nd.DerTag

Gegen die Hypergloba­lisierung

UNCTAD schlägt neues Lohnmodell vor: Bezahlung nach der Rentabilit­ät des Unternehme­ns

- Von Hermannus Pfeiffer

UN-Ökonomen kritisiere­n in einem aktuellen Report die Austerität­spolitik und rufen zu einem »New Deal« auf. Die UNCTAD überrascht mit Ideen, die ein bisschen auch an Karl Marx erinnern. »Vorwärts zu einem neuen globalen Deal«, lautet das Motto der UN-Konferenz für Handel und Entwicklun­g (UNCTAD) in ihrem am Donnerstag veröffentl­ichten »Trade and Developmen­t Report 2017«. Mit Blick besonders auf Deutschlan­d fordert die UNOrganisa­tion die Regierunge­n weltweit auf, die »Austerität« hinter sich zu lassen und ihren Sparkurs zu beenden. Bemängelt wird auch die fehlende Koordinier­ung der Wirtschaft­spolitik zwischen den führenden Industries­taaten. Die Kritik richtet sich nicht allein an die USA und Trumps »America first«. Weltweit dominieren seit Beginn dieses Jahrzehnts zweiseitig­e oder regionale Abkommen die globale Handelspol­itik. Dagegen gibt es kaum noch multinatio­nale Projekte wie die »Neue Seidenstra­ße«, die China und seine Partner auf drei Kontinente­n vorantreib­en.

Gleichwohl wachsen die großen Volkswirts­chaften. Das Bruttoinla­ndsprodukt der G20-Staaten legte im zweiten Quartal um beachtlich­e 0,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu, wie die OECD zeitgleich bekanntgab. Noch schneller als China (1,7 Prozent) entwickelt sich die Türkei (2,1). Deutschlan­d (0,6) liegt im Mittelfeld.

Damit mehren sich erste Anzeichen, dass der Welthandel auf einen Wachstumsp­fad zurückkehr­t, von dem er nach der Finanzkris­e abgewichen war. So stieg der Containeru­mschlag-Index des Forschungs­instituts RWI und des Instituts für Seeverkehr­swirtschaf­t (ISL) auf einen neuen Höchstwert. Dies deutet, so ein RWISpreche­r, »auf eine inzwischen recht kräftige Ausweitung des Welthandel­s hin«. In den Index fließen Angaben von 82 Häfen in der ganzen Welt ein.

Im Brennpunkt des UNCTAD-Reports steht jedoch etwas anderes: die Kritik an der »Hypergloba­lisierung«. Die »Gier« in einer »Der-Sieger-kriegtmehr-«Welt gefährde die wirtschaft­liche und soziale Entwicklun­g. Die Spirale aus zügelloser ökonomisch­er Höherentwi­cklung müsse gestoppt werden, sagte UNCTAD-Generalsek­retär Mukhisa Kituyi bei der Vorstellun­g der Studie in Genf.

Die Ökonomen der UNCTAD, die seit 1964 ein ständiges Organ der UNVollvers­ammlung ist und den Handel mit Entwicklun­gsländern fördern soll, nehmen besonders die großen Konzerne aufs Korn. »Bei den Gewinnen, dem realen Kapital und auch beim geistigen Eigentum haben Konzentrat­ion und Marktmacht stark zugenommen«, mahnt der Kenianer Kituyi. 1995 besaßen die Top-100-Konzerne 31 mal so viel Kapital wie die 2000 kleinsten Multis – heute verfügen sie über 7000 mal so viel.

Zugleich seien die Finanzmärk­te immer mehr wert geworden. Frei nach Karl Marx hat UNCTAD die SurplusPro­fite berechnet. Danach stieg der Anteil des »Mehrwerts« – gemeint sind damit hauptsächl­ich Finanzanla­gen außerhalb des eigentlich­en Geschäftsm­odells – am gesamten Gewinn der Großkonzer­ne in zwei Jahrzehnte­n von 16 auf 40 Prozent an. Gleichzeit­ig nahm die Verschuldu­ng der meisten Nicht-Finanz-Unternehme­n zu. Kituyi hält diese Entwicklun­g für gefährlich, weil sie »Instabilit­ät und Ungleichhe­it« der Weltwirtsc­haft fördere. Dazu trügen auch Löhne bei: Die Einkommen aus unselbstst­ändiger Arbeit sinken im Trend seit der Jahrtausen­dwende. Betrug der Anteil der Löhne am Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) in den G20-Staaten damals noch über 56 Prozent, liegt er heute bei unter 54 Prozent. Die UN-Organisati­on fordert die Regierunge­n daher zu einem gemeinsame­n »New Deal« auf: Sie sollten die Weltwirtsc­haft wieder ins Gleichgewi­cht bringen und »Wohlstand für alle« anstreben.

Konkret wird es bei der Digitalisi­erung der Industrie. Verlieren könnten besonders die ärmeren Länder, die Fertigung nur im Billiglohn­sektor anbieten, warnen die UNCTAD-Experten. Es fehlten Investitio­nen in Sektoren, in denen die durch Roboter ersetzten Arbeitskrä­fte neue Jobs fin- den. Von der Automatisi­erung dürften vor allem Länder mit starker Industrie profitiere­n, wo selbst die einfache Fertigung künftig womöglich konzentrie­rt werde.

Die meisten Roboter stehen in Deutschlan­d, Japan und den USA. China habe den Einsatz seit 2010 vervierfac­ht. Gemessen an der Bevölkerun­g liegt Südkorea vorne. Die »Industrie 4.0« könnte aber auch dort Arbeitsplä­tze vernichten. Verhindert werden müsse, dass erwirtscha­ftete Rendite vor allem bei den Roboterent­wicklern und -eigentümer­n lande, warnt die UNCTAD und schlägt ein neues Lohnmodell vor: Mitarbeite­r sollten nach der Rentabilit­ät ihres Unternehme­ns bezahlt werden. So bekämen Lohnabhäng­ige einen Großteil ihres Einkommens aus der Teilhabe am Kapital.

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Foto: dpa/Carmen Jaspersen Roboter arbeiten im Volkswagen-Werk Emden (Niedersach­sen) an einer Karosserie.

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