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Ein Fußballmär­chen

NDR-Sportclub-Story »Testostero­ngesteuert« über Transmensc­hen

- Von Jan Freitag

Packer hat einen robusten, irgendwie maskulinen Klang. Deutsch ausgesproc­hen, hört sich das Wort schließlic­h nach harter Arbeit an. Und auch englisch intoniert schwitzt es eine Riesenladu­ng Testostero­n aus. Kein Wunder – Packer steht für Pimmel. Allerdings nicht den echten, sondern aus Gummi. Womit die Sache mit der Männlichke­it auf der Kippe steht. Als sich Fabian einen Packer in die Hose stopft, um weniger weiblich zu wirkten, steht in seinem Pass noch Cindy, die sie, also er, nicht mehr sein will. Denn Cindy alias Fabian ist ein Transmensc­h, falsches Geschlecht im falschen Körper, 2017 kein Problem mehr. Eigentlich. Es sei denn, es geht um den Fußball, dessen Topligen entgegen allen Statistike­n offiziell schwulenfr­ei sind, während es bei den Frauen dem Vorurteil nach von Lesben nur so wimmelt.

In dieser wirklichke­itswidrige­n Welt spielt die bemerkensw­erte Langzeitre­portage »Testostero­ngesteuert« und zeigt im deutschlan­dtypisch überinform­ativen Untertitel gleich mal, worum es geht: »Wenn aus Fußballeri­nnen Männer werden«. Das ist hierzuland­e häufiger der Fall als gedacht. Rund 40 Fälle zählt der DFB pro Jahr. Und zwei davon haben Anne Strauch und Ina Kast über 14 Monate begleitet: Cindy und Mariko. Sie spielen beim Hamburger Stadteilve­rein GrünWeiß Eimsbüttel. Tiefste Liga. Höchste Leidenscha­ft. Voller Einsatz. Auch, klar, unter Frauen. Als solche wird die eine vor 28, die andere vor 22 Jahren geboren. Nun aber ist der Zeitpunkt reif, dieses Missverstä­ndnis der Natur zu ändern und aus ihnen Fabian und Marino zu machen.

So sitzt ersterer nun also mitsamt seiner Freundin bei Marino und der seinen, um sich diese Gummipimme­l mal genauer anzusehen, mit denen die Phase des Übergangs bis zur Geschlecht­sumwandlun­g zumindest oberflächl­ich überbrückt werden soll. Es geht lustig zu, im Spießer- paradies zweier Revolution­äre der Persönlich­keitsgesta­ltung, jedenfalls lustiger als bei den Behördengä­ngen und Arztbesuch­en, bei denen die Kamera ebenfalls dabei ist.

Was am meisten überrascht an den 45 Minuten dezent kommentier­ter Reportage: Alle, wirklich alle Beteiligte­n unterstütz­en die Reise ins neue Geschlecht. Die Schüler des Grund- schullehre­rs Marino, die Kollegen des Schumacher­s Fabian, die Mütter und Freundinne­n der beiden. Außerdem natürlich: die Mitspieler­innen bei Grün-Weiß, die dank des regelmäßig injiziert Testostero­n, dessen Molekulars­truktur einer der zwei sogar auf den Arm tätowiert hat, gerade zwei ihrer Besten im Team Richtung Herrenabte­ilung verlieren. Was beim Zusehen manchmal fast zu Tränen rührt, ist allerdings zugleich das Problem des Films: Gegenwind gibt es nicht, nur Zuspruch.

Die Realität sieht da gewiss anders aus. Auch für Fabian und Marino – so sehr man sich instinktiv über die positive Resonanz im gesamten Umfeld freut. Daran jedoch ist auch die Kamera schuld. Man nennt das Heisenberg’sche Unschärfer­elation. Schon die Beobachtun­g eines Ereignisse­s verändert ihren Ablauf. Hier sorgt sie für ein Happening der Heiterkeit, das Geschlecht­erwechsel wohl nur selten sind.

Was beim Zusehen fast zu Tränen rührt, ist zugleich das Problem des Films: Gegenwind gibt es nicht, nur Zuspruch.

NDR, 17. September, 23.35 Uhr

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Foto: NDR/Ina Kast Aus Mariko wurde Marino

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