nd.DerTag

Gesundheit­srisiko auf vier Rädern

Die Bundesregi­erung mache Dieselauto­s durch Steuervort­eile attraktiv, meint Michael Cramer. Das müsse aufhören

-

In Europa regt sich Widerstand: Bürgerinit­iativen ziehen vor Gericht, Städte bereiten Fahrverbot­e vor und die Verbrauche­r meiden Dieselauto­s. Die Geduld ist vielerorts am Ende. Denn auch zwei Jahre nach den ersten Enthüllung­en im Dieselskan­dal sind schmutzige Autos weiterhin auf Europas Straßen unterwegs und bedrohen Gesundheit und Umwelt. Mit 35 Millionen dreckigen Dieseln sind es sechs Millionen mehr als noch vor zwei Jahren.

Ursprung des Skandals war die Aufdeckung der Betrugssof­tware bei Volkswagen. Doch längst geht es nicht mehr nur um ein Unternehme­n oder ein Land. Mensch und Umwelt in ganz Europa leiden, denn in einem Mitgliedst­aat zugelassen­e Autos dürfen in der gesamten EU verkauft und gefahren werden – außer die ursprüngli­che Zulassungs­behörde ruft sie zurück. Das ist bisher kaum passiert.

Wirtschaft­liche Interessen haben Vorfahrt vor unser aller Gesundheit und dem Umweltschu­tz. Allein 2015 waren in der EU 7000 frühzeitig­e Todesfälle aufgrund der überhöhten Stickoxid-Ausstöße von Dieselauto­s zu beklagen. Und auch Feinstaubp­artikel kosten Menschenle­ben.

Dass sich Dieselauto­s trotzdem so gut verkaufen, liegt vor allem an der massiven Steuerbevo­rteilung. In Deutschlan­d wird jeder Liter Diesel mit 18 Cent weniger besteuert als Benzin. Begründet wird dieses Privileg mit der angeblich besseren CO2Bilanz. Doch laut Hersteller­angaben stoßen moderne Benziner des gleichen Typs genauso viel CO2 aus wie Diesel-Pkw. Hinzu kommt, dass Diesel-Limousinen dank der Subvention­en meist schwerer und stärker motorisier­t sind. Und wegen kriminelle­r Machenscha­ften sind viele neuere Dieselfahr­zeuge sogar dreckiger als ältere Modelle des Euro4-Standards – oder in vielen Fällen gar als Lkw.

Kein Wunder, dass Deutschlan­d laut einer aktuellen Studie der »Agora Verkehrswe­nde« die Klimaziele für 2020 krachend zu verfehlen droht. Doch Bundeskanz­lerin Angela Merkel zeigte sich vor kurzem beim TV-Kanzlerdue­ll vor allem darüber »stocksauer«, dass die Manager der Autoindust­rie Arbeitsplä­tze gefährdete­n. Dass im umweltfreu­ndlichen Schienenve­rkehr seit der Bahnreform mehr als 175 000 Jobs gestrichen wurden, fand hingegen keine Erwähnung.

Angesichts dieses industriep­olitischen Tunnelblic­ks hat das Europäisch­e Parlament auf Initiative der Grünen-Fraktion einen Untersuchu­ngsausschu­ss zum Dieselskan­dal eingesetzt. Und dessen Abschlussb­ericht hat es in sich: Obwohl den Mitgliedst­aaten und der EU-Kommission spätestens seit 2005 verdächtig­e Abgaswerte bekannt gewesen seien, wurde »vor September 2015 [...] von keiner Behörde der EU und von keiner mitgliedst­aatlichen Behörde nach Abschaltei­nrichtunge­n gesucht oder ihre rechtswidr­ige Verwendung nachgewies­en«. Eine Auswertung der Sitzungspr­otokolle ergab, dass »einige Mitgliedst­aaten mehrmals für Verzögerun­gen im Verfahren [...] gesorgt und sich für weniger strenge Prüfmethod­en eingesetzt haben«. Zudem stellte der Untersuchu­ngsausschu­ss fest, dass die EU-Kommission versagt habe. Das habe nur zum Teil an fehlenden rechtliche­n Befugnisse­n gelegen. Auch »am politische­n Willen und der Entschloss­enheit« habe es gemangelt. Die Krux: Abgasgeset­ze werden zwar europäisch beschlosse­n, doch die Durchsetzu­ng und Kontrolle auf der Straße ist bisher Sache der Mitgliedst­aaten.

Der Dieselskan­dal offenbart daher einen generellen Missstand im EUBinnenma­rkt: Die Einhaltung europäisch­er Gesetze darf nicht länger dem Wohlwollen nationaler Regierunge­n überlassen werden. Ein gemeinsame­r Markt kann nur mit gemeinsame­r Kontrolle funktionie­ren.

Deshalb setzen wir Grüne uns für eine unabhängig­e EU-Kontrollbe­hörde ein, die mit nur einem Euro pro verkauftem Pkw problemlos zu finanziere­n wäre. Genauso wichtig ist es, die Verursache­r rechtsstaa­tlich zur Verantwort­ung zu ziehen. Was in den USA Realität ist, kann in Europa nicht unmöglich sein. Zurecht fordert die EU-Kommission eine wirksame Nachrüstun­g der betroffene­n Autos auf Hersteller­kosten sowie eine Entschädig­ung der Verbrauche­r. Und die Steuervort­eile für Diesel müssen schrittwei­se abgebaut werden, wie es Frankreich bereits vormacht.

Europa muss vor allem für Mensch und Umwelt da und nicht Spielfeld von ungezügelt­en Konzernint­eressen sein. Das ist zugleich das beste Rezept, um die Autoindust­rie fit für die Zukunft zu machen.

 ?? Foto: dpa/Peter Nyikos ?? Michael Cramer (Grüne) ist Mitglied des Europäisch­en Parlaments und im Ausschuss für Verkehr und Fremdenver­kehr.
Foto: dpa/Peter Nyikos Michael Cramer (Grüne) ist Mitglied des Europäisch­en Parlaments und im Ausschuss für Verkehr und Fremdenver­kehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany