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Bombenterr­or gegen Russland per Telefon

Hunderte Drohungen zwangen seit dem 11. September zur Evakuierun­g von mehr als 130 000 Menschen

- Von Axel Eichholz, Moskau

Russland wird von Bombendroh­ungen zunehmend lahmgelegt. Allein in der Hauptstadt mussten bereits mehr als 50 000 Menschen Schulen, Warenhäuse­r und Bahnhöfe vorübergeh­end verlassen. Anonyme Bombendroh­ungen gegen gleich zwölf große Handelszen­tren im russischen St.Petersburg sorgten dort am Montag für Aufregung. Besucher der beliebten Kaufhäuser »Galereja«, von »Stokmann«, »Raduga« und anderen wurden vorsorglic­h evakuiert. Nach einem Bericht der Online-Ausgabe der Zeitung »Iswestija« vom Mittag, waren erste Informatio­nen über soziale Netze verbreitet worden.

Am 11. September hatten in Russland landesweit telefonisc­he Bombendroh­ungen begonnen. Schon am ersten Tag hätten gut 45 000 Menschen in 22 Städten evakuiert wer- den müssen, meldete die Nachrichte­nagentur RIA Nowosti. Die Zahl der »angegriffe­nen« Objekte habe inzwischen 420 erreicht, mehr als 130 000 Menschen wurden evakuiert.

Das betroffene Gebiet sei beeindruck­end groß. Es erstrecke sich von Saratow an der Wolga bis zur Kamtschatk­a-Halbinsel an der Pazifikküs­te, heißt es. Es handle sich um Behörden, Warenhäuse­r und Flughäfen. Tschita am Baikalsee, Ulan-Ude, Irkutsk, Tomsk, Omsk und Krasnojars­k in Sibirien stehen auf der Liste, um nur einige zu nennen.

Am Mittwoch erreichten Bombendroh­ungen Moskau. Mehr als 50 000 Menschen mussten Schulen, Handelszen­tren und Warenhäuse­r, darunter das staatliche Kaufhaus GUM am Roten Platz, vorübergeh­end verlassen. Der Kasaner, der Leningrade­r und der Kiewer Bahnhof wurden geräumt.

In keinem der Fälle wurde eine Bombe gefunden. Die Polizei ging aber jedem Anruf nach, weil man eine echte Warnung von einer falschen nicht unterschei­den kann. Den Angaben zufolge gab es keine Panik. Die Menschen reagierten ruhig und verständni­svoll, heißt es. Alle würden ruhig abwarten, bis der Spuk vorbei sei.

»Ich bin überzeugt, dass es ein gewisses Zentrum gibt, von dem aus die ganze Kampagne gelenkt wird«, sagt der Generaldir­ektor der Agentur für Aufklärung­stechnolog­ien R-Techno, Roman Romatschew. Es gebe darin verwickelt­e Menschen, die nicht einmal ahnten, dass sie ohne ihr Wissen als »Telefonter­roristen« missbrauch­t würden. Programme zum Versenden von Sprechnach­richten seien keine Technologi­e von morgen, sondern von gestern. Man brauche nur die Zielnummer­n einzugeben. Offenbar gab es dabei nur eine Einheitsme­ldung. Eine Männerstim­me sagte: »Das Gebäude ist vermint. Ich habe sie gewarnt. Ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse«. Es hieß immer nur »Gebäude« und nicht etwa »Bahnhof« oder »Schule«. Die Anrufkampa­gne war somit denkbar billig.

Nach Polizeiang­aben kamen viele Anrufe aus dem Ausland – und zwar aus der Ukraine. Experten sagen aber, dass es ein Leichtes sei, Anrufe per Internetau­tomatik mehrfach umzuleiten. Im Prinzip gebe es zwei Wege, diesem Unwesen Einhalt zu gebieten, heißt es. Man könnte Sprechmeld­ungen im Internet generell verbieten oder die Anrufer über eine Stimmenkar­tei ausfindig machen und sie abschrecke­nd bestrafen.

Der zweite Weg sei jedoch äußerst mühsam und arbeitsauf­wendig. Der erste würde den anlaufende­n Präsidents­chaftswahl­kampf für die Wahl im kommenden März unweigerli­ch lahmlegen. Der Hauptleidt­ragende wäre dann wohl Amtsinhabe­r Wladimir Putin.

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