transport mit eigenem Pkw übernehmen. Weil wegen Platzmangels in den Schulen von Trebinje in zwei Schichten unterrichtet wird, beginnt die Fahrt erst um 18 Uhr. Die Straße ist gut, doch Grenzund Zollkontrollen kosten Zeit und Nerven: Nikšić liegt im Ausland. In Montenegro. »Die Kinder«, sagt Brano, »sind erschöpft, bevor das Training anfängt. Oft sind wir erst nach Mitternacht wieder zu Hause.«
Zwar sind es bis zur nächsten Halle weniger als 30 Kilometer. Doch sie liegt im kroatischen Dubrovnik, das Land ist, anders als Bosnien und Montenegro, EU-Mitglied und drängt in den Schengen-Raum. Die Grenzkontrollen sind daher noch stressiger. Vor allem aber: »Wir können die Preise da unten nicht bezahlen«, sagt Brano. Es sind nicht nur die Kosten. Die beiden in etwa gleich großen Städte waren sich schon in Jugoslawien in herzlicher Feindschaft zugetan.
Dubrovnik missgönnte Trebinje die Jobs in der Werkzeugmaschinenfabrik, wo das ganze Jahr gutes Geld verdient wurde. Dort war man neidisch auf das kurze, aber einträgliche Geschäft mit den Touristen. Auch der Regen ging immer dann, wenn man ihn gerade selbst dringend brauchte, beim anderen nieder. Mit einer selbst für Wasserball gewöhnungsbedürftigen Ruppigkeit ging es daher zur Sache, wenn »Leotar« Trebinje gegen »Jug« spielte: den Kult-Club aus Dubrovnik, 21-facher jugoslawischer Landesmeister und zweifacher Gewinner des Europapokals
Die alten Rivalitäten ließen Öl in das Feuer des Bürgerkriegs nach dem Zerfall Jugoslawiens fließen. Für die Serben in Trebinje waren nicht die bosnischen Muslime, sondern die Kroaten unten an der Küste der Hauptfeind. »Dubrovnik muss zerstört werden, wir bauen es nachher aber noch schöner wieder auf. Und noch älter«. So jedenfalls zitieren die Dubrovniker den damaligen Bürgermeister von Trebinje. Sein Nachfol- ger habe bei den Waldbränden 2007, die oben in Trebinje ausbrachen, nichts unternommen, als der Wind die Flammen Richtung Süden vor sich hertrieb. Dubrovnik, ein Weltkulturerbe, schrammte nur knapp an einer Evakuierung vorbei. Scharfmacher dort sprachen sogar von Brandstiftung.
In Trebinje bestreitet man Zitat und Zündeln. »Wir haben inzwischen sogar gemeinsame Projekte für den Umweltschutz«, sagt Dragoslav Banjak, Chef des Stadtparlaments von Trebinje. Bei den Kommunalwahlen im Herbst 2016 hätten Junge das Rennen gemacht, die nicht in die eigene Tasche wirtschaften, sondern etwas bewegen wollen. Auch im Verhältnis zu Dubrovnik.
Derzeit herrscht Kalter Frieden. Zwar nehmen die Clubs seit ein paar Jahren wieder an Wettkämpfen teil, die der jeweils andere ausrichtet. Der in Trebinje ist zwei Schwimmern gewidmet, die im Krieg starben. Doch in den Umkleiden werden dessen Schlachten nicht noch mal geschlagen. » Für Kinder und Jugendliche«, sagt Brano, »sind andere Themen viel aufregender.«
Es sind die Erwachsenen, die dafür sorgen, dass alte Wunden nicht verheilen. »Im Mai«, erinnert sich Brano, »waren wir mit unseren Kindern und denen aus Nikšić nach dem Wettkampf auf dem Stradun, der Flaniermeile von Dubrovnik, Eis essen. Da kam ein älterer Herr und hat uns angepöbelt.« Die Kinder, von denen viele das erste Mal in Dubrovnik waren, hätten keine Freude mehr an ih- ren Medaillen gehabt und seien total verstört gewesen.
Das liegt auch daran, dass es zu den jugoslawischen Teilungskriegen noch immer so viele Wahrheiten gibt wie einst Konfliktparteien. Was die eigene Sicht stört, blenden Geschichtsbücher aus. Schulkinder in Trebinje erfahren daher offiziell weder von dem Massaker von Srebrenica 1995 mit über 8000 Toten noch von den Salven auf Dubrovnik.
Auch »Jug«, der Wassersportclub, brauchte danach ein Jahrfünft, um seine Erfolgsserie fortzusetzen. In einer komplett renovierten Halle mit Cabrio-Dach. In Trebinje dagegen war nicht einmal Geld für Solartechnik da. Mit beheiztem Wasser im Freiluftbecken, so die irre Hoffnung von Sportlern und Sportfunktionären, könne man ein paar Wochen länger trainieren, die Wasserball-Sparte reanimieren und den »Jugaši« endlich zeigen, was eine Harke ist.
Angesichts der kollektiven Psychose gab es doch noch Geld vom lokalen Stromversorger. Zum Einsatz kommen die Paneele nun jedoch in einer ganzjährig nutzbaren Halle, einer olympiatauglichen mit zehn statt acht Bahnen, die der Stromer seit März baut. Geplanter Eröffnungstermin: spätestens 2019. Das Vorhaben ist umstritten. In Bosnien, so Kritiker, gebe es neben Kriegs- auch zahlreiche Investruinen. Sogar das böse Wort Geldwäsche fällt. Auch wären die knapp zehn Millionen KM – rund fünf Millionen Euro – die das Prestigeprojekt nach jetzigem Stand kosten soll, anderswo besser angelegt: Halb Trebinje könne nicht schwimmen.
»In der neuen Halle bringen wir es ihnen bei«, hält Clubpräsident Čučković gegen. »Wir starten durch wie eine Rakete«. Ins Leere. Keiner der zurzeit 66 Aktiven ist älter als siebzehn. Titel und Trophäen, die international zählen, holen indes nicht die Junioren, sondern die Senioren. Die Erwachsenen. Und da kommt die kalte Dusche für »Leotar«: In Trebinje gibt es kaum Jobs und keine Hochschulen. Die Schwimm-Asse studieren oder arbeiten daher anderswo. Meist im Ausland. Vor allem in Serbien.
Für Serbien starten sie, für Serbien siegen sie. In Serbien studiert auch der erste künftige Profi-Trainer. Dass er nach Trebinje zurückkommt, hat der Club sich schriftlich geben lassen. »Wir haben da so unsere Erfahrungen«, sagt Brano. Er meint die Olympia-Teilnehmerin von 2012, die inzwischen in den USA lebt. »Die sagt in Interviews nicht mal, dass sie aus Trebinje kommt.«