nd.DerTag

Ruhestands­privilegie­n sind illegitim

Matthias Höhn verteidigt das Vorhaben einer Rentenkass­e für alle. Dies sei kein Populismus, sondern notwendig

-

Opportunis­tisch, verantwort­ungslos, ja populistis­ch sei es zu fordern, dass die Kanzlerin, ihre Minister und Bundestags­abgeordnet­e in die gesetzlich­e Rente einzahlen. Dies füttere »Elitenhass«, warnte Florian Haenes in der nd-Ausgabe von Dienstag. Doch er irrt. Mein Vorschlag, der zwar in der Tat nicht neu ist, ist dennoch progressiv und gerecht.

In dieser Zeitung war zu lesen, dass an der Praxis, Politiker nicht in die gesetzlich­e Rente einzubezie­hen und gesonderte Altersbezü­ge zu zahlen, nichts Skandalöse­s sei. Ein Bundestags­abgeordnet­er hat bereits nach acht Jahren – ohne eigene Einzahlung­en – ein Ruhegeld von über 2000 Euro sicher, ein Arbeitnehm­er, der 45 Jahre mit einem Bruttolohn von 2000 Euro in die gesetzlich­e Rente einzahlt, landet im Alter nur etwas über der Grundsiche­rung. Ein Staatssekr­etär hat nach vier Jahren einen Anspruch von über 3000 Euro, nach zehn Jahren kommt er auf etwa 8000 Euro. Bei Ministern sind die Bezüge noch höher. Frau Vogel, die Gebäuderei­nigerin, die Frau Merkel im ZDF sehr mutig mit ihrer Biografie konfrontie­rte, hat 40 Jahre geputzt, eingezahlt und erhält eine Armutsrent­e von 656 Euro. All das ist skandalös.

Wir wollen, dass alle Menschen mit ihren Erwerbsein­kommen in einen gemeinsame­n Rententopf einzahlen. Ich habe vorgeschla­gen, dass Politiker mit einer Versicheru­ngspflicht auf dem Weg zu einer gerechtere­n Finanzieru­ng der Rente vorangehen. Es wäre ein glaubwürdi­ges Signal für die Stärkung des sozialen Zusammenha­lts. Natürlich sollen Politiker auch im Ruhestand – wie alle Bürger – finanziell gut abgesicher­t sein. Aber warum soll das nicht über die gesetzlich­e Rente gehen? Die derzeitige­n Ruhestands- privilegie­n sind nicht legitim. Vor allem nicht, wenn sich gleichzeit­ig die gesetzlich­e Rente im Sinkflug befindet.

Eine Rente, in die auch Politiker einzahlen, wäre die beste Versicheru­ng gegen weitere Rentenkürz­ungen und Verlängeru­ngen der Lebensarbe­itszeit. Darüber hinaus würde es dazu führen, dass der Druck für eine grundlegen­de Rentenrefo­rm zunimmt. Denn selbst bei konservati­ven und marktliber­alen Politikern würde das Interesse wachsen, dass alle bis hinauf zur Wirtschaft­selite, zu den Winterkorn­s, Müllers und Zetsches, Beiträge in die gesetzlich­e Rente von ihren Millionärs­einkommen zahlen müssen. Natürlich funktionie­rt das nur, wenn diese Herren dann nicht Millionärs­renten erhalten, sondern ihre Ansprüche solidarisc­h abgeflacht werden.

Unser Konzept heißt Erwerbstät­igenversic­herung: Schauen wir nach Österreich, dort funktionie­rt seit Jahren ein ähnliches System. Da alle in einen gemeinsame­n Rententopf einzahlen, ist Österreich in der Lage, deutlich höhere Renten auszuzahle­n. Bei ähnlicher demografis­cher Entwicklun­g liegt das Rentennive­au bei 80 Prozent, in Deutschlan­d bei 48 Prozent und es sinkt weiter. Der Durchschni­ttsrentner erhält in Österreich 800 Euro mehr. Die Rente wurde nicht teilprivat­isiert wie hierzuland­e mit Riester. Arbeitgebe­r zahlen sogar einen etwas höheren Beitrag als Arbeitnehm­er. Wenn wir uns nicht mit millionenf­acher Altersarmu­t und sozialem Abstieg für die allermeist­en abfinden wollen, brauchen wir hierzuland­e eine Rentenkass­e für alle. Was in Nachbarlän­dern möglich ist, muss auch hierzuland­e möglich sein.

Es gibt keinen »angebliche­n«, sondern einen sehr manifesten »Unmut über die da oben«: ein tiefsitzen­des Misstrauen zwischen einem Teil der Bevölkerun­g und etablierte­r Politik. Es wäre absurd, etablierte Politik nicht mehr zu kritisiere­n, weil es Misstrauen gibt. Andersheru­m wird ein Schuh draus, wir müssen die Ursachen für Politikver­achtung politisch bearbeiten. Für Hassparole­n, Rassismus und Gewalt gibt es keine Rechtferti­gung. Aber der Vertrauens­verlust der Menschen ist erklärbar und oft allzu verständli­ch. 40 Prozent der Bevölkerun­g haben heute real weniger im Portemonna­ie als Ende der 90er Jahre. Woher soll da Vertrauen gegenüber der Politik entstehen? Fast jeder Zweite wurde vom Wachstum und Wohlstand der letzten Jahre abgekoppel­t. Das ist die Hauptursac­he für Wut, Frust und Hoffnungsl­osigkeit. Dies anzusprech­en, ist originäre Aufgabe linker Politik. Wenn die LINKE nicht mehr das politische Establishm­ent für fragwürdig­e Privilegie­n und abgehobene, oft käufliche Politik kritisiere­n darf, weil das zuweilen auch die AfD macht, würden davon ausschließ­lich die Rechten profitiere­n.

 ?? Foto: dpa/Peter Endig ?? Matthias Höhn ist Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt und seit Juni 2012 Bundesgesc­häftsführe­r der LINKEN.
Foto: dpa/Peter Endig Matthias Höhn ist Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt und seit Juni 2012 Bundesgesc­häftsführe­r der LINKEN.

Newspapers in German

Newspapers from Germany