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Ver.di warnt: Altenpfleg­e wird zunehmend zum Spekulatio­nsobjekt

Die Branche ist für Finanzinve­storen und Privatanle­ger ein Bombengesc­häft / Fonds werben mit »attraktive­n Renditen«

- Von Rainer Balcerowia­k

In der Altenpfleg­e findet ein Unterbietu­ngswettbew­erb statt, der durch Finanzinve­storen noch weiter angeheizt wird. Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di warnt davor, dass die Altenpfleg­e zunehmend zum Spekulatio­nsobjekt von Finanzinve­storen und Großkonzer­nen wird. »Die kommende Bundesregi­erung muss erklären, wie sie diese für pflegebedü­rftige Menschen und Beschäftig­te gefährlich­e Entwicklun­g unterbinde­t«, erklärte ver.di-Bundesvors­tandsmitgl­ied Sylvia Bühler am 7. September.

In der Tat ist die stationäre und ambulante Pflege für große Investoren, aber auch für Privatanle­ger, ein Bombengesc­häft. Pflegefond­s wie die cvm GmbH werben mit »attraktive­n Renditen« auf einem »konjunktur­unabhängig­en Wachstumsm­arkt« dank »staatliche­r Refinanzie­rung«.

Der Anteil privatwirt­schaftlich­er Betriebe im Pflegebere­ich ist kontinuier­lich gestiegen, auf 52,3 Prozent Ende 2015. Mit aggressive­n Kostensenk­ungsmaßnah­men bieten private Betreiber ihre Leistungen oftmals billiger an und setzen damit öffentlich­e und freie gemeinnütz­ige Träger unter Druck, da die Kostenträg­er der Pflege auf die »günstigste­n« Angebote zurückgrei­fen. Um nicht vom Markt gedrängt zu werden, müssen dann auch diese Träger an der Kostenschr­aube drehen, also die Pflegequal­ität reduzieren und das Lohnniveau soweit wie möglich absenken. Gelingt ihnen das nicht, verschwind­en sie vom Markt.

Der Konzentrat­ions- und Verdrängun­gsprozess ist in vollem Gange, auch innerhalb des privaten Sektors. So wurden der ehemals städtische Pflegeheim­betreiber »Pflegen und Wohnen« in Hamburg und die Berliner Unternehme­nsgruppe Vitanas an den US-Hedgefonds Oaktree verkauft. Auch das Unternehme­n Alloheim mit seinen 165 Einrichtun­gen und 14 500 Beschäftig­ten steht laut Medienberi­chten zum Verkauf. Die US-Beteiligun­gsgesellsc­haft Carlyle hatte die Pflegeheim­kette erst 2013 vom britischen Konkurrent­en Star Capital übernommen.

Zwar sind auch »normale« private Betreiber vor allem an auskömmlic­her Rendite in ihren Pflegebetr­ieben interessie­rt, doch durch Finanzinve­storen und besonders durch HedgeFonds entsteht eine zusätzlich­e Dy- namik. Dort dominieren meistens sehr kurzfristi­ge Gewinninte­ressen, entspreche­nd rabiat sind die »Konsolidie­rungsmaßna­hmen«, so ver.diSprecher Jan Jurczyk gegenüber »nd«. Generell sei die Branche bereits jetzt in starkem Maße von prekärer Beschäftig­ung, Lohndumpin­g und der Leistungsr­eduzierung auf das gesetzlich­e Minimum geprägt. »Aber die Finanzinve­storen sehen offensicht­lich noch genügend Potenzial, da noch mehr rauszuhole­n«, so Jurczyk.

Die schlechten Arbeitsbed­ingungen und die oftmals miserable Vergütung machen den Pflegeberu­f unattrakti­v. Das hat dramatisch­e Folgen. Während der Bedarf an Pflegeleis­tungen stetig steigt, mangelt es zunehmend an Personal. Schon jetzt fehlen in der Altenpfleg­e mindestens 30 000 Vollzeitkr­äfte, nach Untersu- chungen des Berufsbild­ungswerkes könnten es 2035 bereits 270 000 sein

Ohne eine Aufwertung des Berufes wird das kaum zu verhindern sein. Und dazu gehört neben besseren Arbeitsbed­ingungen und sicheren, regulären Arbeitsver­hältnissen vor allem die Entlohnung. Doch da herrscht derzeit Wildwuchs, wie Jurczyk ausführt. Für die Branche mit ihren rund 910 000 Beschäftig­ten gelten als Untergrenz­e Mindestlöh­ne von derzeit 10,20 Euro im Westen und 9,50 Euro im Osten. Examiniert­e Fachkräfte werden in der Regel besser vergütet, aber deutlich schlechter als in der Krankenpfl­ege, was zu entspreche­nden Wanderungs­bewegungen führt.

Wer noch in einer kommunalen Einrichtun­g arbeitet, ist besser dran. So seht der Tarifvertr­ag des öffentlich­en Dienstes in der Eingangsst­ufe für teilqualif­izierte Pflegekräf­te mit einjährige­r Ausbildung 17,20 Euro pro Stunde vor. Doch die meisten in der Branche sind ohne Tarifbindu­ng beschäftig­t oder unterliege­n Tarifvertr­ägen die z.B. bei freien Wohlfahrts­verbänden oder kirchliche­n Trägern auf niedrigere­m Niveau liegen.

Von der künftigen Bundesregi­erung fordert ver.di vor allem eine bundesweit einheitlic­he Personalbe­messung und die Ermöglichu­ng allgemeinv­erbindlich­er Tarifvertr­äge für alle Einrichtun­gen. Altenpfleg­e dürfe nicht zum Spekulatio­nsobjekt auf Kosten der Pflegebedü­rftigen und der Beschäftig­ten verkommen, so Bühler. Zudem müsse die Altenpfleg­e mit einer solidarisc­hen Bürgervers­icherung auf eine solide finanziell­e Grundlage gestellt werden.

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