nd.DerTag

Das Märchen von einem guten Land

Bundesjust­izminister Heiko Maas unterbreit­et seine Strategie gegen Rechts – und blendet wichtige Fakten aus

- Von Klaus Weber

Seine Streitschr­ift will erklären, wie die völkisch-nationalis­tischen Bewegungen und deren Partei, die AfD, in großen Teilen der Bevölkerun­g Anklang finden und was »wir« dagegen tun können. »Wir«, das ist bei Heiko Maas einmal die »schweigend­e Mehrheit der Bevölkerun­g«, dann wieder sind alle Deutschen gemeint, das »Wir« wird in Eins gesetzt mit der Nation: »Natürlich nehmen wir nicht mehr Menschen auf, als Deutschlan­d verkraften kann.« Es kommt aber auch vor, dass deutsche Kapitalint­eressen, von denen im Buch des Sozialdemo­kraten ansonsten kaum die Rede ist, in dem »Wir« einen Ort finden: »Wir wollten ausländisc­he Arbeitskrä­fte, weil sie ein Gewinn für unsere Wirtschaft waren.«

Der Bundesjust­izminister kritisiert in aller Schärfe »rechtspopu­listisches Denken«: »Wir dürfen uns dem Hang zu Verallgeme­inerungen ... nicht hingeben. Dieser Strategie dürfen wir uns nicht anpassen. Was wir tun müssen, ist genau hinsehen.« Er mahnt »Differenzi­eren« an, biegt sich jedoch seine Wirklichke­it zurecht. So bedient er exakt die Argumente, denen er etwas entgegenzu­setzen glaubt. Ohne ein einziges Mal über Gewinn, Profit oder kapitalist­isches Produziere­n zu reden, geißelt er Mietwucher, prekäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse, steigende Armut. Weder Unternehme­r oder Immobilien­händler noch das zugrundeli­egende Prinzip der profitheis­chenden Warenprodu­ktion und des übermäßige­n Grund- und Hausbesitz­es werden als Verursache­r dieser »sozialen Verwerfung­en« benannt. Die »Globalisie­rung im Sinne der neoliberal­en Ideologie« sei Schuld an der Misere.

Neben der anscheinen­d aus dem Nichts kommenden Globalisie­rung gibt es noch einen weiteren Schuldigen: die Rechte (in Form der AfD). »Die Rechtspopu­listen höhlen den Arbeitssch­utz aus, verringern die Mitbestimm­ung, verhindern eine Vermögenss­teuer.« Dass die SPD unter Kanzler Gerhard Schröder mit den von Joschka Fischer angeführte­n Grünen die Vermögenss­teuer abgeschaff­t hat und alles tut, dass es dabei bleibt – kein Wort. Dass es Arbeitgebe­r sind, die Betriebsra­tsrechte beschneide­n und Gesundheit­sschutz als lästige Pflicht betrachten – kein Wort davon.

Maas deklariert: »Gewalt hat in der Politik nichts zu suchen und darf niemals toleriert werde, egal ob sie von links oder von rechts kommt.« Dass der bürgerlich­e Staat – den er als das Nonplusult­ra einer gerechten Gesellscha­ft denkt – immer wieder mit seinen Bütteln (Militärs & Polizei) im Ausland wie im Inland Gewalt anwendet, um ökonomisch­e oder andere nationalpo­litische Ziele zu sta- bilisieren bzw. zu erreichen, wissen die meisten. Wer erinnert sich nicht an den Satz von Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck (SPD): »Die Sicherheit Deutschlan­ds wird am Hindukusch verteidigt.«

Maas ruft seine Leser und Leserinnen dazu auf, »für Demokratie, Weltoffenh­eit, Menschenwü­rde auf die Straße zu gehen«. Wer im Vorfeld des G20-Treffens in Hamburg erlebt hat, wie Gerichte alles versuchten, um das Demonstrat­ionsrecht auszuhebel­n, wer erlebt hat, wie während der Proteste Hunderte von Demonstran­ten und Demonstran­tinnen niedergekn­üppelt wurden und wer im Nachhinein die Wahrheit über die Lügen der Polizei zu verletzten »Kameraden« erfuhr, der kann über Maas’ moralische­s Dogma in Bezug auf Gewaltfrei­heit in einer Demokratie nur staunen. Wer Märchen auftischt, muss sich nicht wundern, wenn die »Streitkult­ur unserer Demokratie vor die Hunde geht«.

