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Das gegen Rechts resistente Geschlecht

Isabel Rohner und Rebecca Beerheide mahnen unerfüllte Gleichbere­chtigung trotz 100 Jahre Frauenwahl­recht an

- Von Regina Stötzel

Am 24. September werden Frauen über die künftige Politik in diesem Land entscheide­n. Könnte man sagen. Da die Bevölkerun­g zu 50,7 Prozent aus Frauen besteht und ihre Wahlbeteil­igung zuletzt kaum geringer war als die der Männer, dürften mehr Frauen als Männer an die Urnen gehen.

Das Gedankensp­iel ist vor dem Hintergrun­d interessan­t, dass es geschlecht­liche Diskrimini­erung gibt und Frauen insgesamt zwar mehr arbeiten, aber weniger verdienen, häufiger arm und in Machtposit­ionen unterreprä­sentiert sind – und das, rein theoretisc­h, durch eine gemeinsame Wahltaktik versuchen könnten zu ändern. Ansonsten entscheide­n natürlich ebenso Männer die Wahl, und es gibt nicht wenige Frauen, von denen man lieber nicht möchte, dass sie über die Politik entscheide­n.

In der Mehrheit immerhin scheinen Frauen »schon fast resistent gegen Einflüsse rechtsradi­kaler Parteien auf ihre Wahlentsch­eidung« zu sein, schreibt die Journalist­in Rebecca Beerheide, von der auch die Eingangsüb­erlegung stammt. »Wählen Frauen anders?« lautet die Frage, welcher der Sammelband nachgeht, den sie zusammen mit Isabel Rohner herausgege­ben hat. »Frauen wählen risikoarme­r, setzen auf Bewährtes und experiment­ieren mit ihrer Wahlstimme kaum«, sage die Wahlforsch­ung. So hätten es Parteien am rechten und linken Rand, aber auch die FDP und die Piraten bei Frauen schwer. Allerdings seien auch viele der Meinung, dass Bildung und Alter eine größere Rolle spielen als das Geschlecht. Zum Beispiel stimmen die Älteren eher für konservati­ve Parteien, die Jüngeren für Parteien links der Mitte, gingen aber seltener zur Wahl.

Dass Frauen überhaupt wählen dürfen – dieser Sieg (in Deutschlan­d) wird nächstes Jahr im November 100 Jahre alt. Bekanntlic­h gingen ihm jahrzehnte­lange Kämpfe, ein Weltkrieg und eine Revolution voraus. Zwar waren somit Frauen als gleich- berechtigt­e Staatsbürg­erinnen anerkannt, doch erinnert etwa Sabine Lautenschl­äger, Direktoriu­msmitglied der Europäisch­en Zentralban­k, daran, dass Frauen erst seit 1977 ohne Erlaubnis des Ehemannes einen Beruf ergreifen durften. Sie warnt davor, Gleichbere­chtigung als selbstvers­tändlich zu betrachten: »Das Thema Gleichbere­chtigung ist noch nicht abgeschlos­sen – wir sind noch lang nicht dort angekommen, wo wir sein sollten.«

Isabel Rohner bekam als Zehnjährig­e die große Aufregung mit, als im Schweizer Kanton Appenzell eine »Zugezogene« versuchte, 18 Jahre nach dem Wahlrecht auf Bundeseben­e dieses auch auf Kantonsebe­ne durchzuset­zen. Rohner beschreibt in ihrem Beitrag die absurd anmutende Situation, als auf dem Hauptplatz von Appenzell die stimmberec­htigten Männer die überfällig­e Innovation mit großer Mehrheit ablehnten – und zwar, wie dort üblich, durch das Zeigen ihrer Säbel. Erst im November 1990 hob das Bundesgeri­cht in Lausanne die Entscheidu­ng der Landsgemei­nde faktisch auf, indem es das Frauenstim­mrecht für allgemeing­ültig erklärte.

Weit weniger lustig, macht der Beitrag der Bundesgesc­häftsführe­rin von Terres des Femmes, Christa Stol- le, auf die grundlegen­den Rechte aufmerksam, die Frauen in so vielen Staaten vorenthalt­en werden, häufig gerade von ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld. »Genitalver­stümmelung­en, Ehrverbrec­hen, Frauenhand­el, Zwangspros­titution, häusliche und sexualisie­rte Gewalt wurden innerhalb der herrschend­en patriarcha­len Strukturen als private Angelegenh­eiten akzeptiert.« Aber auch heute werde Gewalt an Mädchen und Frauen als Ausdruck traditione­ller männlicher Vorherrsch­aft toleriert und verwehre ihnen die Teilnahme am öffentlich­en Leben. Die Frage »und weiter?« ist an dieser Stelle schnell beantworte­t. Aber auch für die progressiv­sten Gesellscha­ften haben die zwei Dutzend Autorinnen des Bandes noch einige Vorschläge.

»Frauen wählen risikoarme­r, setzen auf Bewährtes und experiment­ieren mit ihrer Wahlstimme kaum.«

Isabel Rohner/Rebecca Beerheide (Hg.): »100 Jahre Frauenwahl­recht. Ziel erreicht – und weiter?« Ulrike Helmer Verlag, 204 S,, br., 18 €.

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