Gegen die Hyperglobalisierung
UNCTAD schlägt neues Lohnmodell vor: Bezahlung nach der Rentabilität des Unternehmens
UN-Ökonomen kritisieren in einem aktuellen Report die Austeritätspolitik und rufen zu einem »New Deal« auf. Die UNCTAD überrascht mit Ideen, die ein bisschen auch an Karl Marx erinnern. »Vorwärts zu einem neuen globalen Deal«, lautet das Motto der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem am Donnerstag veröffentlichten »Trade and Development Report 2017«. Mit Blick besonders auf Deutschland fordert die UNOrganisation die Regierungen weltweit auf, die »Austerität« hinter sich zu lassen und ihren Sparkurs zu beenden. Bemängelt wird auch die fehlende Koordinierung der Wirtschaftspolitik zwischen den führenden Industriestaaten. Die Kritik richtet sich nicht allein an die USA und Trumps »America first«. Weltweit dominieren seit Beginn dieses Jahrzehnts zweiseitige oder regionale Abkommen die globale Handelspolitik. Dagegen gibt es kaum noch multinationale Projekte wie die »Neue Seidenstraße«, die China und seine Partner auf drei Kontinenten vorantreiben.
Gleichwohl wachsen die großen Volkswirtschaften. Das Bruttoinlandsprodukt der G20-Staaten legte im zweiten Quartal um beachtliche 0,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu, wie die OECD zeitgleich bekanntgab. Noch schneller als China (1,7 Prozent) entwickelt sich die Türkei (2,1). Deutschland (0,6) liegt im Mittelfeld.
Damit mehren sich erste Anzeichen, dass der Welthandel auf einen Wachstumspfad zurückkehrt, von dem er nach der Finanzkrise abgewichen war. So stieg der Containerumschlag-Index des Forschungsinstituts RWI und des Instituts für Seeverkehrswirtschaft (ISL) auf einen neuen Höchstwert. Dies deutet, so ein RWISprecher, »auf eine inzwischen recht kräftige Ausweitung des Welthandels hin«. In den Index fließen Angaben von 82 Häfen in der ganzen Welt ein.
Im Brennpunkt des UNCTAD-Reports steht jedoch etwas anderes: die Kritik an der »Hyperglobalisierung«. Die »Gier« in einer »Der-Sieger-kriegtmehr-«Welt gefährde die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die Spirale aus zügelloser ökonomischer Höherentwicklung müsse gestoppt werden, sagte UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi bei der Vorstellung der Studie in Genf.
Die Ökonomen der UNCTAD, die seit 1964 ein ständiges Organ der UNVollversammlung ist und den Handel mit Entwicklungsländern fördern soll, nehmen besonders die großen Konzerne aufs Korn. »Bei den Gewinnen, dem realen Kapital und auch beim geistigen Eigentum haben Konzentration und Marktmacht stark zugenommen«, mahnt der Kenianer Kituyi. 1995 besaßen die Top-100-Konzerne 31 mal so viel Kapital wie die 2000 kleinsten Multis – heute verfügen sie über 7000 mal so viel.
Zugleich seien die Finanzmärkte immer mehr wert geworden. Frei nach Karl Marx hat UNCTAD die SurplusProfite berechnet. Danach stieg der Anteil des »Mehrwerts« – gemeint sind damit hauptsächlich Finanzanlagen außerhalb des eigentlichen Geschäftsmodells – am gesamten Gewinn der Großkonzerne in zwei Jahrzehnten von 16 auf 40 Prozent an. Gleichzeitig nahm die Verschuldung der meisten Nicht-Finanz-Unternehmen zu. Kituyi hält diese Entwicklung für gefährlich, weil sie »Instabilität und Ungleichheit« der Weltwirtschaft fördere. Dazu trügen auch Löhne bei: Die Einkommen aus unselbstständiger Arbeit sinken im Trend seit der Jahrtausendwende. Betrug der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den G20-Staaten damals noch über 56 Prozent, liegt er heute bei unter 54 Prozent. Die UN-Organisation fordert die Regierungen daher zu einem gemeinsamen »New Deal« auf: Sie sollten die Weltwirtschaft wieder ins Gleichgewicht bringen und »Wohlstand für alle« anstreben.
Konkret wird es bei der Digitalisierung der Industrie. Verlieren könnten besonders die ärmeren Länder, die Fertigung nur im Billiglohnsektor anbieten, warnen die UNCTAD-Experten. Es fehlten Investitionen in Sektoren, in denen die durch Roboter ersetzten Arbeitskräfte neue Jobs fin- den. Von der Automatisierung dürften vor allem Länder mit starker Industrie profitieren, wo selbst die einfache Fertigung künftig womöglich konzentriert werde.
Die meisten Roboter stehen in Deutschland, Japan und den USA. China habe den Einsatz seit 2010 vervierfacht. Gemessen an der Bevölkerung liegt Südkorea vorne. Die »Industrie 4.0« könnte aber auch dort Arbeitsplätze vernichten. Verhindert werden müsse, dass erwirtschaftete Rendite vor allem bei den Roboterentwicklern und -eigentümern lande, warnt die UNCTAD und schlägt ein neues Lohnmodell vor: Mitarbeiter sollten nach der Rentabilität ihres Unternehmens bezahlt werden. So bekämen Lohnabhängige einen Großteil ihres Einkommens aus der Teilhabe am Kapital.