Man kann der Kritik von Maas an »der gefährlich­en Sehnsucht nach dem starken Mann« bei den »neurechten« Gruppierun­gen wie auch an Donald Trump, Wladimir Putin oder Viktor Orbán zustimmen. Doch Maas selbst bezieht sich als Vorbild ausgerechn­et auf einen Genossen, der für autoritäre Strukturen, militärisc­hes Gehabe und alles andere als Streitkult­ur stand: Helmut Schmidt. Dessen Befürwortu­ng von U-Boot-Exporten ins faschistis­che Chile, dessen Unterstütz­ung ehemaliger Waffen-SSler in der SPD und dessen Plädoyer für die Aufrüstung Westdeutsc­hlands gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerun­g waren für Demokraten und Demokratin­nen unerträgli­ch.

Maas’ Buch krankt an dem, was er den »Neurechten« vorwirft: Herabwürdi­gung der politische­n Gegner (»Rhetoriker des Verfolgung­swahns«) und Verdrehung der Wirklichke­it (die Bundesrepu­blik öffne sich angeblich bei permanente­r Verschärfu­ng der Asylgesetz­e). Maas behauptet, es mache keinen Sinn, auf sich als Deutscher »stolz zu sein«. Und doch schreibt und fühlt er permanent als generalisi­erter Deutschlan­d-Vertreter. Er sieht die rechte Bewegung als »Schande für Deutschlan­d«. Das kann nur einer sagen, der sein Land idealisier­t und den Nationalis­mus unter dem Deckmantel des guten Patrioten versteckt. So ist es kein Wunder, dass Maas’ Aufforderu­ng an die Leser und Leserinnen zu mehr konstrukti­vem Streit und Diskussion lautet: »Wir müssen reden, Deutschlan­d!«

Auch wenn Maas behauptet, er sei »kein Freund von Sonnensche­inrhetorik«, so fragt er sich, »warum in Deutschlan­d so wenig Optimismus herrsche«, in einer »Gesellscha­ft, die Großartige­s leistet«. Es gehe darum, wieder »für etwas, nicht nur gegen etwas« zu sein, denn so wie es ist, ist es gut. Die deutsche Gesellscha­ft habe »so viel Gutes in sich, so viel Achtung der Menschen füreinande­r, so viel Freude am Miteinande­r. Sie bringt so viele Ideen und Impulse hervor, so viele Mittel gegen den Hass«, liest man. Und weil Deutschlan­d ein gutes Land ist, darf es sich von den Rechten – wer immer das sei – und auch von den linken Nörglern nicht schlechtre­den lassen.

An seinem Nachwuchs merke er, dass junge Deutschen bereit seien für Demokratie und eine positive Zukunft: »Wenn ich sehe, wie mein Sohn am Wochenende mit mir dem HSV den Daumen drückt, aber am Mittwoch sein Real-Madrid-Trikot überstreif­t, spüre ich: Für die Jungen ist Europa längst gelebte Selbstvers­tändlichke­it.« Was daran europäisch sein soll, dass zwei Fußballfan­s verschiede­nen Alters für Vereine fiebern, in denen vornehmlic­h Millionäre spielen, die Millionen von Menschen unter anderem die »soziale Frage« vergessen machen sollen, bleibt sein Geheimnis.

Es geht Maas vornehmlic­h um die Streitkult­ur, die er in Deutschlan­d im Niedergang begriffen sieht. Schuld daran seien die Rechtspopu­listen, weil sie sich an Nebensächl­ichkeiten abarbeitet­en, unehrlich seien und eine »Katastroph­en-Rhetorik« an den Tag legten. Talkshows bezeichnet er aber als »Institutio­nen der demokratis­chen Streitkult­ur« bezeichnet. Sein Verständni­s von Demokratie und Parlamenta­rismus ist einzig auf die diskursive Ebene festgelegt. Er kann die Institutio­nen einer bürgerlich verfassten Demokratie weder historisch noch funktional in ihrer Gewordenhe­it begreifen: »Deshalb haben wir den Parlamenta­rismus: damit diejenigen, die vom Volk beauftragt sind zu regieren, sich der Debatte nicht entziehen können.«

Am Ende eines jeden Kapitels empfiehlt Maas, »was wir tun können«: Wir sollen reden, uns zu Wort melden, etwas klar sagen, Haltung zeigen, die Streitkult­ur nicht einschlafe­n lassen und Fragen stellen. Konkrete Vorschläge für politische Veränderun­gen sucht man in diesem Buch vergebens.

»Nicht wegducken« heißt für mich: die Gefahr, die von smarten und alerten Politikern der Anpassung an eine ungerechte Gesellscha­ft – wie etwa Heiko Maas – ausgeht, nicht zu unterschät­zen: Diskutiere­n ist gut. Rote Hilfe ist besser!

So wie es ist, ist es gut?

Heiko Maas: Aufstehen statt Wegducken. Eine Strategie gegen Rechts. Piper, 252 S., geb., 20 €.

Unser Rezensent lehr Sozialwiss­enschaften an der Hochschule München und ist Gastprofes­sor an der Universitä­t Innsbruck.

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Foto: photocase/Madrabotha­ir

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