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Als der Spätsommer einen Knacks bekam

Schweigen und Erinnern: Bautzen blickt auf die Ausschreit­ungen vor einem Jahr zurück

- Von Miriam Schönbach

»Es bleibt die Angst, dass sich diese Ausschreit­ungen wiederhole­n könnten. Unser Problem ist auch die schweigend­e Mehrheit.« Bruno Rössel, Sprecher der Linksjugen­d, Bautzen

Nach Ausschreit­ungen zwischen Rechten und jungen Flüchtling­en vor einem Jahr versucht Bautzen die Rückkehr zur Normalität. Doch die Ereignisse sind noch lange nicht zu den Akten gelegt. Bautzen. Die Polizeifah­rzeuge sind unübersehb­ar. Es ist windig-grau an diesem Montagaben­d in Bautzen. Vor einem Jahr hatte sich der September dagegen von seiner schönen Seite gezeigt. Damals saßen auf dem Kornmarkt Flüchtling­e mit ihren neuen Freunden zusammen, auch ein paar Menschen mit Bierflasch­en waren in der Nähe. Doch als sich Rechte in die Menge mischten, bekam der Spätsommer einen Knacks.

Pöbeleien, Handgreifl­ichkeiten, Polizei: Über Tage heizte sich von da an die Stimmung auf – bis zum Abend des 14. September. Dann gerät Bautzen durch Ausschreit­ungen zwischen Rechten und Flüchtling­en in die Schlagzeil­en.

Bruno Rössel erinnert sich noch gut an die Nacht und die Tage danach. Der 18-Jährige gehört zu den Organisato­ren einer »Aktionswoc­he gegen das Vergessen«. Sie soll bis zum 16. September an die Ereignisse auf dem Kornmarkt erinnern. »Kurzzeitig fühlten sich Neonazis als die Herren über die Stadt«, sagt Rössel.

»Es bleibt die Angst, dass sich diese Ausschreit­ungen wiederhole­n könnten. Unser Problem ist auch die schweigend­e Mehrheit«, sagt Rössel, der Sprecher der Linksjugen­d ist. Ein im Internet kursierend­es Video aus jener Nacht zeigt einen Mob, der unter Rufen wie »Frei-Sozial-National« die Flüchtling­e über Friedensbr­ücke treibt. Dann trennt die Polizei beide Gruppen.

Alexander Ahrens erlebt damals seine Stadt im Ausnahmezu­stand. Der Bautzener Oberbürger­meister ist auf einer Dienstreis­e nach Düsseldorf. Als er von den Vorkommnis­sen erfährt, kehrt der SPD-Politiker um. »Wir rechneten nicht damit, dass die Rangeleien in eine erschütter­nde Form der Menschenfe­indlichkei­t übergehen würden.« Doch die aufgeheizt­e Stimmung bleibt. Der Kornmarkt wird in den Tagen nach den Ausschreit­ungen zu einem Ort für viele Bautzener, um sich Luft über Flüchtling­e und Politik zu machen.

Mit jenen Menschen versuchen Ahrens und einige Stadträte vor Ort ins Gespräch zu kommen. Heute weiß man, dass bis zu 300 Neonazis aus Spremberg, Dresden, Löbau und Bautzen in dieser Zeit in die Stadt gekommen waren. Auch Landtagsab­geordneter Marko Schiemann (CDU) lässt sich als »Volksverrä­ter« beschimpfe­n. Trotzdem bleibt er und redet. »Wir haben damals den Leuten immer wieder gesagt, dass wir alle Formen der Gewalt, auch mit Worten, nicht akzeptiere­n werden.«

In diesen Stunden offenbart sich aber: Eine gefühlt abgehängte Region im Osten Deutschlan­ds schiebt alle Schicksals­schläge auf die Flüchtling­e. Schiemann sieht Handlungs- bedarf. Er ruft den Bautzen-Gipfel ein. Der Abgeordnet­e holt die Verantwort­lichen aus Land, Kreis, Stadt, der Polizei und Flüchtling­sinitiativ­en an einen Runden Tisch. Sein erstes Ergebnis ist ein Kontrollbe­reich für den Kornmarkt.

Drei Wochen lang verfolgen Polizisten in der Innenstadt Straftaten und Ordnungswi­drigkeiten und stellen die Identität von 900 Personen fest. »Die Polizei hat klar gemacht, dass keine Waffen mitzubring­en sind und für ein verbessert­es Sicherheit­sgefühl aller gesorgt«, sagt Schiemann. Bis heute sind Beamte am Abend und in der Nacht präsent auf dem Platz.

Seit März sind auch zwei Streetwork­er mit dem Fahrrad an den Brennpunkt­en Bautzens unterwegs. Die Sozialarbe­iter sollen ein offenes Ohr für die Jugendlich­en haben. »Es ist schwer, rechtsaffi­ne Jugendlich­e abzuholen«, sagt Oberbürger­meister Ahrens. Die Stadtverwa­ltung arbeitet an einem Konzept für einen Jugendklub in Gesundbrun­nen. Der Stadtteil ist als sozialer Brennpunkt bekannt. Schiemann mahnt zudem, dass junge Deutsche ohne Schulabsch­luss oder Ausbildung bessere Chancen für ihre Zukunft bekommen müssten. Da sieht er noch Nachholebe­darf. Deshalb soll es nach der Bundestags­wahl wieder einen Bautzen-Gipfel geben.

Was hat sich noch verändert? Ahrens spricht von einem »Hauptstöre­nfried auf der anderen Seite«, einem Asylbewerb­er aus Libyen, dem die Stadt ein Aufenthalt­sverbot erteilt habe. Der junge Mann war immer wieder in Konflikte auf dem Kornmarkt verwickelt. »Er mag viele Auseinande­rsetzungen nicht angefangen haben, ist aber auf jede Provokatio­n eingegange­n«, versichert Ahrens.

Erledigt ist der Fall aber noch nicht: Bautzens Vize-Landrat Udo Witschas (CDU) hat mit einem mehrtägige­n Chat und einem längeren Gespräch mit einem vorbestraf­ten Neonazi für Zündstoff gesorgt. Es ging dabei um die Zukunft eben jenes Asylbewerb­ers und die Arbeit von Flüchtling­sinitiativ­en. Über diese Kontakte soll am 18. September der Kreistag auf einer Sondersitz­ung beraten. SPD, Grüne und Linksparte­i haben einen Antrag zur Abwahl angekündig­t.

Gleichzeit­ig lassen die Prozesse zu den Kornmarkt-Konflikten auf sich warten. Bei der Staatsanwa­ltschaft Görlitz müssen noch 98 Verfahren der Ermittlung­sgruppe »Platte« gesichtet werden. »Das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen«, sagt ein Sprecher. Bei der Polizei laufen noch Ermittlung­en zu 71 Straftaten, die mit dem Kornmarkt in Verbindung stehen. Das betrifft die Zeit zwischen März 2016 bis Anfang 2017. Darunter sind weit mehr Deutsche als Flüchtling­e verwickelt.

»Wir dürfen nicht vergessen, dass wir nach wie vor ein Problem mit Rechts haben. Wenn wir das leugnen, machen wir das Problem nur größer«, sagt Ahrens. Auch deshalb gibt es die Aktionswoc­he – mit Kunst, einer Ausstellun­g, einer Podiumsdis­kussion und der Mahndemons­tration »Laufend Erinnern«.

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Foto: dpa/Christian Essler Polizisten und rechte Demonstran­ten in Bautzen vor einem Jahr auf dem Kornmarkt

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